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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0032
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emere Bildwerk nie in seinem Kunstcharakter diskutiert, wie Helas feststellt. Zwischen
angewandter Kunst und sogenannter Hochkunst, zwischen ephemerer und dauerhafter Kunst
zu unterscheiden, bleibt aufgrund der Quellenlage oftmals schwierig.37 Als ein Beispiel unter
vielen sei die prächtige, mehrtägige Prozession genannt, die 1462 Papst Pius II. in Viterbo,
nördlich von Rom, veranstaltete, bei der lebende Bilder aufgeführt wurden. Die Quelle be-
schreibt einen Mann in der Rolle des Jesus, der - während die Messe zelebriert wurde -
»stelle sempre immobile come statua«.38 Fronleichnamszüge nutzten bis in das 19. Jahrhun-
dert hinein die Gestaltungsmöglichkeiten der Szenen durch lebende Bilder - sowohl südlich
als auch nördlich der Alpen. Sie dienten der katholischen Kirche als bewußt eingesetztes,
religiös-propagandistisches Instrument und waren in ihrer Erscheinungsform durch die Jahrhun-
derte stets präsent.39 (

Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts entwickelten sich in Italien die sogenannten Trionfi,
Herrschaftsspiele, die stark mit den Vorstellungen vom Triumph römischer Feldherren ver-
bunden waren. Weltliche und geistliche Herrscher übertrafen sich mit ihren triumphalen
»Agitations«-Feiern gegenseitig. Vor allem durch Petrarcas literarische Verarbeitung antiker
Themen in der Mitte des 14. Jahrhunderts hatte sich die Kenntnis der römischen Zeremonie in
Italien verbreitet.40 Die Huldigungsspiele hatten zunächst das Ziel, nach einem erfolgreichen
Kampf den Sieger mit einem Festzug zu feiern, und zeigten allegorische Gestalten der Antike

37 Vgl. die Einleitung zur Dissertation von Philine Helas »Lebende Bilder. Ein Phänomen der italieni-
schen Festkultur des Quattrocento« (1997), deren Veröffentlichung noch aussteht.

38 Die Kommentare Pius' II. sind eine der wenigen Quellen jener Zeit, die ausdrücklich ein lebendes
Bild erwähnen, zitiert nach Ancona 18912. I. S.236-243, Zitat auf S.242. Vgl. außerdem Weisbach
1919. S.15. Vgl. Mitterwieser 1930, S.23-24. Zu einer weiteren Prozession 1464 unter Papst Pius
II. in Rom mit lebenden Bildern, vgl. Kindermann II. 1959, S.22. Seit Ende des 14. Jahrhunderts
bot das Fest Johannes' des Täufers am 24. Juni in Florenz ebenfalls Raum für die Aufführung
lebender Bilder. Dort wurden schon bald neben christlichen Szenen profane, weltliche Themen
aufgenommen. Beispielsweise Nymphen oder Personifaktionen der Tugenden, des Lebens und des
Todes. Zum Fest des Johannes in Florenz, vgl. Pochat 1990. S.160-164. Vgl. Eisenbichler. In:
Eisenbichler 1990. S.369-70. Vgl. Müller 1988. Zu tragbaren Tableaux vivants, den sogenannten
»Soleri«, in Venedig ab dem 16. Jahrhundert - das früheste 1506 - vgl. Vicentini. In. Eisenbichler
1990.

39 Zu lebenden Bildern in Prozessionen in den Ländern nördlich der Alpen, vgl. Creizenach 1893.
S.171. Vgl. Gervinus 1849, S.178. Vgl. Hartmann 1976, S.14. Vgl. Hummelen 1988. Vgl. Kinder-
mann I. 1957, S.251. Vgl. Landvogt 1972. S.8-9. Vgl. Mitterwieser 1930, S.33-49 und 64-86. Vgl.
Springer mit Quellenangaben 1860, S.128-131. Vgl. zum Künzelsauer Fronleichnamsspiel von
1479, das oft als Vorbild diente, Schumann 1925. S.35 und Kindermann I. 1957, S.251. Zur Ingol-
städter Prozessionsordnung, deren Szenen fast alle aus der biblia pauperum entnommen wurden,
vgl. Landvogt 1972. S.U. Zur Ingolstädter Umgangsordnung von 1507 mit ihren 74 Bildern, vgl.
die Quelle hrsg. von Brooks 1936. S.11-16 und Mitterwieser 1930. S.19/20. Zur Zerbster Prozes-
sion von 1507 und zum Freiburger Prozessionsspiel von 1516, vgl. Kindermann I. 1957. S.251.
Vgl. Kindermann 1980. S.46. Vgl. Landvogt 1972, S.10-12. Die französischen Mysterienspiele
waren wesentlich umfangreicher konzipiert als die deutschen, so daß ihre Aufführungen teilweise
bis zu 40 Tagen andauern konnten. Unterer-Budischowsky nennt die Passionsaufführung von
Valenciennes 1547 mit 25 Tagen eine der vollendetsten in der Inszenierung, vgl. Unterer-Budisch-
owksy 1980. S.5. Zu den »mystery plays« mit lebenden Bildern in England, vgl. Frenzel 19842.
S.36. Vgl. Gauvin. In: Jacquot. III. 1975. S.442.

40 Vgl. das Kapitel mit weiterführender Literatur bei Pochat 1990. S.167-185. Vgl. die grundlegende
Monographie von Weisbach 1919. Vgl. Landvogt 1972. S.14. Vgl. Kernodle 1944, S.62. Vgl. Kin-
dermann II. 1959. S.21.

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