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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0174
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Laufe der Zeit die Themenausstellung, deren Anfänge Ende des 18. Jahrhunderts liegen.152
Historische Kunstausstellungen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten und Fragestellun-
gen nahmen ihren Anfang um 1800.153 Das Ausstellungswesen bildete damit ein gesellschaftli-
ches Forum für das rasch gewachsene historische und kunsthistorische Bewußtsein der Bevöl-
kerung. Das Publikum wurde zur Instanz der Beurteilung von Kunst.154 Wie anregend das
Besichtigen von Ausstellungen für das Stellen lebender Bilder im Laufe des 19. Jahrhunderts
geworden war, wird durch den Artikel des Conversationslexikons von 1847 deutlich:

»Tableaux oder Lebende Bilder nennt man die Gemäldedarstellungen durch lebende Personen,
welche jetzt theils als künstlerische Übungen, theils als sinnreiche und reizende Festspiele beliebt
sind und besonders in Berlin fast jeder Gemäldeausstellung folgen, wo sie zum bessern Verständniß
oder zur Erhöhung des Eindrucks von Musik, Gesang oder Rede begleitet werden.«155

Neben den temporären Ausstellungen wurden - wie bereits besprochen - seit der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts öffentliche Museen eingerichtet.156 Hier bot sich die Möglich-
keit, Gemälde vergangener Epochen, vor allem die großen, sogenannten »Meisterwerke« im
Original zu studieren.157 Ihre Sammlungsbestände wurden in Büchern, sogenannten Galerie-
werken, zusammengefaßt und mit Bildmaterial veröffentlicht.158 »Aus Prachtbänden, die dem
Ruhme der Fürsten dienten, wurden wissenschaftlich betreute Museumskataloge und Kunst-
bücher.«159 Die Anfänge dieser Publikationen finden sich bereits im 17. Jahrhundert, um
1800 lagen sie aus verschiedenen Städten wie beispielsweise Wien oder Düsseldorf in ausge-
reifter Form vor.160 Mit den großen Museumsgründungen im 19. Jahrhundert ging also ein
Anstieg der grafischen Wiedergaben der ausgestellten Werke - in populären Publikationen

152 Vgl. zur Themenausstellung den Aufsatz von Hofmann 1988.

153 Vgl. Koch 1967, S.261-264. Erst 1813 in London wurden selbständige historische oder kunst-
wissenschaftliche Gesichtspunkte entwickelt. In Deutschland dienten die ersten historischen Aus-
stellungen der Erforschung der altdeutschen Kunst ab 1810, vgl. ebenda, S.264-265.

154 Generell ist das Urteil des Publikums aufgrund der spärlichen Quellen kaum zu bestimmen. Da ihm
oft die Geschichtskenntnisse fehlten, forderte man Einfachheit und Verständlichkeit, vgl. Bätschmann
1997, v.a. S.13-21.

155 Siehe Conversationslexikon. 9. Auflage. 1847. Bd.14. S.72. In der 8. Auflage von 1836 (11.Bd.,
S.4) wurde noch nicht von einer derartigen Praxis berichtet. Es ist keine Quelle bekannt, die über
das Stellen von lebenden Bildern in unmittelbarer Gegenwart der vorbildlichen Gemälde berichtet.

156 Man machte fürstliche Sammlungen allgemein zugänglich und gründete neue Bildergalerien. Vgl.
Kap.3.1.3.

157 Der interessanten und komplexen Frage, was ein Gemälde zu einem »Meisterwerk« macht, kann
hier nicht nachgegangen werden. Im Oktober 1998 - also nach Redaktionsschluß dieser Arbeit -
erscheint im Münchner Beck Verlag »Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der
Kunst« von Hans Belting.

158 Vgl. Herding 1989 (2), S.25.

159 Siehe Langemeyer / Schleier 1976, S.264.

160 In Brüssel erstellte David Teniers sein »Theatrum Pictorium« (1660) der Sammlung des Erzherzog
Leopold Wilhelm (1614-1662), das 244 Wiedergaben italienischer Gemälde enthielt. Die Auswahl
entsprach dem Zeitgeschmack: Von den 500 italienischen und fast 900 niederländischen Bildern
wurden nur italienische Gemälde ausgewählt mit Tizian an der Spitze. 1721 schlug Philippe Duc
d'Orleans vor, die bedeutendsten Gemälde der königlichen Sammlungen in Paris in Reproduktio-
nen zu veröffentlichen und damit einen Überblick über die Geschichte der europäischen Malerei zu
geben. Die Leitung des Unternehmens sollten der Bankier Pierre Crozat, der Graf Caylus und der
angesehene Sammler Pierre-Jean Mariette übernehmen. In Wien gab Jos de Prenter das »Theatrum
Artis Pictoriae« (1728-33) mit 113 Gemälden der Kaiserlichen Sammlung in der Stallburg heraus.
1735 folgte ein »Prodromus« (Vorläufer-Buch) mit jeweils 40 Abbildungen auf 28 radierten Tafeln.
Es wurden nicht alle Werke abgebildet, sondern nur die »vornehmsten«, die »von hohem und ungemei-

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