IMAGO
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSyCHO-
ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG:
IV. 5. DR, OTTO RANK / DR. HANNS SACHS 1916
»Anal« und »Sexual«.
Von LOU ANDREAS - SALOME.
Nahezu üblich geworden war es seit einiger Zeit, der Wiener
Schule ihre Betonung der Regressionen auf das anale Ge-
biet als eine Art von Rüdcständigkeit vorzuhalten, — ungefähr
wie wenn, anstatt sachlicher Weitererörterung der Probleme, man sich
lieber verbohre in den ausgerechnet unbehaglichsten Familienklatsch.
Und doch ist eher Anlaß zu glauben, gerade dieser Punkt, mehr
als irgend ein anderer vielleicht, harre erst noch endgültiger Erledi-
gung, — schon allein weil er derjenige ist, auf den sich letztlich alle
Reste der Verunglimpfung zurückziehen, die Freuds Hinweis auf
den sexuellen Faktor entgegenstand und *steht. Denn wie stark der
Widerstand dagegen auch von jeher gewesen ist und insbesondere
gegen Freuds »infantile Sexualität«, — immer noch erscheint der Ab-
scheu davor ganz erheblich geringer als der vor dem Analsexuellen
speziell. Ja während man im ersten Fall sich über die Zumutung
empört, des Kindes Zärtlichkeiten durch das Wort »sexuell« zu be-
sudeln, erweist sich im zweiten Fall dies verfemte Sexuelle seiner-
seits empörend besudelt durch seine Bezugnahme auf Anales. Wie
ja auch die kindlich zärtlichen Auslassungen am elterlichen Körper
in jeder Form gerührten Blickes betrachtet zu werden pflegen und
sich unbeschränkt gehen lassen dürfen, während über dem anderen
Gebiete von vornherein großgeschrieben das erste »Pfui!« prangt,
das wir in uns aufzunehmen haben. Dadurch leitet es eben die für
jedermann so bedeutungs- und beziehungsvolle Geschichte des ersten
Verbotes ein. Der Zwang zur Triebenthaltung und Reinlichkeit
wird dadurch zum Ausgangspunkt für die Ekelerlernung überhaupt,
für den Ekel kat exochen, der nie wieder ganz verschwinden kann,
weder aus dem Erziehungswerk, noch aus dem unserer eigenen
Lebensgestaltung. Ein solcher Sachverhalt läßt aber vermuten, hinter
dem NormaLEkel und ^Widerstand von uns allen möchten nicht
selten Einsichten versteckt bleiben, weil man sie aus diesem Bezirk
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSyCHO-
ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG:
IV. 5. DR, OTTO RANK / DR. HANNS SACHS 1916
»Anal« und »Sexual«.
Von LOU ANDREAS - SALOME.
Nahezu üblich geworden war es seit einiger Zeit, der Wiener
Schule ihre Betonung der Regressionen auf das anale Ge-
biet als eine Art von Rüdcständigkeit vorzuhalten, — ungefähr
wie wenn, anstatt sachlicher Weitererörterung der Probleme, man sich
lieber verbohre in den ausgerechnet unbehaglichsten Familienklatsch.
Und doch ist eher Anlaß zu glauben, gerade dieser Punkt, mehr
als irgend ein anderer vielleicht, harre erst noch endgültiger Erledi-
gung, — schon allein weil er derjenige ist, auf den sich letztlich alle
Reste der Verunglimpfung zurückziehen, die Freuds Hinweis auf
den sexuellen Faktor entgegenstand und *steht. Denn wie stark der
Widerstand dagegen auch von jeher gewesen ist und insbesondere
gegen Freuds »infantile Sexualität«, — immer noch erscheint der Ab-
scheu davor ganz erheblich geringer als der vor dem Analsexuellen
speziell. Ja während man im ersten Fall sich über die Zumutung
empört, des Kindes Zärtlichkeiten durch das Wort »sexuell« zu be-
sudeln, erweist sich im zweiten Fall dies verfemte Sexuelle seiner-
seits empörend besudelt durch seine Bezugnahme auf Anales. Wie
ja auch die kindlich zärtlichen Auslassungen am elterlichen Körper
in jeder Form gerührten Blickes betrachtet zu werden pflegen und
sich unbeschränkt gehen lassen dürfen, während über dem anderen
Gebiete von vornherein großgeschrieben das erste »Pfui!« prangt,
das wir in uns aufzunehmen haben. Dadurch leitet es eben die für
jedermann so bedeutungs- und beziehungsvolle Geschichte des ersten
Verbotes ein. Der Zwang zur Triebenthaltung und Reinlichkeit
wird dadurch zum Ausgangspunkt für die Ekelerlernung überhaupt,
für den Ekel kat exochen, der nie wieder ganz verschwinden kann,
weder aus dem Erziehungswerk, noch aus dem unserer eigenen
Lebensgestaltung. Ein solcher Sachverhalt läßt aber vermuten, hinter
dem NormaLEkel und ^Widerstand von uns allen möchten nicht
selten Einsichten versteckt bleiben, weil man sie aus diesem Bezirk