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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Kurth, Betty: Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0092
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Betty Kurth Ein Freskenzyldus im Adlerturm zu Trient

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Bei diesem eingehenden und gewollten Naturalismus überrascht es uns um so mehr, zu
sehen, wie unbeholfen und mangelhaft die Perspektive noch überall erscheint. Das Raum-
problem tritt vollständig hinter der Detailschilderung zurück. Das vom untern ßildrande
steil ansteigende Terrain ist zwar durch die deutlich charakterisierte Gebirgslandschaft zu
motivieren gesucht, verrät uns aber dennoch das Unvermögen des Künstlers, eine auf die
Bildfiäche normale Ebene perspektivisch verkürzt wiederzugeben. Die Landschaft ermangelt
dadurch der Vertiefung. Der Horizont ist auf ein schmales Stück Himmel beschränkt und
die Komposition wird zu einem streifenförmigen Übereinander, dem ein gemeinsamer
Augenpunkt fehlt. Auch die Gebäude und Architekturen zeigen nirgends die geringste
systematische Kenntnis von den Regeln der Linearperspektive. Am deutlichsten jedoch
offenbart sich der Mangel an Raumgefühl in den krassen Mißverhältnissen, die zwischen
den menschlichen Gestalten, den Pflanzen und Architekturen bestehen. Die Architekturen
sind fast überall zu klein für die Menschen. Man vergleiche die tafelnde Gesellschaft auf
dem Maibild (Taf. IV 2) im Größenverhältnis zu der links befindlichen Stadt oder die
Sennerinnen neben ihren Almhütten (Taf. VI) usw.

Nirgends sind die relativen Proportionen angemessen. Noch weniger kann von malerischer
Perspektive die Rede sein. Die Veränderungen der Objekte und ihres Kolorits durch die
Beleuchtung, die Variationen der Luftstimmung, das Verschwimmen der Ferne sind in
keiner Weise wiederzugeben versucht. Die entfernter gelegenen Gegenstände im obersten
Bildplan, die Bäume oder Häuser auf den Bergen, sind mit derselben detaillierten Deutlich-
keit in all ihren Einzelheiten gekennzeichnet, wie die dem Beschauer am nächsten gelegenen
Objekte148). Und so naturalistisch auch z. B. das kleine Dorf im April (Taf. IV 1) beobachtet
erscheint, so wenig vermag es uns auch nur die geringste Illusion der Wirklichkeit zu
geben. Aus einzelnen Naturbeobachtungen wurde das Landschaftsbild mosaikartig zusammen-
gesetzt. Einen einheitlichen naturalistischen Gesamteindruck empfangen wir nirgends.

Kurz, so bildet die Landschaft gewissermaßen nur den Rahmen für die mannigfachen,
dargestellten Tätigkeiten und tritt ganz hinter dem gegenständlichen Interesse zurück149).
Wir konnten etwas Ähnliches in den veronesischen Werken des neuen Stiles beobachten.
Bei den Arbeiten der Tacuina-Werkstatt wurde die landschaftliche Vedute durch die er-
höhte Sachlichkeit der Darstellungen auf ein Minimum reduziert und noch um die Mitte
des XV. Jhs., bei Antonio Pisano, fanden wir ein Vorherrschen des naturalistischen Details,
ein Überwiegen des Gegenständlichen gegenüber den Raumproblemen.

In diesen letzten Beobachtungen, in der geschilderten Neigung zu realistischer Wahr-
haftigkeit und in der Freude an weltlichen und höfischen Darstellungen haben wir allgemeine
Berührungspunkte zwischen den Malereien in Trient und der Kunst Veronas gefunden.
Ein direkter Vergleich im einzelnen lehrt uns jedoch, auf Grund stilistischer Ähnlichkeiten
und Übereinstimmungen noch engere Beziehungen zu diesem Kunstzentrum festzustellen.

Die Darstellung der Gebirgslandschaft findet Analogien in der Trecentokunst Veronas.
Ein Vergleich zwischen dem Felspanorama auf dem Maibild in Trient (Taf. IV 2) und der
ähnlichen Landschaft auf Altichieros Enthauptung des hl. Georg im Oratorio di S. Giorgio
zu Padua zeigt uns dieselbe in Draufsicht gezeichnete, schematische Bildung der Felsen,
zwischen denen kulissenartig ganz ähnlich charakterisierte Baumgruppen eingeschoben

l48) Die einzige Konzession, die der Künstler macht,
ist, daß er die im untersten Bildplan befindlichen Figuren
etwas größer zu bilden pflegt.

IM) Vergleiche Kau.au: Die tosltanische Landschafts-
malerei im XIV. und XV. Jh. Jahrbuch d. Samml. d.
Allerh. Kaiserhauses, Band XXI, pag. 45.
 
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