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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 4.1916

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IV.4
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Reik, Theodor: Die Pubertätsriten der Wilden, [2]: über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.42097#0198
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190

Dr. Theodor Reik

zuerst ihren grausamen und dann ihren zärtlichen Gefühlen gegen
ihre Söhne freien Lauf lassen?
Die Neurosenpsychologie belehrt uns darüber durch die Auf*
klärung, die sie uns über die »zweizeitigen Zwangshandlungen der
nervös Erkrankten« geben konnte. In diesen Symptomen werden
nämlich zwei starke gegensätzliche Gefühle, jedes einzeln, das eine
dem andern folgend, befriedigt. Oft genug kommt in der einen
Zwangshandlung der Haß, in der zweiten die Liebe und Zärtlichkeit
zum schwer erkennbaren Ausdruck. Ebenso wie die Väter der
primitiven Völkerschaften versuchen es auch die Neurotiker, eine
Art von logischer Verknüpfung zwischen den beiden, einander feind*
seligen Tendenzen herzustellen.
Kehren wir zu den Todes* und Auferstehungsriten zurüdc,
so ergibt sich ungefähr folgendes Bild: die primitiven Väter deuten
durch sie ihren Söhnen an, sie seien bereit, die Jünglinge in den
Kreis der Männer aufzunehmen, doch nur unter einer Bedingung:
die jungen Leute müssen ihren inzestuösen und feindseligen Regungen
entsagen. Dies ist eine Conditio sine qua non und was der Jünglinge
harrt, wenn sie sie nicht erfüllen, zeigt deutlich genug die Todes*
drohung. Wir wollen uns nicht verhehlen, daß wir uns bei diesen
Riten bereits auf einer vorgeschrittenen Stufe der »wilden« Völker
befinden. Ursprünglich wurde wohl die Todesstrafe von den ergrimmten
Vätern wirklich vollzogen. Von der Tötung der Jünglinge und der
darauf folgenden starken Reue der Väter bis zu jener zweizeitigen
Ritenfolge, die etwa ausdrückt »Vir lieben euch, aber ihr müßt euch
von euren Infantilismen befreien«, ist ein weiter Weg in der
Entwicklung der Völker.
Als einer der wesentlichsten Züge, welche uns die Auferstehungs*
riten als Ausdruck zärtlicher Regungen ansehen lassen, erscheint
uns das Identifikationsstreben von Vätern und Söhnen. In den
Maskenfesten der Wilden, die nach der Erklärung von H. Schurtz1
auf die Knabenweihen zurückgehen, sehen wir vielfach die Voll*
Strecker dieser Weihen, also Priester, Erzieher oder ältere Männer,
mit hölzernen Masken, anderseits verbergen sich die Knaben
selbst hinter Masken und sonstigen Vermummungen,
Aus der unbewußten Identifikationstendenz erklärt es sich auch,
wieso in den Knabenweihen der totemistische Kult so sehr in den
Vordergrund tritt,- ist doch der Totem nichts anderes als das Urbild
des Vaters. Wie bei den Vätern läßt sich auch bei der Söhnegene*
ration ein Gefühlsgegensatz aufweisen, der in der zweizeitigen Rite
vom Tod und von der Wiederauferstehung zur Darstellung gelangt.
Der kleine Arpäd, dessen Analyse wirFerenczi verdanken2, erzählt,
wie er dem Hahn, der ihn gebissen, den Hals abschnitt. Später
setzten nun bei dem kleinen Blutrünstigen jene Identifikationsversuche

1 Schurtz, Altersklassen und Männerbünde, p, 105, 115 usw.
8 Vgl. die oben zitierte Arbeit.
 
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