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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 12.1901

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Was uns die japanische Kunst noch sein kann
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https://doi.org/10.11588/diglit.6714#0161

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Seite 136.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

August-Heft.

Keller -Geschoss. Erd-Geschoss. Ober-Geschoss.

Architekt Karl Müller, Hannover: Wettbewerb; Wohnhaus eines Kunst-Freundes. Aus der engeren Wahl: Motto: Villa »Maecenas«

studiere daher mit Freude und Staunen immer wieder die
Werke dieses einzigen Volkes, versenke sich in die jungfräu-
liche Zartheit, in den stillen Frieden, in den unsäglichen Zauber
dieser Kunst. Man fürchte sich nicht, man gebe sich hin,
ohne Bedingung, ohne Beschränkung; erst so erschliesst sich
ihr Wesen und die Folge ist eine unvergleichliche Wieder-
geburt des eigenen Willens. Dann ist auch von Nachäffung
nichts zu befürchten — die Werke sind dazu zu heilig, zu
unantastbar, dazu hat man ihren innersten, unübertragbaren
Wert zu wahr erkannt — aber das, was dahinter steckt, das
nahm man auf; die Folge ist eine Fülle neuer Gesichtspunkte,
verfeinertes Können und nicht zum mindesten eine unüber-
windliche Lust am Schaffen. Denn siehe — es ist alles neu
geworden. Die gebundenen Geister werden befreit. Und es
wird dann eine Reinigung, eine Trennung stattfinden. Es
wird viel Aeusserliches, Spielerisches geschaffen, viel Nach-
ahmung, für das eine ernste, grosse Bewegung scheinbar den
Deckmantel abgibt. Man wird ernster, strebender, offener
werden; denn man braucht nichts mehr zu fürchten. Und
die das nicht thun, werden ausgeschlossen, da das Publikum
zu ihren Machwerken nicht mehr Ja und Amen sagt. Alles,
was den Schein, nur den Schein des Neuen hat, wird nicht
mehr als vollkommen gelten; man wird ihm nicht zujubeln,
da das Urteil nicht mehr fehlt. Dann kann man allem Neuen
den Weg öffnen, ohne fürchten zu müssen, dass man sich
selbst preisgibt. Man hat genug Festigkeit in sich. Alles
pulsiert lebhaft. Man ist keiner Kulturbestrebung schutzlos
preisgegeben; man wird nicht gleich ratlos, wenn etwas Neues
energisch pocht. Man kann ja immer Eigenes dazu geben.
Man hat nichts versäumt, man hat nichts nachzuholen; man
lehnt nichts ab, man fällt auch keinem Einfluss ohnmächtig
anheim. Ueberall ist Sicherheit, Ruhe und ruhiges Schaffen.

Es ist wahr: Man wollte den Stillstand in unserer Kunst-
entwickelung beseitigen — unter allen Umständen. So hiess
man vieles gut, was nicht gutzuheissen war, was nur Laune
des Augenblicks war. Man arbeitete nur so darauf los, warf
auf den Markt. Der Schein der Originalität ersetzte den
wirklichen Wert. Da wird von nun ab eine reinigende Wir-
kung einsetzen; vieles wird sich von selbst ausscheiden;
manches gewaltsam entfernt werden; manches einfach ver-
kommen. Die Spreu sondert sich von dem Weizen.

Es wird ein freierer Boden geschaffen werden; unsere
heutige Kunst — von einem höheren Standpunkt gesehen —
ist recht einseitig, so vieldeutig sie auf den ersten Blick auch
scheint. Es wird dann vieles, was heute den Anspruch auf

lärmende Anerkennung macht, anspruchslos in die Welt treten
und dann eine tiefere Wirkung ausüben. Viel reichere Be-
ziehungen, viel umfassendere Deutungen werden sich zeigen.
Ein Leben wird sich offenbaren, wo vorher — günstigst
beurteilt — ein Arbeiten war; ein Schaffen, wo vorher ein
Spielen war. Man wird von der japanischen Kunst nicht
mehr so laut reden wie man es ehedem that. Sie wird hinter
die Kulissen treten. Nur wer feine Ohren hat, wird ihre
Arbeit hören; nur wer scharfe Augen hat, ihre Thätigkeit
verfolgen können. Indem wir so diese fremde Kunst, von
der wir Gutes haben können, in unser persönlichstes Leben
einführen, wo wir ganz mit uns allein sind, indem wir sie
uns so dienstbar machen — überwinden wir sie. Dann wird
eine Bewegung anheben, deren Ende nicht abzusehen ist; sie
wird nicht eher ruhen, als bis etwas Vollkommenes, eine
Kultur, ein ewiges Bild unseres Selbst geschaffen ist. Voll-
kommen und abgeschlossen wie die Kunst, deren innerster
Sinn uns Anregung und Ermunterung war. Der Anblick
des Vollkommenen weckt die Vollkommenheit. Wenn man
genau zusieht — man muss mit offenen Augen schauen —
wird man vielleicht Anregungen schon jetzt spüren; in dem
grossen Garten, in dem viel Unkraut treibt, junge, reine
Blüten. Es wird sich zeigen, dass aus dem Wust des Neuen
manches bleibt, was man — so — heute noch nicht wertet.
Van de Velde gehört in dieses Kapitel. Viel Arbeit, viel
Erkenntnis wird dazu gehören, Arbeit an uns selbst, Erkenntnis
unserer Selbst. Dazu helfe uns diese fremde Kunst, indem
sie uns immer wieder mahne und wecke.

Späte — ganz späte — Zeiten werden dann vielleicht
erkennen, dass hier eine Erneuerung ausging, die sich der
Renaissance-Bewegung an die Seite stellen darf. Sie werden
uns danken, dass wir die Quelle offen hielten und dass wir
aus der Masse des Zufälligen den Weg zu dem »Muss« fanden.
Dann hat die japanische Kunst — aber auch dann erst —
ihre Mission für uns erfüllt. ä Ernst Schur—München.

Im Anschlüsse an diesen Essay machen wir auf das so-
eben im Verlag von Hermann Seemann Nachfolger in Leipzig
erschienene Werk des gleichen Verfassers: »Von dem Sinn
und der Schönheit der japanischen Kunst« aufmerksam (Mk. 2.).
In einer Reihe kürzerer Aufsätze sucht Schur, wie er sich
ausdrückt, »die Quintessenz des Willens in dieser fremden
Kunst« zu geben. Die in dem Werke nur gestreifte Frage:
das Verhältnis der japanischen Kunst zu unserer Kunst, zu
unserer Kultur, findet in der vorstehenden Abhandlung eine
eingehendere Behandlung und Beantwortung, die Redaktion.
 
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