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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0258
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Q.3) in den verschiedenen Quellen belegen. Die Meinungen waren extrem disparat. Böttiger
beispielsweise war ungehalten darüber, daß Goethe die lebenden Bilder in seinen Roman
integriert hatte, die er als billiges Spiel verachtete:

»Kann es ihm Ernst damit seyn? Kann er diese tolle Zusammenschmelzung, die das Wesen der
Malerei zerstörte, dem lebendigsten aller darstellenden Kunstprodukte, der Mimik, den verruchten
Medusenkopf vorhält, und der Ungebührnisse hundert erzeugen kann, erzeugen wird, so in Schutz
nehmen wollen?« (Kat.Lit-Tüb.l809.Q.2)

Andere hingegen stuften die lebenden Bilder als »keinen schwachen Versuch, sondern eine
größtentheilsgelungene Kunst-Darstellung« (Kat.Ber.l812/l.Q.7) ein.173 Das Schwanken in
der Einschätzung der lebenden Bilder hing stets von ihrer Präsentation ab, es ist ein Pendeln
zwischen täuschendem Spektakel, einer unterhaltsamen Spielform oder der idealisierten Kunst-
form.174 Alle Merkmale sind sicherlich gleichermaßen in den Tableaux vivants enthalten.
Der Kontext, die beteiligten Personen, die Funktion oder das Ziel waren ausschlaggebend,
wohin das Pendel ausschlug. Je nach dem sind lebende Bilder als Trivialisierung oder als
Nobilitierung zu verstehen.175

173 Vor allem in Bezug auf Friedrich Kinds Künstlerdrama, also im speziellen Fall der Einbettung ins
Theater, lobte man die Darstellung im Sinne des verwandtschaftlichen Verhältnisses unter den Kün-
sten, vgl. Kat.Dre.l816.Q.2, Kat.Wie.l817/3.Q.l, Kat.Bre.l819.Q.l.

174 Holmström sieht offensichtlich einseitig nur eine Komponente der lebenden Bilder, indem sie die
Tableaux vivants in ihrem Resümee »as an amusing ingredient of social life« und »as typical art-
for-art's-sake phenomena« einschätzt, siehe Holmström 1967, S.239 und 240. Bätschmann be-
zeichnet die Tableaux vivants als »Amüsement«, nachdem er den Begriff der »admiratio« als An-
weisung für Betrachter eingeführt hat. Damit wird er meineserachtens dem Phänomen nicht ganz
gerecht, da so die Möglichkeit der Vermittlung von Kunstidealen außer Acht gelassen wird, vgl.
Bätschmann 1997, S.17-21.

175 Hofmann weist daraufhin, daß es nicht um die Beurteilungsfrage geht, ob etwas gut oder schlecht
gemacht ist, sondern um die Bezugssysteme der Rezeption, und die Frage nach der »Sprachhöhe«.
Oft sind nicht die Werke an sich »trivial« oder »hehr«, sondern ihre Bedeutung ergibt sich aus
ihrem Kontext, vgl. Hofmann 1972. S.223-224.

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