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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 12.1901

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Höpfner, Hugo: Etwas über die Wohnlichkeit, [3]
DOI Artikel:
Becker, Marie Luise: Aus der Manufacture Nationale des Gobelins
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https://doi.org/10.11588/diglit.6714#0072

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März-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 57.

Gute Portieren und Vorhänge sind ebenso schwer

zu

bekommen, wenn man nicht über grosse Mittel verfügt. Es
ist dies, wie gesagt, sehr zu bedauern, denn gerade Teppiche,
Stoffe und Tapeten machen die Stimmung im Zimmer, sie
machen es gemütlich und so sehr sich Jeder freuen muss,
dass das neue Kunstgewerbe mit vielem alten Plunder auf-
räumt, so darf uns doch unsere Gemütlichkeit nicht verloren
gehen, und dies kann leicht der Fall sein, wenn nach dem
Prinzip der einfachen Praktischkeit vorgegangen wird.

Was uns bei den modernen Einrichtungen gefällt, ist ausser

den neuen Ideen doch zum Teil auch die Gediegenheit des
Materials, und die vollendete künstlerische Ausführung, die ihnen
zu teil wird. Bis aber der kleine Handwerker und der Massen-
Fabrikant so arbeiten, kann viel Zeit vergehen. Sich neu ein-
zurichten, haben nur Wenige die Mittel, und um Neues in einer
alten Einrichtung zu verwenden, dazu gehört viel, sehr viel
Geschmack, Takt und Verständnis, all dies kann man nicht ohne
Weiteres von jedem Sterblichen verlangen, und deshalb refor-
miere Jeder vorsichtig seine Wohnung, sonst zerstört er sich
seine Gemütlichkeit — wenn welche da ist! h.Höpfner, Strassb.i.e.

Aus per Manufacture nationale pes Gobelins.

Von Marie Luise Becker.

! künstlerischen Wand - Teppiche bedeuten
die Ruhmestitel französischen Kunstgewerbes.
Noch heut sind sie, gestützt auf ein glänzend
geschultes künstlerisch vorgebildetes Arbeiter-
und Zeichner-Personal imstande, die Kon-
kurrenz mit allen grossen ausserfranzösischen
Fabriken aufzunehmen. Freilich nimmt die
Manufacture nationale diese Konkurrenz nur im künstle-
rischen Sinne in Anspruch, denn sie arbeitet nicht für den
Markt. Sie ist die ideale Verkörperung französischen Kunst-
sinnes und französischen Geschmackes, die Musterschule der
Meister, aber ihre Wirkereien sind keine käuflichen Kunst-
Gewebe, sondern einzig und allein Geschenke, die die Grande
Nation sich als kostbaren Sport leistet. Der Franzose liebt
keine »nackten Wände« in seinen öffentlichen Gebäuden;
wie in keinem anderen Volke hat sich bei ihm diese Ge-
schmacksfinesse erhalten, die ihren Ursprung im frühen
Mittelalter haben dürfte. Die Kreuzfahrer und Handelsfürsten,
aus dem Orient heimkehrend, sehnten sich, die düsteren
Ritterburgen mit belebenden Farben zu schmücken, die kalten
Steinwände durch einen farbigen Stoff-Effekt behaglicher und
traulicher zu machen. Gerade der Stoff-Effekt spricht hier
wesentlich mit, eine Wand-Malerei würde im winterlichen
Klima des nördlichen Kulturgebietes diese trauliche Stimmung
nicht hervorrufen. Und so ging auch die Kunstwirkerei des
Wand-Teppichs vom Norden nach dem Süden, wenigstens
im Motiv der Bildgewebe. Die Gobelins der Manufacture
nationale sind Haute-lisse-Arbeiten für die Pariser Wand-
Teppiche, Basse-lisse für die Möbel-Bezüge, die in Bauvais
gefertigt werden. Die Leinenfäden der Kette sind für haute-
lisse in einen horizontalen Webstuhl gespannt und arbeitet
der französische Wirker mit keilförmigem hölzernen Spul-
schiffchen, das in verschiedenen Farbenskalen Wolle oder
Seide auf dem Stäbchen hat. Auf die Leinenkette ist r

schwarzen Konturen

Kart.
Färb

die Zeichnung übertragen, der kolorierte
°n steht neben dem Arbeitenden und bleibt es seinem

und Formensinn überlassen, die Ideen und Farben-
empfindungen des Malers in die Wirktechnik zu übertragen
und in den Farben seines Materials das Vorbild wiederzugeben.
Das ist ein starkes Individualisieren. Nun ist man leider in
Frankreich, fussend auf eine ungeheuer sichere Technik und
eine raffinierte Kenntnis des Materials, auch heute'noch zu
sehr darauf aus, malerische Effekte in stofflichem Material zu
erreichen. Die Erfahrung aber hat uns belehrt, dass nur eine
bestimmte Farbenskala licht-echt ist, und dass sich der Künstler
auf sie beschränken sollte. Durchführen lässt sich freilich
ein so ausserordentlich neues Prinzip nicht in kurzer Zeit,
denn die Ausführung eines Gobelins nimmt 3—4 Jahre «1
Anspruch, weil die französische Manufaktur auf sehr dichter
Kette arbeiten lässt. Dabei bleibt das Stück in den Hände

eines Meisters, der Interpret, nicht Kopist des Werkes ist
und immer unter dem Einfluss seiner eigenen Geschmacks-
richtung bleiben wird. Der Name Gobelin, den heute der
Franzose mit so grossem Stolze nennt, der volkstümlich auch
bei uns für Bildgewebe geworden ist, ist der Familienname
der Weber und Schönfärber, zweier Brüder Gobelin, die um
1470 aus Holland nach Paris einwanderten und in der
Faubourg St. Martin an der Bievre eine kleine Fabrik er-
bauten. Den Wassern dieses Flüsschens schreibt die Sage
einen günstigen Einfluss auf die Farben zu. In jener Zeit
waren Bildgewebe für Schlosswände und Zelte ein notwen-
diges Material für den fürstlichen Hausstand und bedeuteten
die Auslagen für ihre Anschaffung eine ansehnliche Ziffer
in den königlichen Budgets. So war es thatsächlich eine
wohl berechnete Ersparnis, wenn die Könige diese Teppiche
in eigenen Fabriken anfertigen Hessen. Franz I. gründete
deshalb die Ateliers in Fontainebleau, in denen auch später
die Rubens-Teppiche, das Leben der Maria von Medici ver-
herrlichend, ausgeführt wurden. Aus einer Verschmelzung
mehrerer solcher Ateliers entstand nach und nach die Manu-
facture royale, der Ludwig XIV. dann die feste Gestalt gab,
die sie heute im Wesentlichen nach hat, wenn sie auch statt
der Lilie das R. F. trägt. Durch eine unendlich innige Ver-
bindung von Kunst und Handwerk, wie er sie geschaffen,
konnten die Erfolge der Jetztzeit in dieser nicht allzu bild-
samen und weichen Technik erzielt werden. Nur im Aus-
leben und Ausreifen vieler Epochen konnte sich dies raffinierte
Gemisch von Kunst und Technik, von malerischer und
dekorativer Wirkung entwickeln, das wir heute Gobelin
nennen. Die Manufaktur ist wie ein bis auf's Kleinste durch-
gestimmtes Orchester, das die Vollkraft seiner Klangfülle
erreichen wird, wenn es sich von einer im Laufe der Jahr-
hunderte allzuweich abgeschliffenen Nuancierung loslöst und
sich bewusster noch der Ausnutzung des Stoff-Effektes zu-
wendet. Dass man diese Ziele bereits erkannt, bewiesen die
Ausstellungs-Stücke neueren Datums, mehr noch lassen die
auf dem Webstuhl befindlichen für spätere Jahre erhoffen.
Auch in den echten, reinen Farben, die man heute anzu-
wenden beginnt, nachdem lange Jahrzehnte ein verblichenes
Grau zum Haupt-Ton geworden war, lässt sich eine szenische
Darstellung in der raffinierten Weise wiedergeben, wie es für's
erste einzig die Manufacture nationale kann mit ihren aus
sechsjähriger Lehrzeit hervorgegangenen Meistern, ihren un-
beschränkten Mitteln und einem wirktechnischen Verfahren
von unendlicher Feinheit. Die Dichtigkeit der Kette mit den
nordischen und norddeutschen Wirkereien verglichen, die auf
eine alte Heimatkunst und keine Hofkunst im strengsten Sinne
zurückgreifen, verhält sich wie die Zahlen 11 zu 5 und 7 zu 8
und liegt in dieser Dichte die total verschiedene, auch auf an-
derer Basis beruhende künstlerische Wirkung der Teppiche. —
 
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