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Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Editor]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 12.1897

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Wernicke, Konrad: Olympische Beiträge, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.39821#0212
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Wernicke, Olympische Beiträge. VI.

sich wieder in eine Mittelfigur mit jederseits einem Pare, das aus einer männlichen
und einer weiblichen Figur besteht. Von den Seitengruppen besteht jede aus einer
liegenden Eckfigur und zwei Figuren in Mittelstellung zwischen Stehen und Liegen.
Soweit gehen Gliederung und äufserliche Symmetrie. Die Gliederung ist erkenn-
bar, aber die Fugen nicht wie bei den Aigineten offen gelassen; überall ist für eine
Verbindung der Teile gesorgt. Die Gespanne sind mit den Eckfiguren hinter ihnen
dadurch verbunden, dafs die Zügel von einer derselben gehalten werden, mit der
Mittelgruppe durch die Blicke des Myrtilos und der Flippodameia sowie die Tätig-
keit der Dienerin. Viel stärker als die äufserliche Symmetrie hat aber die innere,
geistige Symmetrie gewaltet. Es ist eine Symmetrie der Contraste. Der Beschauer
sieht links Oinomaos und sein Weib in stolzer Sicherheit die Wettfahrt vorbereiten,
rechts Pelops und Flippodameia von Unsicherheit und Unruhe gepeinigt. Im fol-
genden wechselt der Gegensatz: diesmal ist die Unruhe links, bei Myrtilos, der er-
wartungsvoll und gespannt nach der Mitte blickt, — die Ruhe ist rechts, bei der
knienden Sklavin, die unbekümmert um die Bewegung der Anderen ihren Sinn nur
auf die Beschäftigung gerichtet hat, der sie gerade obliegt. Noch einmal wieder-
holen sich hinter .den Gespannen in schwächerem Mafse die Gegensätze in dem
ruhig die Zügel haltenden Hippokomen und dem besorgten Killas, — wieder haben
Ruhe und Unruhe die Seiten gewechselt. Zum Schlufs klingt jederseits alles in das
einfach natürliche Interesse des Zuschauers aus.
Man hat die Composition der östlichen Giebelgruppe in den schärfsten Aus-
drücken getadelt; es fehle jede Handlung, steif und langweilig seien die an sich
schon wenig erfreulichen Figuren neben einander gestellt. So viel ich sehe, ist
Flasch bisher der Einzige gewesen, der eine gerechtere Würdigung der Composition
versucht hat (Baumeisters Denkm. II S. no4BBff.). Seine trefflichen Auseinander-
setzungen lassen sich auf die hier gegebene Anordnung in noch viel höherem
Mafse anwenden, als auf die seinige. Die Kunst der Composition steht im Ost-
giebel bereits auf einer aufserordentlich hohen Stufe; es ist dem Künstler nicht nur
gelungen (was der älteren Kunst häufig mislang), einen bestimmten Moment der
dargestellten Handlung mit aller Schärfe festzuhalten, er hat auch, ohne die nötige
Rücksicht auf äufsere Symmetrie aufser Acht zu lassen, eine innere sich in fein ab-
gewogenen Gegensätzen bewegende Symmetrie geschaffen, die des höchsten Lobes
würdig ist. Im Formalen zeigt er neben Anlehnung an Typisches seine Selbstän-
digkeit in einer Reihe realistischer Züge, nicht immer mit glücklicher Auswahl,
aber mit frischer Beobachtung.
Mag er wie immer geheifsen haben, er war ein durchaus selbständiger,
denkender Künstler von ausgesprochener Eigenart. Was er geschaffen, bildet die
Grundlage für die spätere Entwickelung; sein Werk ist die Voraussetzung für die
Parthenonsculpturen.
Berlin, Konrad Wernicke.
 
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