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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 12.1897

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Graef, Botho: Die Amazonenstatuen des Kresilas und Polyklet
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https://doi.org/10.11588/diglit.39821#0096
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Graef, Die Amazonenstatuen des Kresilas und Polyklet.

und Andere haben die Ähnlichkeit zwischen der Berliner Amazone und dem Dory-
phoros nie sehen können. Das scheinbare Zeugnis der Neapeler Bronzeherme fällt
fort: Kalkmann, Proportionen des Gesichts S. 19 und Furtwängler, Meisterwerke
S. 299. Jener Kopf ist allerdings von der Amazone durchaus zu trennen. Kalkmann
hat (Proportionen des Gesichts S. 63) auf Grund der Verhältnisse behauptet, dafs
die erhaltenen zwei Amazonentypen älter sein müssen als Polyklet. Ich mufs es
für jetzt dahingestellt sein lassen, wie weit seine Betrachtungsweise für beide Köpfe
mafsgebend ist, jedenfalls aber hat er mir die Augen geöffnet für den viel alter-
tümlicheren Charakter des Kopftypus der Berliner Amazone. Zugleich hat er mich
persönlich darauf hingewiesen, dafs die scheinbare Übereinstimmung der Stellung
dieser Figur mit dem Doryphoros eine durchaus unwesentliche und zufällige ist.
In der That hat die ruhende Haltung der Amazone mit der Schrittstellung
des Doryphoros nichts zu thun, ihr Bein ist nicht durch das Innehalten in der Be-
wegung entlastet, sondern dadurch, dafs der Körper auf eine Stütze gelehnt ist.
Der Unterschied würde mehr ins Auge fallen, wenn man die Amazone richtig auf-
stellte. Denn es kann doch kein Zweifel sein, dafs die Gewandfalten senkrecht
hängen müfsten, das ist aber bei keinem der mir bekannten Originale oder Abgüsse
der Fall. Es würde dann auch noch ein fernerer wichtigerer Unterschied mehr ins
Auge fallen, der, dafs trotz dieser zufälligen Übereinstimmung in der Haltung der
Beine, doch die Durchführung der Ponderation im Körper beider Figuren eine ganz
verschiedene ist. Die Amazone biegt kaum die Hüfte an der Standbeinseite aus
und, so weit man unter dem Gewände den Rumpf erkennen kann, erscheint er
nirgends zusammengedrückt oder verschoben, Dinge die doch gerade für den Dory-
phoros so sehr wesentlich sind. Auch der hoch erhobene Arm der Amazone scheint
keine Verschiebung im Oberkörper zu verursachen; durch Brüste und Hüften läfst
sich ein Rechteck legen. Die Amazone steht also auch hierin auf einem viel pri-
mitiveren Standpunkte als der Doryphoros, den man preisen oder verabscheuen
mag, dessen Stellung aber das Resultat überlegter und überlegener Kunst ist.
Ich halte es nach diesen Betrachtungen nicht mehr für wahrscheinlich, kaum
für möglich, die Amazone des Berliner Typus auf den Künstler des Doryphoros
zurückzuführen, wohingegen die Beziehungen zwischen dem Diadumenos und der
Amazone vom Capitolinischen Typus nur enger geworden sind. Ich sehe mich also
genöthigt, Polyklet für den Schöpfer der Capitolinischen Amazone zu halten.
Die Einheitlichkeit dieser Figur, bei welcher mit starkem künstlerischem
Takt alles aus dem Motiv der Verwundung entwickelt ist, die ernste Schönheit des
Kopfes sind oft und nachhaltig empfunden worden. Es ist daher gewifs angemessen,
wenn hier das nach allgemeinem Urteil beste Exemplar des Kopfes — das aus dem
Conservatorenpalast (Michaelis n) — in einer guten Abbildung auf Taf. 3 gegeben
wird. Wenn Polyklet dieses berückend schöne und tief eindrucksvolle Werk ge-
schaffen hat, so müssen wir uns freilich das Bild seiner künstlerischen Persönlichkeit
anders zeichnen, als wenn wir wesentlich die meist rohen Repliken seines Dory-
phoros und das durch Varro-Plinius überlieferte Kunsturteil, womöglich noch in der
 
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