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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Kurth, Betty: Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0105
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Betty Kurth Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient

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Trachten mit einigen Jünglingen auf dem Maibild in Trient. Während die langen, schlep-
penden, häufig geschlitzten Mäntel mit den bis zum Boden herabreichenden offenen, oft
pelzverbrämten Ärmeln191) sowie die oben geschilderten Haar- und Barttrachten sich ganz
analog in einer Reihe französischer Handschriften finden192), von denen ich besonders zwei
hervorheben möchte, die wir mit Sicherheit vor das Jahr 1403 datieren können198). Es ist
dies eine Handschrift des Boccaccio: Des Cleres Femmes (de claris mulieribus)194) und eine
andere Fleur des Histoires de la Terre d'Orientl95), die beide, wie wir aus den erhaltenen
Rechnungen feststellen können, von Herzog Philipp dem Kühnen zu Neujahr 1403 bei
Jaques Raponde gekauft wurden190).

Nebst diesen Übereinstimmungen auf künstlerischen Denkmalen bieten auch einige
zeitgenössische Quellen Belege für unsere Datierung. Ich verweise hier insbesondere auf
jene Stellen in den „Pluemen der Tugent"197): der Dichtung Hans Vintlers, des Herrn von
Runkelstein, aus dem Anfang des XV. Jhs.198), wo dieser gegen die Mode der langen
Schleppen bei Männern und Frauen, gegen die breiten, pelzgefütterten Besetze, die zer-
schnittenen Säume, die Kränze in den Haaren usw. zu Felde zieht199). Eine Reihe anderer
Quellen, wie Luxusgesetze und Kleiderverordnungen, sind weiters bei Schultz zitiert200).

Wir gelangen also mit Hilfe der Trachtengeschichte zu einer engeren Datierung
unserer Malereien ins erste Jahrzehnt des XV. Jhs. Da auch unsere auf stilkritischer
Grundlage gewonnenen Resultate dieser engeren Umgrenzung nicht widersprechen, erübrigt
es noch, zu prüfen, ob auch die historischen Voraussetzungen für unsere chronologische
Einordnung gegeben erscheinen.

Wir müssen annehmen, daß ein kunstliebender Bischof, der das Kastell bewohnte, die
Malereien ausführen ließ, wie uns ja ähnliches von späteren Trientiner Bischöfen, ins-
besondere von Bischof Bernhard von Cles, durch zahlreiche Quellen überliefert ist. Unter
den Bischöfen, die im ersten Drittel des XV. Jhs. in Trient residierten, besitzen wir über
einen einzigen Nachrichten, die uns einerseits auf eine großzügige, eigenartige Persönlichkeit,
andererseits auf Interesse an Werken der Kunst schließen lassen. Es ist dies der bereits
mehrfach genannte Bischof Georg L von Liechtenstein201). Er war Probst zu St. Stephan in
Wien und wurde im Jahre 1390 zum Bischof von Trient gewählt. Wegen seines energischen
und überaus eigenwilligen Charakters war er während seiner Regierungszeit in mannigfache

191) Violt.et-le-Duc schildert diese Tracht (houppe- 19s) Paris. Bibliothüque Nationale. MS. fr. 12.201.
lande, ähnlich auch pelicon) als im Jahre 1390 allgemein Abbildung: Le Manuscrits II, pag. 177.

in Frankreich verbreitet. Sie wurde im Winter zum Schutz 190) Paut. Durrieu: Manuscrits de luxe executes pour

gegen die Kälte oder zu festlichen Anlässen getragen. des Princes et des Grands Seigneurs francais. Le Manu-

Vergl. Violi.et-le-Duc: Dictionnaire Raisonne du mobilier scrits II, pag. 167, wo die betreffenden Belege zitiert sind,

francais de l'epoque carlovingienne ä la Renaissance. Paris 197) Ignaz v. Zingert.e: Die Pluemen der Tugent

1874 III, pag. 462 ff. des Hans Vintler. Innsbruck, Wagner 1874.

192) Auch die dicken um den Hals oder die Schultern 19S) Hans Vintler, der Bruder des Niclas Vintler, starb
gelegten Ketten, wie sie auf dem Juni erscheinen, finden bereits 1415.

sich in französischen Handschriften um 1400, während die 199) Zingert.E: op. cit. pag. 313 ff. Vers. 9397 fr.

turbanähnlichen Kopfbedeckungen mit den herabhängenden 20°) Schultz: op. cit,

Stoffenden nach den Ausführungen Viollet-le-Ducs bereits 201) Für die folgenden Daten vergleiche: Graf v. Bran-

F.nde des XIV. Jhs. in Frankreich auftauchen. Vergl. dis: Tirol unter Friedrich v. Österreich. Wien 1821. —

Viollet-le-Duc: Dictionnaire du mobilier III, IV. Egger: Geschichte Tirols I. — David v. Schönherr:

103) Es ist hierbei natürlich inBetracht zu ziehen, daß die Kunstgeschichtliches. Gesammelte Schriften Band I. — Al-

Moden, die in den Miniaturen dargestellt erscheinen, bereits fons Huber: Beiträge zur älteren Geschichte Österreichs,

einige Jahre früher in Frankreich allgemein getragen wurden. Zeitschrift des Ferdinandeums 18S5, pag. 401. — Falke:

m) Paris. Bibliotheque Nationale. MS. francais 12.420. Geschichte des fürstlichen Hauses Liechtenstein, Band I.
Abbildung Le Manuscrits II, pag. 161.

Kunstgeschichtliches Jahrbuch der k. k. Zentral-Kommission 1910 11
 
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