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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Kurth, Betty: Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0055
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Betty Kurth Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient

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Es sind verschiedene Versuche gemacht worden, den Stil Altichieros abzuleiten. Schub-
ring69) hat die paduanische Kunst, insbesondere die Werke Guarientos, als Vorstufe für ihn
erklärt. Manteuffel 70) versucht, toskanische Einflüsse nachzuweisen. Uns scheinen beide
Hypothesen wenig- Überzeugendes zu haben. Analogien mit den Werken Guarientos sind
kaum vorhanden und gerade im Vergleich mit der toskanischen Kunst scheint uns Alti-
chiero seine spezifisch veronesische Eigenart zu dokumentieren.

Es kann natürlich keinem Zweifel unterliegen, daß die neuen Errungenschaften der
giottesken Kunst auch in Verona rezipiert wurden, doch dürfte diese Rezeption sich schon
vor der Mitte des XIV. Jhs. vollzogen haben, zu einer Zeit, aus der uns markante Denk-
mäler nicht erhalten sind. Ein direkter Einfluß der giottesken Künstler auf Altichiero ist
jedoch in nichts begründet71).

Betrachten wir die Werke Altichieros und seiner Schüler. Die Umrißlinien sind ver-
schwunden. Die Gestalten sind kräftig modelliert. Die Farbe bekommt die endgültige Funk-
tion, die Objekte ihrem natürlichen Aussehen näher zu bringen. Von der schematischen,
zeichnerischen Gesichtsbildung ist kaum mehr eine Spur vorhanden. Die Köpfe sind plastisch
durchmodelliert, die Gesichtszüge kräftig individualisiert. Man betrachte z. B. die Zuschauer-
menge bei der Leichenfeier der hl. Lucia (Fig. io)72). Die Anfänge der Porträtnachbil-
dung in S. Fermo haben sich hier beinahe zu wirklicher Porträthaftigkeit entwickelt, wie
sie weder bei Guariento noch in der toskanischen Kunst je vorhanden war. Es werden
uns reiche in die Tiefe gerichtete Architekturprospekte und geschlossene Kompositionen
geboten. Mit minutiöser Deutlichkeit wird jedes Detail wiedergegeben, das gotische Maß-
werk der Fenster, die Dekoration der Säulchen und Kapitäle. Es sind freilich nur einzelne
der Wirklichkeit abgelauschte Motive, die zu ganz phantastischen, mit Dekoration über-
ladenen Bauwerken zusammengesetzt werden.

Zahlreiche genreartige Züge verleihen den religiösen Stoffen einen weltlichen Charakter.
Überall sind naturalistische Einzelbeobachtungen, Tierdarstellungen, Szenen des alltäglichen
Lebens eingestreut. Wie z. B. auf der Kreuzigung in der Kapelle S. Feiice ein Hündchen,
das im Vordergrund an einem Bach trinkt, die junge Mutter, die ihr Kind an der Hand
führt, der Arbeiter mit dem Werkzeug über der Schulter u. a. m.

Wir sehen also bei der Altichieroschule zwei charakteristische Kennzeichen der vero-
nesischen Kunst, die wir schon bei den frühesten Werken beobachten konnten. Die Vor-
liebe für Profandarstellungen und die Neigung zu naturgetreuer Wiedergabe
der Objekte. Der Einfluß der Schule läßt sich bis um das Jahr 1400 in Verona nach-
weisen. Eines der letzten datierbaren Werke dieses Stils ist das Adorationsbild der Cavalli
in S. Anastasia.

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Gleichzeitig jedoch mit dem Auftreten Altichieros und seiner Schule können wir eine
zweite Kunstströmung in Verona beobachten. Und wenn wir den Stil des ersteren als
monumental bezeichnen dürfen, so zeigt die letztere einen mehr intimen und lieblichen
Charakter.

Es handelt sich um eine Miniatorenwerkstatt, die im letzten Viertel des XIV. Jhs. in
Verona blühte und die ich nach ihren Hauptwerken die Werkstatt der Tacuina sani-

so) P. Schubring: Altichiero, pag. 90 ff. mir viel diskutabler. Insbesondere Ambrogio Lorcnzetti hat

70) Kurt Zoege v. Manteuffel: op. cit. pag. 79. manche Züge mit Altichiero gemeinsam.

") Die Annahme eines sienesischen Einflusses scheint '-) Von Schubring dem Avanzo zugeschrieben.

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