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leicht durch Vergesslichkeit oder Subjektivität verzerrt oder gar verfälscht. Auch ist das Ver-
hältnis von schriftlichen Quellen zum überlieferten Bildmaterial zu problematisieren. Beide
können sich sowohl auf konkrete theatrale Ereignisse als auch auf Werke der bildenden Kunst
beziehen. Die Verbreitung von Bildtopoi in allen Bereichen der Äußerungsmöglichkeiten ist
zu berücksichtigen. Die literarische Form der Beschreibung folgt - bewußt oder unbewußt -
oft einer Ästhetik, die sich an Werken bildender Kunst ausbildete, und verwendet eine Topik,
welche die ästhetischen Ideale der jeweiligen Zeit zur Sprache bringt.13 Die jeweils aufge-
spürten Quellen14 sind selbst schon interpretationsbedürftig - eine Aufgabe, der nicht immer
nachgegangen werden kann. Nach Durchsicht zahlreicher journalistischer wie privater Schrift-
zeugnisse mußte festgestellt werden, daß lebende Bilder im Vergleich zu anderen theatralen
Ereignissen oder festlichen Spielen nicht allzu häufig inszeniert wurden. Daraus läßt sich
schließet^ daß es sich wohl um kein Phänomen handelte, das eine führende Rolle im gesell-
schaftlichen Leben eingenommen hatte. So ist es nicht verwunderlich, daß das lebende Bild
kein Thema war, das umfassend und grundsätzlich schriftlich problematisiert, sondern oft
eher in den Kontext einer Theaterkritik, eines Gesellschaftsberichts oder der Literatur einge-
bettet wurde. Nur wenige Quellen enthalten gezielte und reflektierte Charakterisierungen und
Wertungen. Gerade durch eine große Beiläufigkeit in der Berichterstattung erfahren wir aber
auch, daß das Phänomen sowie seine Bildvorlagen als bekannt vorausgesetzt wurden und die
Erscheinung im gewissen Sinne selbstverständlich gewesen sein muß. Beschreibungen der
dargestellten Bilder wurden erstaunlicherweise überhaupt nicht gegeben, die Quellen zu den
lebenden Bildern appellieren beim Leser an seinen Kenntnisstand. Sie liefern kaum Bildbe-
schreibungen - äußerst selten Bildbeilagen -, sondern geben bestenfalls kurze Erklärungen, in
der Regel aber nicht einmal das. Auch kompositionelle Strukturen der Bilder sind unter den
Zeitgenossen nur von sehr marginalem Interesse. Dies hat zur Folge, daß heute - ohne die
Kenntnis des gesellschaftlichen Konsens' - nicht immer die konkrete Bildvorlage für das
Tableaux ermittelt werden kann.

An die zentrale Fragestellung nach dem Wesen und der Aussage von Tableaux vivants
knüpfen sich eine Reihe weiterer Fragen an: Zunächst interessieren die Gründe, warum sich
diese spezielle Form des Umgangs mit Kunstwerken gerade in der zweiten Hälfte des acht-
zehnten Jahrhunderts entwickelte. Lassen sich historische Zusammenhänge feststellen? Gab
es Parallelphänomene? Gab es Vorläufer? Wo und wie wurden sie aufgeführt? Was für ein
technischer Aufwand war nötig? Welche Bilder wurden zum Nachstellen ausgewählt und
nach welchen Kriterien? Lassen sich Vorlieben für bestimmte Gattungen, Themen, Epochen
oder Maler ausfindig machen? Neben den Sachverhalten wird aber auch nach dem Umfeld
und den Personen gefragt, die mit den lebenden Bildern im Zusammenhang stehen, und damit
auch nach der gesellschaftlichen Relevanz und Funktion des Phänomens. Was für Absichten
wurden mit den Tableaux vivants verfolgt? Wie wurden sie bewertet? Als künstlerische Form
oder als bloßes Gesellschaftsspiel? Welche Funktionen erfüllten sie? Wie ging man mit der
Umwandlung von der leblosen, ewigen Kunst zu einem ephemeren, lebenden Gebilde um?
Um welche Art von Bildrezeption handelt es sich hier? Wurde das Phänomen als solches
theoretisch reflektiert?

13 Zum wichtigen Komplex der Wechselbeziehungen zwischen Text und Bild vgl. die Symposions-
beiträge, hrsg. von Harms 1990. Willems spricht hier von «Inneren Wort-Bild-Beziehungen«: Das
Wort versucht als literarisches Wort, sich zur bildlichen Rede, das Bild als künstlerisches Bild, sich
zum sprechenden Bild zu gestalten. Werke wie „Iconologia" von Ripa werden sowohl von Künst-
lern als auch von Dichtern benutzt. Vgl. Willems In: Harms 1990. S. 415: Vgl. zum komplexen
Thema der Ekphrasis - zum Bild als Potenz der Sprache - den Sammelband «Beschreibungskunst
- Kunstbesehreibung«, hrsg. von Boehm / Pfotenhauer 1995.

14 Zu den Quellen, die konkret gesichtet wurden, vgl. die Einleitung zum Katalog.

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