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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 4.1916

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Lorenz, Emil: Ödipus auf Kolonos
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https://doi.org/10.11588/diglit.42097#0030
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22

Emil Lorenz

Ödipus auf Kolonos.
Von EMIL LORENZ (Klagenfurt).
Mors illi Venus est, sola est in morte voluptas.
Ut possit nasci, appetit ante mori.
Ipsa sibi proles suus est pater et suus heres,
Nutrix ipsa sui, semper alumna sibi.
Ipsa quidem, sed non eadem, quia et ipsa nec ipsa est,
Aeternam vitam mortis adepta bono.
Lactantius, De Ave Phoenice.
® 9
Uber die Zeit der Abfassung und Aufführung des »König
Ödipus« des Sophokles liegen uns keinerlei Nachrichten aus
dem Altertum vor, neuere Datierungsversuche gehen sehr
weit auseinander, sein Gegenstück jedoch, der »Ödipus aufKolonos«,
darf mit Sicherheit als das letzte Werk des greisen Dichters bezeichnet
werden. Die Tragödie wurde im Jahre 401 v. Chr. aufgeführt, drei
Jahre nach seinem Tode, unter der Leitung seines Enkels Sophokles,
des Sohnes des Ariston. Eine andere Nachricht beschränkt sich auf
die Bemerkung, daß Sophokles das Stück verfaßt habe, als er bereits
ein Greis war1 * * * * *.
Aus Gründen, die der Beobachtung von Sprache und Technik
des Dramas entnommen sind, sucht Radermacher wahrscheinlich
zu machen, daß der »Ödipus auf Kolonos« vor »Philoktet« <409)
zu setzen sei. Aus denselben Gründen müßte er natürlich auch vor
die »Trachinierinnen« gerückt werden, deren Datierung indes unbe«
stimmt ist. Aber der »Ödipus auf Kolonos« läßt sich überhaupt
nicht in die Reihe der sophokleischen Dramen einfügen. Er ist in
dem Mangel an eigentlicher Handlung und in seiner vorwiegend
lyrischen Stimmung ein typisches Alterswerk. Das Gefühl von Spät»
herbst, Reife und Müdigkeit ist so überwältigend, daß alles, was
darin geschieht, nicht geschieht, um die Handlung zu fördern, sondern
um ihr von Anbeginn feststehendes Ziel zu hemmen.
1 Man wird, wie ich glaube, trotz gewisser Bedenken gegenüber der Über^
lieferung an der Tatsache, daß es des Sophokles letztes Stück war, nicht rütteln
dürfen. Einige nehmen an, die Grammatikernachricht beziehe sich auf eine Neu-
aufführung nach dem Tode des Dichters. Es wäre aber gegen allen Brauch, von
Neuaufführungen zu berichten und die Zeit der ersten Aufführung zu verschweigen,
selbst wenn der Neuaufführung eine Umarbeitung zugrunde läge. — Sophokles
hatte zwei Söhne von verschiedenen Frauen, den Jophon und Ariston. Die Nach-
rieht, daß des letzteren Sohn, mit Namen Sophokles, die Aufführung geleitet
habe, hält Radermacher (Sophokles7 * Ödipus auf Kolonos, erklärt von
Schneidewin^Nauck9, neue Bearbeitung von Radermacher, p. 13 f.) für
bedenklich angesichts der Tatsache, daß ein Sophokles, Sohn des Jophon aus
Kolonos, auf einer Inschrift vorkommt. Denn dann hätten zwei Enkel denselben
Namen gehabt. Er hält eine Verwechslung für möglich. Mir scheint es wiederum
nicht so unbegreiflich, daß die zwei unehelichen Söhne des Sophokles beide ihre
eigenen Söhne nach dem Großvater benannt haben: es scheint mir wenigstens
vortrefflich zu stimmen zu der Eifersucht, die nach Berichten, die weiter unten
berührt werden sollen, zwischen ihnen geherrscht haben muß.
 
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