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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 51.1903

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Heft 28
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https://doi.org/10.11588/diglit.55112#0608
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ihre Augen bohrten sich förmlich in die des jungen
Mädchens — „eine Nachricht, die, wenn sie mir
früher zu Ohren gekommen wäre, cs jedenfalls ver-
hindert hätte, daß Sie hier Hofdame wurden."
Freda lächelte verächtlich. Vermutlich irgend ein
Lakaienklatsch, den Exzellenz zn einer Staatsaktion
anfbauschtc.
„Ich werde einige Fragen an Sie richten, Fräu-
lein v. Nordeck, die Sie wahrheitsgemäß beantworten
wollen."
„Bitte."
„Sie waren verlobt?"
„Jawohl, mit Herrn Harry v. Hohendorf.
Wegen feiner Schulden nahm er den Abschied und
ging nach Amerika. Mein Vater löste deshalb unsere
Verlobung auf. — Wünschen Exzellenz noch weitere
Details?"
„Bitte, nicht diesen überhebenden Ton! Ich
frage an Stelle der Herzogin."
„Und ich beantworte eine Sache, die alle Welt
weiß. Wozu also diese Fragen?"
„Die zurückgegangene Verlobung mag wohl be-
kannt sein, aber nicht alle Vorgänge, die sich dabei
abspiclten. Wie ich höre, verließen Sie heimlich
das Hans Ihrer Eltern und reisten Ihrem Bräuti-
gam nach."
„Das tat ich. Es war unrecht gegen meine
Eltern, sonst wüßte ich nicht, wen das etwas an-
ginge. Im übrigen habe ich Hoheit bereits am
ersten Tage meines Hierseins die ganze traurige
Geschichte erzählt."
Die Oberhofmeisterin zuckte die Schultern. „Sie
wollten Vorbeugen. Sehr gewandt das! Aber die
Welt ist klein. Ein Fräulein v. Hartung ist mit
Lilli Bergen verwandt Wir erkundigten uns bei
ihr. Die Dame stellt die Sache denn doch etwas
anders dar, als Sie es tun."
„Sehr wahrscheinlich. Sie war immer eine bissige,
alte Jungfer."
„Sie leugnen nicht, nach Hamburg gefahren zn
sein, uni Ihren Bräutigam dort zn treffen?"
„Warum sollte ich das leugnen? Ich war in
Verzweiflung, ich wollte mit ihm nach Amerika
gehen, seine Armut teilen — ich liebte ihn! Als
ich in Hamburg ankam, telegraphierte Hohendorf
sofort meinem Vater, der auch nach wenigen Stun-
den eintraf. Am nächsten Morgen fuhr er mit mir
zurück. Das ist alles."
„So . . . hm. In Ihrer Heimatstadt erzählt
man sich die Geschichte noch ein bißchen anders.
Sie sollen längere Zeit allein mit Ihrem Bräutigam
in Hamburg zugebracht haben. Ich mache mir
bittere Vorwürfe, mich nicht früher eingehender er-
kundigt zu haben. Es fällt auf mich zurück, daß
eine Dame, an deren Rus solche Flecke haften, in
den^Dienst Ihrer Hoheit treten durfte."
Freda wurde glühcndrot, dann totenblaß. „Eine
abscheulichere Verleumdung ist wohl noch nie aus-
gesprochen worden," rief sie heftig. „Ich möchte
wissen, wer das, außer Anua Hartung, noch zu
glauben wagt."
„Sehr viele. Ist es Ihnen nie ausgefallen, daß
die Damen in Ihrer Heimat sich seit Ihrer gelösten
Verlobung von Ihnen znrückzogen?"
Freda ivollte entrüstet verneinen, als ihr die merk-
würdige Tatsache cinfiel, wie wenig sich ihre sämt-
lichen Freundinnen nach dem Tode ihres Vaters um
sie bekümmert hatten.
„Sehen Sie wohl?" triumphierte die Obcrhof-
meisteriu, als Freda verwirrt schwieg.
Freda hob den Kopf. „Es ist aber nicht wahr!"
Sie sah sich um, wie wenn sie, von Feinden um-
ringt, vergebens nach einem Ausweg spähe. „Mein
Vater — Herr v. Hohendorf könnten die Wahrheit
meiner Aussage bestätigen."
„Schade nur, daß ein Zeuge tot, der andere in
Amerika ist," meinte die Oberhofmeisterin höhnisch.
„Ja, mein armer Vater liegt im Grabe. Er
kann mich nicht mehr in Schutz nehmen," sagte Freda
tonlos. „Teilt auch Hoheit Ihren Glauben, Ex-
zellenz, trotzdem sie längst durch mich weiß, wie sich
alles in Wahrheit zntrug?"
„Ich kann Ihnen nur sagen, daß Hoheit natür-
lich sehr ungehalten ist, weil ihr diese kompromit-
tierenden Vorgänge im Leben ihrer Hofdame ver-
schwiegen oder falsch dargestellt wurden. Es ist also
begreiflich, wenn —"
„Wenn gewünscht wird, daß ich meine Stellung
aufgebe?" Tas schöne junge Gesicht erschien wie
versteinert vor Schmerz und Empörung. „Nun, die
Prinzeß kommt meinem Wunsche zuvor. Ich merkte
längst, auf was dies alles hinausläuft. Daß man
zu solchen Gewaltmitteln, zn ehrenrührigen Anklagen
greifen würde, glaubte ich allerdings nicht. Ich
gehe — heute noch — zu meiner Mutter zurück."
„Erst müssen Sie doch Ihren Abschied erbitten."
„Das tue ich hiermit durch Sie, Exzellenz.
Wollen Sie das weitere veranlassen."

, Die Oberhofmeisterin schlug unwillkürlich vor dem
zornsprühenden Blick der großen, empörten Mädchen-
angen die ihren nieder. Sie wollte ein paar be-
gütigende Worte sagen, aber ehe sic noch eine Silbe
herausbrachte, verließ Freda schon das Zimmer.
Das war zn viel! Sie wischte sich die funkeln-
den Tränen der Empörung ans den Augen. Weinen?
Nein — das waren sie hier nicht wert! Rotenburg
hatte nur zu recht gehabt — auch darin. Sie ries
sich seine Ratschläge, seine Warnungen zurück —
buchstäblich traf alles ein, wie er es prophezeit.
Ohne Hut und Mantel lief Freda in den Park.
Sie wollte eigentlich Anordnungen für ihre Abreise
treffen, packen, ihrer Mutter telegraphieren, aber
es wirrte sich alles in ihrem Kopf zusammen. Sie
konnte keinen klaren Gedanken fassen. Erst mußte
sie ruhiger werden. Einige Minuten still nachdenken
über das Unerhörte, das man ihr angetan hatte.
Sie setzte sich auf eine Bank. Durch die noch kahlen
Bäume konnte sie deutlich das Schloß sehen. Die
Morgensoune umwob es mit goldenem Licht. Über
den jungen Birken hing der erste grünliche Schleier.
Die Luft roch nach feuchter Erde und keimenden
Blüten. Alles so hoffnungs- und znkunftsfroh!
Freda legte die Hand über die Augen. Sonnen-
glanz und Blütendüfte taten ihr weh. Wie fest sie
sich hier eingewurzelt hatte, das merkte sie erst recht
deutlich, wo es ans Scheiden ging.
Das Rollen eines Wagens erschreckte sie. Eine
Equipage fuhr die Rampe vor dem Schloß hinauf.
Ein Herr sprang heraus. Es mußte Rotenburg sein,
der wollte ja heute wicderkommen.
Apathisch blieb sie ans der Bank sitzen. Die Zeit
drängte zwar, aber sie mochte Rotenburg jetzt nicht
begegnen.
Nach wenigen Minuten sah sie den Kammerherrn
wieder' das Schloß verlassen. Er schlug dcu Weg
zum Park ein und steuerte direkt auf ihre Bauk zu.
Freda sprang ans. Sie wollte entfliehen, aber
in ihrer Verwirrung lief sie Rotenburg entgegen.
Er vertrat ihr lächelnd den Weg. „Sie kommen
nicht an mir vorbei. Ich will mit Ihnen sprechen,
Freda. Es muß endlich klar zwischen uns werden."
Er legte ihren Arm in den seinen und führte sie
zur Bank zurück.
Das junge Mädchen rang nach Atem. Roten-
burg erschrak, als er ihre blassen, verstörten Züge
ansah.
„Ich fahre noch heute nach Berlin zu meiner
Mutter zurück," stieß sie mit Anstrengung hervor.
„Am liebsten liefe ich sofort ans den Bahnhof und
setzte keinen Fuß mehr in das Schloß!"
„Was ist geschehen?"
„O, nicht viel. Die Oberhofmeisterin hat er-
fahren, daß ich damals, als Hohendorf nach Amerika
ging, ihm nachgereist bin nach Hamburg, um ihm
lebewohl zu sagen. Mein Vater kam nach einigen
Stunden nach — das will sie nicht glauben. Sie
sagt, sie denkt —"
„Was denn nur?"
Freda schlug die Hände vor das Gesicht. „Es
ist zu schmachvoll! Ich soll tagelang allein mit
Hohendorf in Hamburg geblieben sein."
Rotenburg fuhr auf. „Wagt die Laroche das
zu behaupten?"
„Sie hat es durch Fräulein v. Hartung gehört.
Sie glaubt mir nicht, wenn ich cs bestreite. Sie
sagt, ein unparteiischer Zeuge müsse es ihr bestätigen."
„Wann waren Sie in Hamburg? Wissen Sie
noch genau das Datum?"
„Ö gewiß. Den Tag vergesse ich nicht! Es war
der 7. Juni vor zwei Jahren."
„Ganz richtig," bestätigte Rotenburg. „Nun, der
unparteiische Zeuge ist hiermit für die ungläubige
Oberhofmeisterin gefunden. Ich selbst war an dem
Tage in Hamburg und habe Sie und Ihren Vater
dort gesehen, Freda."
„Mich?"
„Jawohl, nicht nur gesehen, sogar in den Armen
gehalten ... so wie jetzt!" Er legte den Arm nm
ihre zitternde Gestalt und zog sie sanft an sich. „So
wie jetzt lag das Köpfchen an meiner Schulter. Nur
daß ich damals die süßen Augen, die fest geschlossen
blieben, nicht küssen konnte, weil der Herr Vater
dabei stand. Ich hätte es damals auch schon gern
getan."
Freda war wie im Traum. Sie richtete sich nicht
auf. Ein himmlisches Gefühl des Geborgenseins über-
kam sie in seinen Armen.
„Wo das war? Im Hotel. Ich trat aus meiner
Zimmertür und sah ein junges Mädchen halb ohn-
mächtig auf dem Flnr liegen. Ich half dem alten
Herrn, der sich nm sie bemühte, und trug sie auf
ihr Bett. Der Vater stellte sich mir vor. Den
Namen verstand ich freilich nur halb. Da ich das
Zimmer nebenan bewohnte und das arme Kind die
ganze Nacht weinen, den Vater sie trösten hörte, so
kann ich als Zeuge für die Wahrheit eintreten. Aber

. auch ohne den glücklichen Zufall meiner Anwesenheit
würde ich die Lästerzungen bald zum Schweigen
bringen. Gib mir endlich das Recht, für dich ein-
zntreteu, Freda! Das heißt, ob du nun Za oder
Nein sagst — ich nehme es mir auf alle Fälle!"
Er beugte sich zu ihr nieder und küßte ihren weichen
Mund. „Meine süße, holde Brant!"
Sie sah ihn geängstigt an. „Eigentlich habe ich
in meinem Leben nur Torheiten begangen," seufzte
sie. „Zuerst die Verlobung mit Hohendorf, zu der
ich meinem guten Väterchen die Einwilligung ab-
zwang. Dann die Reise nach Hamburg — ich wäre
übrigens auch mit nach Amerika gegangen, wenn
er mich mitgenommen hätte," versicherte sie aufrichtig.
„Zweifle nicht daran, kleiner Tollkopf."
„Dann hier als Hofdame —"
„Auch nichts wie Dummheiten," fiel Rotenburg
ein. „Ich kann es nicht bestreiten. Aber lauter
Dummheiten, für die man nicht weiß, ob man dich
schelten oder küssen soll. Da das erstere doch nicht
mehr hilft, tue ich lieber das zweite . . . Weißt du
übrigens, daß Harry Hohendorf längst verheiratet
ist?"
Freda fuhr auf. „Mein Gott, Harry! Den
habe ich ja ganz vergessen ... ich wollte doch
warten —"
Rotenburg lachte. Er zog sie noch fester an sich
„Jetzt ist cs zn spät! Sein Vetter Wilhelm auf
Wustrau, den ich sehr diplomatisch interpellierte, teilte
mir die bereits vor mehreren Monaten erfolgte Ver-
mählung mit einer reichen Amerikanerin Miß Lucy
Wilkens mit."
„Ich hoffe, er ist glücklich — so glücklich, wie ich
es bin!" sagte Freda leise.
Rotenburg küßte ihre Hände. „Ich bringe dich
nun ins Schloß zurück, Liebchen," sagte er bestimmt.
„Die Sache muß hier ohne Eklat beigelegt werden.
Ich setze die verschrobenen Köpfe sehr bald zurecht,
verlaß dich darauf. Die Oberhofmeisterin wird sich
bei dir entschuldigen wegen dem Geschwätz. Dem
Erbprinzen teile ich unsere Verlobung mit. Dann
reist du morgen nach Berlin. Ich folge dir sehr
bald nach und hole mir die Einwilligung deiner
Mutter."
„O Mutti, was wird sie sich freuen!" jubelte
Freda. „Sie ist so gern auf dem Lande. Ich kann
es kaum erwarten, bis sie uns in Rotenburg be-
sucht." —
Der Kammerherr brachte seine Braut bis vor ihre
Zimmertür. „Nun bist du in Sicherheit, mein Herz.
In kurzer Zeit wirst du die Entschuldigungsvisite
der Oberhofmeisterin empfangen müssen."-
Es dauerte wirklich nicht lange, bis Fran v. La-
roche sich bei Freda melden ließ. Das junge Mäd-
chen empfing sie etwas steif.
Die verbindliche Gratulation, ebenso ivie die
höfliche Entschuldigung, die Exzellenz vom Stapel
ließ, nahm Freda sehr kühl auf.
Frau v. Laroche versprach selbst, an Fräulein
v. Hartung zu schreiben und sie über den Irrtum,
den sie selbst ja nur iu der Erregung des Augen-
blicks habe glauben können, aufzuklären. Fräulein
v. Hartung müsse selbstredend alles tun, nm die
Wahrheit zn verbreiten, da ja nur sie die Urheberin
der häßlichen Lüge sein könne.
„Mein Bräutigam wird wohl dafür sorgen, daß
niemand in Znknnft mir mit derartigen Anschuldi-
gungen nahczutreten wagt," antwortete Freda kalt.
Exzellenz verließ sie etwas verlegen. Die halbe
Stunde, die sie vorhin mit Graf Rotenburg ver-
brachte, gehörte nicht zu den angenehmsten Erinne-
rungen ihres Lebens.
Ter Erbprinz freute sich aufrichtig über die Ver-
lobung seines Kammerherrn. Er wünschte ihm aus
vollem Herzen Glück.
Auch die Erbprinzeß machte ein freundliches Ge-
sicht und schien alles vergessen zu haben. Sie um-
armte Freda beinahe so zärtlich wie in früherer Zeit.
Das junge Mädchen blieb sehr zurückhaltend.
Die Liebe für ihre Herrin war erloschen; ihr brannte
der Boden hier unter den Füßen. Sie sah zwar
ein, daß. Rotenburg recht hatte: es war besser für-
alle Teile, in gutem Einvernehmen zu scheiden —
aber vergessen ließen sich die Kränkungen der letzten
Zeit denn doch nicht so rasch.
Fräulein v. Bergen blieb sehr still und befangen.
Sie wagte nicht nachzuforschcn, ob Freda wußte, wie
eifrig sie an ihrem Sturz gearbeitet hatte.
„Eigentlich muß sie mir dankbar sein," ent-
schuldigte sie sich innerlich. „Der Brief hat sicher-
lich die Katastrophe der Verlobung herbeigeführt.
Wenn mir doch auch jemand mal zu solcher Partie
verhülfe!"
„Sie sind also wirklich immer noch so himmel-
stürmend glücklich?" fragte die Erbprinzeß.
„Und ob. Erst recht jetzt, sollte ich meinen,"
lachte der Erbprinz. „Entweder er oder sie schleppen
 
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