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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Kurth, Betty: Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0091
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Betty Kurth Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient

Trient.

Bevor wir jedoch diesem allgemeinen Problem nähertreten, ist es notwendig-, daß wir
nach dem langen Exkurs wieder zu den Monatsbildern im Adlerturm zu Trient zurück-
kehren und versuchen, ob wir ihnen im Gang der geschilderten Entwicklung eine Stelle
anzuweisen vermögen. Vor allem ist die Hypothese Fogolaris zu überprüfen, der die Fresken
einem veronesischen Künstler, einem Vorläufer Antonio Pisanos, zuschreibt.

Daß wir in den Malereien ein Produkt des neuen Stiles zu sehen haben, bedarf nach
dem Ausgeführten kaum mehr eines ausführlichen Beweises. Alle Merkmale der großen
Wandlung, die sich in der Kunstentwicklung Oberitaliens um die Wende des XIV. und
XV. Jhs. vollzogen hat, treten uns in ihrer ausgeprägtesten Form hier entgegen. Neben
geringfügigen konventionellen Überresten einer älteren Zeit zeigt sich überall offenkundig
das neue Streben nach realistischer Naturwiedergabe. Die schneebedeckten Gefilde der
Winterlandschaft, der blühende Frühling, das Welken der herbstlichen Natur, sind mit
der gleichen objektiven Treue darzustellen versucht. Der Ackerboden wie die blumige
Wiese, der Wald wie das Getreidefeld, der Weinberg wie das Gemüsebeet, sie alle sind
unmittelbar der lebenden Natur abgelauscht. Die Blüten und Gräser, die Blumen- und
Blattformen, die einzelnen kleineren und größeren Tiere sind in ihrer Eigenart gut
beobachtet und treffend charakterisiert. Man betrachte z. B. die fruchtbeladenen Obst-
bäume im untersten Bildplan des August (Taf. VIII 2). Mit bewundernswürdiger Detail-
treue sind hier die einzelnen Obstsorten nach Blättern und Früchten geschieden. Apfel-
und Birnbäume, ein Weinstock und ein Haselstrauch mit reifenden Früchten sind deutlich
gekennzeichnet. Oder man betrachte die beiden Hunde im Mittelplan des Juni (Taf. VII),
zwei Dackel, die am Boden schnüffelnd, der Spur von Rebhühnern folgen; wie vorzüg-
lich ist ihre eigentümliche Bewegung, Haltung und Gangart erfaßt. Oder die Zugochsen
vor dem Pflug im April (Taf. IV 1) oder den Falken, der ein Wildhuhn in den Fängen
hält (Taf. IX 1) usw. Überall dasselbe liebevolle Eingehen auf gut beobachtete Neben-
sächlichkeiten.

Nicht mindere Sorgfalt ist auf die Darstellung der einzelnen Figuren verwendet. Mög-
lichste Treue der Wiedergabe in Bewegung und Stellung ist auch hier angestrebt. Es sei
insbesondere auf die Feldarbeiter bei der Gras- und Getreideernte hingewiesen (Taf. VIII 1,2)
oder die Holzfäller auf dem Bilde des Dezember (Taf. X 2). Sie alle bieten uns eine Fülle
von Variationen der Bewegung und Haltung, die das deutliche Bestreben verraten, der
Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen. Wie scharf beobachtet und charakterisiert ist
z. B. auf dem Bilde des April (Taf. IV 1) das ruhige Schreiten des pflügenden Bauern, im
Gegensatze zu der lebhaften Bewegung des Knechtes, der die Pferde mit der Peitsche an-
treibt. Oder das Lossprengen der Ritter im Turnier (Taf. III 2) u. a. m.

Schließlich sollen auch die reichen Modekostüme und höfischen Zeittrachten nicht un-
erwähnt bleiben, die überall, und zwar in mannigfachen Modifikationen wiedergegeben sind.
So wechseln z. B. bei den Männern kurze Wämse mit langen am Boden nachschleppenden
Brokatmänteln, bei den Frauen die lang herabwallenden Ärmel mit ganz engen und sack-
ähnlichen. Fransen- oder Zackenaufputz, goldene Borten oder vielfarbige Schnüre zieren
die prunkvollen Gewänder. Mit detaillierter Deutlichkeit sind sogar die Zeichnungen und
Musterungen der Brokatstoffe wiedergegeben. Kurz, alle diese Einzelheiten weisen uns auf
nahe Beziehungen zu unmittelbaren Vorbildern aus der Wirklichkeit.
 
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