Ein Dichter und sein Vater
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Ein Dichter und sein Vater.
Beitrag zur Psychologie religiöser Bekehrung und telepathischer
Phänomene.
Von Dr. EDUARD HITSCHMANN.
In den Selbstbiographien echter Dichter finden wir dank deren
intuitiver, von Jugend auf geübter Selbstanalyse fast regel-
mäßig Bestätigungen unserer psychoanalytischen, erfahrungs^
gemäß erworbenen Anschauungen über die Entwicklung einer psychi-
schen Persönlichkeit. Eigenartige Färbung enthält das Bild der Ent-
wicklung einer Dichterpsyche bekanntlich durch ein starkes kindliches
Erleben der Ödipus=Einstellung und das Überwuchern phantastischer
Tagträume, die wohl mit der dem Ödipuskomplex angehörenden un-
stillbaren Sehnsucht im Zusammenhang steht. Wir wissen, daß eine
starke Vaterpersönlichkeit neben einer zarten leidenden oder früh
dahingehenden Mutterfigur der Phantasie das beste Material geben.
Im Kampfe gegen den Vater und für die Mutter siegt das
Verweigern pünktlicher Pflichtarbeit und bürgerlicher Berufswahl. An
der Seite der unterdrüdcten Weiblichkeit nimmt der Knabe teil an
deren Trostgewinnen durch Gedankenentschädigung und Gefühls^
exzeß und an der Flucht vor dem männlichen väterlichen Tyrannen.
Konnte ich dieses beschriebene Verhältnis an dem Erstlings-
werke Jakob Wassermanns1 als Inhalt der Dichtung, respektive der
Phantasie des dichtenden Jünglings erweisen, so gibt mir Max
Dauthendeys Werk »Der Geist meines Vaters«2 eine schöne
autobiographische Darstellung analoger Einstellungen voll interessanter
Details in die Hand.
Jahrelang nach dem Tode des Vaters geht der berühmt ge-
wordene weitgereiste Dichter, nachdem er sich in der Vaterstadt
wieder niedergelassen, daran, seinem Vater in seinem Buche ein
Denkmal zu setzen. Dieser Vater war ein angesehener Mann ge-
wesen, hatte die Daguerrotypie in Deutschland eingeführt, war
später in Petersburg reich geworden und arbeitete auch wissen-
schaftlich auf dem Gebiete der Photographie. Von ursprünglicher
technischer Begabung, war er ein aufrechter, nüchterner, unabhängiger
Mann der Wissenschaft, der vor der Natur und den Meisterwerken der
Technik gläubig niedersank, aber zeitlebens gänzlich amusisch, ohne
Verhältnis zur Kunst blieb. Er war eine Kraftnatur voll egoistischer
Tatkraft, ein zäher Arbeiter, jähzornig, rauh, leidenschaftlicher
Raucher und Schachspieler. Er war kein Stilist, konnte aber seinem
jüngeren Sohn, dem späteren Dichter stundenlang aus seinem reichen
1 Imago, Bd. 1.
2 Verlag Albert Langen, München.
Imago IV/6
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Ein Dichter und sein Vater.
Beitrag zur Psychologie religiöser Bekehrung und telepathischer
Phänomene.
Von Dr. EDUARD HITSCHMANN.
In den Selbstbiographien echter Dichter finden wir dank deren
intuitiver, von Jugend auf geübter Selbstanalyse fast regel-
mäßig Bestätigungen unserer psychoanalytischen, erfahrungs^
gemäß erworbenen Anschauungen über die Entwicklung einer psychi-
schen Persönlichkeit. Eigenartige Färbung enthält das Bild der Ent-
wicklung einer Dichterpsyche bekanntlich durch ein starkes kindliches
Erleben der Ödipus=Einstellung und das Überwuchern phantastischer
Tagträume, die wohl mit der dem Ödipuskomplex angehörenden un-
stillbaren Sehnsucht im Zusammenhang steht. Wir wissen, daß eine
starke Vaterpersönlichkeit neben einer zarten leidenden oder früh
dahingehenden Mutterfigur der Phantasie das beste Material geben.
Im Kampfe gegen den Vater und für die Mutter siegt das
Verweigern pünktlicher Pflichtarbeit und bürgerlicher Berufswahl. An
der Seite der unterdrüdcten Weiblichkeit nimmt der Knabe teil an
deren Trostgewinnen durch Gedankenentschädigung und Gefühls^
exzeß und an der Flucht vor dem männlichen väterlichen Tyrannen.
Konnte ich dieses beschriebene Verhältnis an dem Erstlings-
werke Jakob Wassermanns1 als Inhalt der Dichtung, respektive der
Phantasie des dichtenden Jünglings erweisen, so gibt mir Max
Dauthendeys Werk »Der Geist meines Vaters«2 eine schöne
autobiographische Darstellung analoger Einstellungen voll interessanter
Details in die Hand.
Jahrelang nach dem Tode des Vaters geht der berühmt ge-
wordene weitgereiste Dichter, nachdem er sich in der Vaterstadt
wieder niedergelassen, daran, seinem Vater in seinem Buche ein
Denkmal zu setzen. Dieser Vater war ein angesehener Mann ge-
wesen, hatte die Daguerrotypie in Deutschland eingeführt, war
später in Petersburg reich geworden und arbeitete auch wissen-
schaftlich auf dem Gebiete der Photographie. Von ursprünglicher
technischer Begabung, war er ein aufrechter, nüchterner, unabhängiger
Mann der Wissenschaft, der vor der Natur und den Meisterwerken der
Technik gläubig niedersank, aber zeitlebens gänzlich amusisch, ohne
Verhältnis zur Kunst blieb. Er war eine Kraftnatur voll egoistischer
Tatkraft, ein zäher Arbeiter, jähzornig, rauh, leidenschaftlicher
Raucher und Schachspieler. Er war kein Stilist, konnte aber seinem
jüngeren Sohn, dem späteren Dichter stundenlang aus seinem reichen
1 Imago, Bd. 1.
2 Verlag Albert Langen, München.
Imago IV/6
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