Die Pubertätsriten der Wilden
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wollten, könnten sie sich nun jeden Tag durch Peniseinschneidungen
Blut entziehen. Es wird nicht zur Pflicht gemacht, aber wenn einer
der Knaben krank wird, glaubt man, es sei wegen des Unterbleibens.
Die Knaben werden durch Befolgung dieses wohlwollenden Rates
oft so schwach, daß sie nicht arbeiten können. Bei einem Jüngling,
der es täglich tat, kam es vor, daß er vor Schwäche im Walde nicht
weiter konnte und auch von den Männern, die ihn suchten, nicht
gefunden wurde. Eine Frau traf ihn zufällig, wie er »gleich einem
Schweine« — so realistisch drückt sich der kleine Bonifaz aus —
auf dem Boden weiter kroch,- sie trug ihn auf ihren Schultern heim.
Die Männer, in denen nun offenbar die Reue und der zärtliche
Anteil der ambivalenten Gefühlskomplexion siegte, sagten ihm nun,
er solle es nicht mehr tun. Der kleine Karesauinsulaner schloß
seinen Bericht mit den ehrlich entrüsteten Worten: »Die Männer
sind dumm, erst sagen sie, man solle es tun,- dann wieder, man
solle es nicht tun.« Der kleine Wilde hat sich dieses Diktums wahrlich
nicht zu schämen,- namhafte Gelehrte, die auf Deutschlands Uni11
versitäten Psychologie lehren, können es gleich ihm nicht aufgeben,
vom unbewußten Seelenleben die Logik des bewußten Denkver*
mögens zu erwarten und dort rein intellektuelle Vorgänge zu suchen,
wo latente Affekte die Hauptrolle spielen.
Wir haben gesehen, daß sich die Vätergeneration mit dem
Vater-Totem identifiziert und einen Erklärungsgrund dafür in den
mit der Vergeltungsfurcht verknüpften Gefühlen gefunden. Von seiten
dieser Vätergeneration nun stellen die Pubertätsriten eine Reihe von
feindseligen und homosexuellen Akten dar, die in dieser Ausprägung
der väterlichen Ambivalenz gegenüber den Jungen entspricht. Es
bleibt zu betonen, daß diese beiden Eigenschaften miteinander innig
verwachsen sind, so daß z. B. gerade in den so furchtbaren Marte*
rungen der Jungen sadistische und homosexuelle Tendenzen zu gleicher
Zeit als Motive aufgezeigt werden können wie so off in den Neu*
rosensymptomen, besonders deutlich in der Zwangsneurose1. Un*
zweideutiger noch tritt die homosexuelle Tendenz in den Zeremonien
der Aufnahme in die Männergemeinschaft hervor. Beim Urubunna*
stamm sitzen die Frauen ein wenig hinter den Männern im Lager
und der Jüngling geht bei den Männern vorüber und setzt sich bei
den Frauen nieder. Dann kommen zwei alte Männer, die zu ihm
im Verhältnis des Großvaters stehen, und führen ihn mit sich ins
Lager der Männer2.
Wir erkennen in allen diesen Riten die starke Tendenz, die
jungen Leute von ihren Müttern abzulösen und enger an die Männer*
gesellschaff zu fesseln, das durch das unbewußte Inzeststreben des
1 Die zärtliche Motivierung, welche neben der unbewußt feindseligen in diesen
Riten wirksam ist, wird von den Wilden selbst hervorgehoben, indem sie als
Zweck der Qualen angeben, die Knaben sollen dadurch stark, tapfer und aus*
dauernd werden.
2 Spencer and Gillen: The Northern Tribes of CentraRAustralia. p. 332.
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wollten, könnten sie sich nun jeden Tag durch Peniseinschneidungen
Blut entziehen. Es wird nicht zur Pflicht gemacht, aber wenn einer
der Knaben krank wird, glaubt man, es sei wegen des Unterbleibens.
Die Knaben werden durch Befolgung dieses wohlwollenden Rates
oft so schwach, daß sie nicht arbeiten können. Bei einem Jüngling,
der es täglich tat, kam es vor, daß er vor Schwäche im Walde nicht
weiter konnte und auch von den Männern, die ihn suchten, nicht
gefunden wurde. Eine Frau traf ihn zufällig, wie er »gleich einem
Schweine« — so realistisch drückt sich der kleine Bonifaz aus —
auf dem Boden weiter kroch,- sie trug ihn auf ihren Schultern heim.
Die Männer, in denen nun offenbar die Reue und der zärtliche
Anteil der ambivalenten Gefühlskomplexion siegte, sagten ihm nun,
er solle es nicht mehr tun. Der kleine Karesauinsulaner schloß
seinen Bericht mit den ehrlich entrüsteten Worten: »Die Männer
sind dumm, erst sagen sie, man solle es tun,- dann wieder, man
solle es nicht tun.« Der kleine Wilde hat sich dieses Diktums wahrlich
nicht zu schämen,- namhafte Gelehrte, die auf Deutschlands Uni11
versitäten Psychologie lehren, können es gleich ihm nicht aufgeben,
vom unbewußten Seelenleben die Logik des bewußten Denkver*
mögens zu erwarten und dort rein intellektuelle Vorgänge zu suchen,
wo latente Affekte die Hauptrolle spielen.
Wir haben gesehen, daß sich die Vätergeneration mit dem
Vater-Totem identifiziert und einen Erklärungsgrund dafür in den
mit der Vergeltungsfurcht verknüpften Gefühlen gefunden. Von seiten
dieser Vätergeneration nun stellen die Pubertätsriten eine Reihe von
feindseligen und homosexuellen Akten dar, die in dieser Ausprägung
der väterlichen Ambivalenz gegenüber den Jungen entspricht. Es
bleibt zu betonen, daß diese beiden Eigenschaften miteinander innig
verwachsen sind, so daß z. B. gerade in den so furchtbaren Marte*
rungen der Jungen sadistische und homosexuelle Tendenzen zu gleicher
Zeit als Motive aufgezeigt werden können wie so off in den Neu*
rosensymptomen, besonders deutlich in der Zwangsneurose1. Un*
zweideutiger noch tritt die homosexuelle Tendenz in den Zeremonien
der Aufnahme in die Männergemeinschaft hervor. Beim Urubunna*
stamm sitzen die Frauen ein wenig hinter den Männern im Lager
und der Jüngling geht bei den Männern vorüber und setzt sich bei
den Frauen nieder. Dann kommen zwei alte Männer, die zu ihm
im Verhältnis des Großvaters stehen, und führen ihn mit sich ins
Lager der Männer2.
Wir erkennen in allen diesen Riten die starke Tendenz, die
jungen Leute von ihren Müttern abzulösen und enger an die Männer*
gesellschaff zu fesseln, das durch das unbewußte Inzeststreben des
1 Die zärtliche Motivierung, welche neben der unbewußt feindseligen in diesen
Riten wirksam ist, wird von den Wilden selbst hervorgehoben, indem sie als
Zweck der Qualen angeben, die Knaben sollen dadurch stark, tapfer und aus*
dauernd werden.
2 Spencer and Gillen: The Northern Tribes of CentraRAustralia. p. 332.