Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 12.1901

DOI article:
Habich, Georg: Bruno Paul als Dekorativer Künstler
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6714#0233

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Dezember-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 201.

Bruno Paul—München.

Speise-Zimmer in der Villa des Künstlers.

das Groteske mit Bewusstsein als solches verwendet, nicht
aber dem Eindruck unterliegend, irgend einen mystischen
Sinn damit verquickt, darin liegt wieder das gesunde Moment,
das ihn von gewissen unfreiwillig komischen Erscheinungen
der Moderne wesentlich unterscheidet.

Mag Paul englische Lords oder Dachauer Bauern, Kon-
sistorialräte oder Staatsanwälte aufs Korn nehmen: immer
behält seine Karikatur einen Stich in jenes Genre, das der
Engländer »excentric« nennt und das bei ihm bisweilen bis
zum Niggerhaft-Ungeschlachten ausarten kann. Man wird
diese Zerrbilder nicht selten brutal und übertrieben finden,
immerhin ist diese Art von Anglicismus erträglicher als jene
halb englischen, halb asiatischen Perversitäten, die (mit einem
sehr spezifischen Witz mehr papriciert als gesalzen) von den
Nachahmern eines Beardsley und George de Feure dem guten
deutschen Publikum allwöchentlich serviert zu werden pflegen.

In engem Zusammenhang mit seiner Illustrations-Kunst
steht Paul's weniger bemerkte, aber nicht minder bedeutende
Thätigkeit auf dem Gebiete des Buchschmucks. Gleich sein
erstes Umschlagblatt, das er für den Langen'schen Verlag in
München entwarf, der Titel des ersten Halbbandes vom
»Simplicissimus« mit einem gross umrissenen Hahn — schwarz
auf rotem Grund — lässt seine Richtung aufs Plakatmässige,
Fernhinwirkende auch hier erkennen. Wenn Einfachheit
Grösse ist, so ist sie es hier im höchsten Maasse. Man kann
den Umriss auch komplizierter Gegenstände — man ver-
gleiche das Segelschiff auf der Decke von Maupassant's in
gleichem Verlag erschienenen See-Novellen — kaum mehr
vereinfachen als es hier geschah. Immer aber bleibt die
stilisierende Abstraktion frei von jeder Willkür und Schul-
meistere!; sie entwickelt sich vollkommen auf Grund scharf-
äugiger Beobachtung des Natur-Objekts; um es deutlicher zu

sagen: vor allem in schärfster Erfassung der Bewegung.
— Ein prachtvolles Beispiel hierfür bildet die köstliche Um-
schlagdecke, die der Künstler für Ludwig Thoma's rasch
bekannt gewordenes Bauern-Drama »Die Medaille« in einer
dem kerngesunden Ethos des Stückes kongenialen Weise ent-
worfen hat. Zwei raufende Bauern, das Schluss-Tableau des
Einakters, bilden den Vorwurf, welchen der Künstler, dem
ornamental-dekorativen Zweck entsprechend, zu vignetten-
artiger Geschlossenheit konzentriert hat. Und welches Leben
in dieser Konzentration! Die grossartig ausladende Silhouette
dieser beiden kleinen Figuren lässt ahnen, was für Motive
monumentaler Art in dem fast nur zu genrehaften Kleinig-
keiten ausgenützten Bauernleben noch ungehoben liegen.
Die Grösse der Geberden, die Drastik des Ausdrucks,
die Wucht der Bewegung, dieses ungeschlachte, von aller
Theatralik freie Pathos, das sich dem schärfer beobachtenden
Auge hier enthüllt, hat in Deutschland seinen Manet noch
nicht gefunden. Gern möchte man unserem Künstler Muse
und Gelegenheit wünschen, seine gerade auf diesem Gebiet
so erstaunlich offenbarte Beobachtungsgabe und diese, wenn
auch bisher nur im Grotesken bewiesene Grösse der Auffas-
sung, statt nur mit dem Stifte des Karikaturisten, auch mit
den ihm so reich zu Gebote stehenden malerischen Mitteln
zur Darstellung bringen zu können. Vielleicht, dass der grosse
Existenzmaler des Bauernlebens, Wilhelm Leibi, in dem
dramatischen Schilderer Paul ein nicht unwürdiges Seitenstück
bewegterer Art erhalten würde.

Bruno Pauls Thätigkeit auf dem goldenen Boden des
Kunsthandwerks war, obwohl der Künstler selbst sie als
Nebenbeschäftigung betrachtet, äusserst fruchtbar und viel-
seitig. Es ist nicht das geringste Verdienst der Münchener
Vereinigten Werkstätten, denen Br. Paul vom Anfang ihres
 
Annotationen