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Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Editor]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 30.1915

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Six, Jan: Kalamis
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https://doi.org/10.11588/diglit.44516#0108
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94 J. Six, Kalamis.

weisen, daß auch eine Erosfigur wie die der rotfigurigen Vasen oder der Eros Soranzo
nicht viel älter an Jahren zu denken sind wie die mehr kindlichen Figuren der
späteren Kunst.
Wir haben schon einige Male attische Vasen herangezogen, und ebenso hat
Studniczka damit die attische Herkunft des Altars zu beweisen gesucht. Besonders
nahe steht die hier besprochene Gruppe den weißgrundigen Schalen aus der Spätzeit
des Euphronios, wie der Berliner1) oder der Londoner mit der Anesidora 2). Der
bartlose Hephaistos der letzteren gibt mir den Mut, auch den bartlosen Asklepios
mit der Pinie zu Sikyon 3) dem älteren Kalamis zuzuweisen, für den auch die Gold-
Elfenbeintechnik besser geeignet ist wie für seinen späteren Namensgenossen, in
dessen Zeit sie kaum mehr vorzukommen scheint.
Aus einem solchen Vergleich mit der Kleinkunst geht m. E. nichts weiter hervor,
als daß die Werke unseres Meisters auf die attischen Töpfer stark eingewirkt haben,
keineswegs, daß sie attischen Ursprungs waren. Ihr Stil erscheint bei Euphronios
ebenso unvorbereitet und unerwartet, wie unsere Gruppe von Skulpturen fremd
neben den Frauenfiguren der athenischen Akropolis und den Ägineten des Aphaia-
tempels steht. Die attische Vasenmalerei spiegelt eben auch diese Kunst ab so gut
wie die des Mikon 4), die Hauser wiederfand, oder die der Ägineten, die zu belegen,
soviel ich weiß, niemand sich die Mühe gab, wahrscheinlich weil die Beispiele leicht
zu sammeln und häufig sind. Kalamis selber mag übrigens bei seinem längeren Auf-
enthalt in Athen auch etwas attischen Einfluß empfangen haben. Im Grunde aber
steht er auf anderem Standpunkt. Er durchgeistigt seine Gestalten in höherem Maße,
sei es, daß sie freudig erregt sind wie sein Wagenlenker oder siegesfroh wie seine
Sosandra, sei es, daß sie in tiefem Ernst schweigen wie seine Semne oder in welt-
vergessener Betrübnis dasitzen wie seine Algumene. Dem inneren Leben gegenüber
vereinfacht er die äußeren Formen und erreicht dadurch eine Anmut, die in zierlicher
Feinheit, nicht in großartigem Schwung zum Ausdruck kam, wie in jeder primitiven
selbstbeschränkten Kunst.
Kalamis ist ein bahnbrechender Meister. Von der Perserzeit an bis zur Mitte
des Jahrhunderts liegt seine Tätigkeit, aber er bleibt ein Vorläufer. Neben ihm gelangt
Mikon durch eindringlichere Naturbeobachtung zu einem krassen Naturalismus,
nach ihm verarbeiten Polygnot und Phidias mit seiner Schule ihrer beider Streben
zu einer unübertroffenen Verquickung von Natur und Stil, aber länger währte es, bis
das Gemütsleben seiner Gestalten eine Weiterentwicklung fand. Als es geschah,
stand die Kunst dem Leben nicht mehr so unbefangen, so naiv gegenüber. So konnte
seine Schmerzensreiche größeren Ruhm erlangen als die jedes anderen, auch für
diejenigen, die sonst seine Pferde seinen Menschen vorzogen und denen seine Kunst

*) Hartwig, Meisterschalen LI.
2) White Athenian Vases PI. XIX.
3) Pausanias II io. 3.
4) Es ist mir vollkommen unverständlich, wie
Hauser nach dem glänzenden Nachweis, statt

den Nachdruck darauf zu legen, daß Bildhauer-
arbeit Mikons für Olympia sicher steht, plötzlich
einer geistreichen, aber verkehrten Vermutung
zuliebe Pausanias den Panaenos, den er sehr gut
kennt, mit Paionios verwechseln läßt.
 
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