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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Kurth, Betty: Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0123
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betty Kurth Ein Freskenzyklus im Adlerturra zu Trient

Es ist bei dem engen Konnex zwischen Miniatur- und Monumentalmalerei fast selbst-
verständlich, daß dieselben nicht auf die Buchausschmückung- allein beschränkt blieben.

In den Wand- und Tafelbildern Oberitaliens sind fast überall dieselben Einflüsse be-
merkbar. Die kleinen Tafelbildchen tragen den Charakter vergrößerter Miniaturen. Ich
erinnere nur an die Madonna aus der Galleria Colonna zu Rom (Fig. 31) oder insbesondere
an die Madonna im Rosenhag in der Galerie zu Verona (Fig. 30), die alle geschilderten
Eigentümlichkeiten der französischen Kunst aufweist und überdies ein Motiv wiedergibt,
das bereits zu den einflußreichsten Kompositionen der französischen Livres d'heures aus
dem XIV. Jh. gehörte250). Im übrigen vergleiche man diese Bildchen auch mit französi-
schen ebenso genrehaft aufgefaßten Tafelbildern vom Ende des XIV. Jhs., wie z. B. mit
der rechten Tafel des Diptychons in der Sammlung des Lord Pembroke in Wiltonhouse
(Fig. 53), das durch das Proträt Richards II. von England vor das Jahr 1400 zu datieren
ist251), oder mit dem linken Flügel des Altärchens der Sammlung Carrand im Museo Nazionale
zu Florenz 252) (Fig. 54). Man wird dieselben holden Madonnentypen finden, dieselben lieb-
lichen, weich modellierten ovalen Köpfe, dieselben ins Ferne gerichteten Augen mit breiten
oberen Augenlidern und dieselben zierlichen gebrechlichen Finger. In ganz ähnlicher Art
ist das Tuch um den Kopf der Madonna geschlungen und die Faltengebung mit den wellen-
förmig geschwungenen Gewandsäumen ist hier und dort beinahe die nämliche.

An den Wandmalereien lassen sich ähnliche Züge beobachten. Die Fresken im Dom
von Monza, die Wandbilder im Palazzo Borromeo zu Mailand und die zahlreichen Malereien
in den piemontesischen Schlössern weisen denselben französisierenden Stil auf. Teils erinnern
sie an Miniaturen, teils ähneln sie im Stil den gestickten oder gewebten Bildteppichen und
Wandbehängen, mit denen man in Frankreich an Stelle der Wandmalereien während des
späteren Mittelalters die Wohnräume schmückte.

Manteuffel253) hat an einer Reihe von Beispielen die Zusammenhänge dieser späteren
oberitalienischen Kunst mit französischen Werken nachzuweisen versucht. Es gelang ihm,
Stilanalogien zwischen den letzteren und den Arbeiten der veronesischen Künstler, insbe-
sondere des Antonio Pisano, festzustellen. Auch hat er die große Bedeutung hervorgehoben,
die die Künstler am Hofe des Duc de Berry und unter ihren Arbeiten vor allem das Gebetbuch
von Chantilly für die Entwicklung der oberitalienischen Kunst des XV. Jhs. gehabt haben.

Es ist mir nun gelungen, einen neuen wichtigen Beweis für die Tatsache zu finden,
daß die Kalenderbilder dieses Gebetbuches, das den Brüdern von Limbourg zugeschrieben
wird, direkt und unmittelbar auf die Kunst Oberitaliens eingewirkt haben.

In der Biblioteca civica zu Bergamo befindet sich .ein .von uns bereits erwähntes Skizzen-
buch, das dem lombardischen Bildhauer und Architekten Giovannino dei Grassi zugeschrieben
wird2"4). Diese Zuschreibung gründet sich auf einen handschriftlichen Vermerk, der sich
auf Folio 4 befindet 255). Beim Durchblättern des Büchleins scheint es auf den ersten Blick, daß
die Zeichnungen nicht nur verschiedenen Schulen und Stilrichtungen angehören, sondern
auch aus verschiedenen Epochen stammen. Neben heraldischen, Randleisten- und Figuren-

25°) Elms Male: L'Art Religieux de la fin du 252) Michel: Histoirc de l'Art III, pag. 151.

moyen-äge en France. Paris 1908, pag. 152 fr. — Es unter- 253) Manteuffel: op. cit.

liegt kaum mehr einem Zweifel, daß auch die ähnlichen 254) Bergamo. Biblioteca civica VII, 14. Vergl. ToESCA:

Kompositionen der kölnischen Schule ebenfalls auf franzö- op. cit. Arte VIII, pag. 321 ff.

sische Vorbilder zurückgehen. 25:>) Johininus de grassis designavit. Vergl. ToESCA:

251) Vergl. L. Dimier: Les origines de la peinture op. cit. Arte VIII, pag. 332.
francaise. Les Arts 1905.
 
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