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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Presber, Rudolf: "Poberetto", [5]: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0100

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pooeretto". Ucwcllctlo. von R. presber

<n

And sie führte mich eilig davvn, ohne zn sprechen,
noch iinincr meinen Arm fest an ihr pochendes Herz ge-
preßt, wie nm es gewaltsam zur Ruhe zu bringen.

Mir ward wunderbar zu Mut; ich glaubte zu
träumen; ich, der Mißgestaltete führte hier ein Mädchen
zn mir, das eine Schönheit war, wie ein Blick meiner
Künstleraugen mir gesagt hatte. Was sollte ich mit ihr?
Sie war zu Tod erschrocken, halb außer sich und wenn
sie mich nun sah, welch ein Schreck, ja Abscheu mußte
sie überkommen; ich gestehe, ich dachte an nichts, als au
den Moment, wo sie bewußt entdeckte, daß solch ein von
den Ihren verhöhnter, ein »ckiavolor, ein rpiccolo« sie
gerettet hatte.

Schneller als ich's dachte, standen wir vor meiner
Wohnung; sie eilte vor mir die dunkle Treppe hinauf
und ich konnte sie nicht halten; ich wollte auch nicht;
eine Lebenslust kam über mich; ich weiß nicht, vielleicht
war es nur das Gefühl, doch einmal, wenn auch durch
Zufall in Nacht und Nebel, ein einzigesmal wenigstens
als ein Mensch gegolten zu haben, als ein Mann. Wir
waren durch das Atelier gekommen, und als ich hier
neben in meiner Schlafkammer Licht entzündet hatte und
wieder eintrat, lag sie dort auf jenem Haufen alten
Theaterkrams, atemlos, müd, mit halbgcschlossencn Augen,
wie ein zu Tode gehetztes Reh.

Ich beugte mich über sie und, bei Gott, ich habe
nie ein liebreizenderes Gesicht gesehen; jenes Bild vor
Ihnen ist eine Stümperarbcit gegen das Meisterwerk,
das der himmlische Künstler in diesem Weib vollbracht
hatte. Keinen Augenblick kam mir der rohe Gedanke,
daß sie in meiner Gewalt war; der Künstler in mir war
mächtiger als der Mensch, und dieser Augenblick, in dem
ich wie verzaubert vor ihr stand, war ein Augenblick
reiner Weihe und selbstloser Bewunderung.

Ich weiß nicht, wie lange ich so im Anschauen ver-
sunken war; als ich aus meinen Träumereien erwachte,
schmerzte mich der Arm, mit dem ich das Licht halb
über sie geneigt hatte. Sie atmete jetzt regelmäßig, und
ihr junger Busen wogte ruhiger, sie hatte die Augen ganz
geschloffen, die Lippen waren halb geöffnet; den runden
Arm hatte sie unter den Kopf gelegt, und eine Fülle
schwarzer Locken hob sich malerisch dunkel ab von der
weißen Schulter, die das zerrissene Gewand in ihrer
ganzen Schönheit sehen ließ.

Ich sah sie noch eine Weile an, dann schlich ich leise
auf den Zehen hinaus in meine Schlafkammer und warf
mich angekleidet aufs Bett, ohne das Licht zu löschen;
sie konnte ja erwachen; es konnte ihr etwas fehlen, und
dann mußte ich schnell bei der Hand sein. Ich schloß
die Augen, der Lichtschein war mir unangenehm, aber ich
schlief nicht. Der Mensch fing an in mir zu erwachen;
ich hatte keine Mutter, keine Schwester gekannt, nie mit
Frauen verkehrt, ja sie gemieden; nur jene verworfene
Klaffe hatte ich natürlich bei den Aktstudien auf der
Kunstschule bis zuni Überdruß kennen gelernt. Ich hatte
mich nie besonders nach einem Weib gesehnt; ich kannte
sie eben nicht; jetzt aber in den schleichenden Stunden
dieser Nacht quälten mich die Phantasien, die mich so
lange verschont. Ich dachte zum erstenmal mit wirklicher
Bitterkeit an mein Gebrechen, ja, Galt verzeih mir die
Sünde, ich grollte niit dem Schalten meiner armen
guten Mutter, die ich doch immer so sehr geliebt. Zum
erstenmal empfand ich's, daß ich wirklich eine elende

Kreatur, deren Leben nicht lobenswert sei. Ich dachte
mich selbst grad und schlank gewachsen; ich sah mich so
in meinen Träumen und dann trat sie auf mich zu, sie,
die Gerettete, die Dankbare, sie legte mir die Arme um
den Hals, sie küßte mich mit den weichen, roten Lippen,
sie dankte mir so herzlich, wie nur — Liebe danken
kann und dann, o weh, dann sah ich mich zufammen-
schrumpfen, ich ward wieder der Krüppel, der ich war,
und sie reichte mir kühl die Hand und dankte mir und
was sie sprach waren nur — Worte; und dann ging sie
— ja, ich sah sie gehen; ein namenloses, nie gekanntes
Gefühl trieb mich, sie zu halten und — nun sprang ich
wirklich auf von meinem Lager; ich nahm das Licht,
Angst nnd Hoffnung fluteten auf und ab im Herzen;
leise, leise trat ich ein; da lag sie noch so schön — wie
vorher, nein, noch schöner; vom milden Schlaf waren
ihre Wangen gerötet und sie lächelte glücklich in Träumen;
o, wem dieses Lächeln galt, dieses süße, glückverheißende
Lächeln. — Wohl zehnmal erhob ich mich in dieser Nacht;
aus meinen Phantasien raffte ich mich auf, die Wirklich-
keit zu sehen und ich sah sie so lieblich, so hold; und
dann in das Zimmer zurückgetrctcn, sah ich im Spiegel
mein eigenes Abbild und eine Verzweiflung kam über
mich; ich vergrub meinen Kopf in den Kissen. Gegen
Morgen schlief ich voll Ermattung ein.

Als ich erwachte, war cs Heller, lichter Morgen; ich
konnte mich erst kaum besinnen, warum ich hier ange-
klcidet lag. Dann kam mir die Erinnerung des Gestern
und das Bewußtsein des Heute. Ich lauschte. Im Neben-
zimmer vernahm ich ihre Schritte; schnell sprang ich
auf und trat ins Atelier. Sie hörte mich nicht eintreten
und ich genoß unbemerkt einen Anblick, der selbst schöner
war, wie der in der Nacht. Sie stand mitten im Zimmer
nnd hatte sich den blauen Mantel, der dort oben auf-
liegt, um die Schultern geworfen; sie ordnete seine Falten
und ein Lächeln befriedigter Eitelkeit flog über ihr liebes
Gesichtchen; jetzt schien sie einen Spiegel zu suchen und
gewahrte mich; mit einer unbeschreiblichen Grazie ließ sie
rasch und errötend, wie ein ertapptes Kind, den Mantel
herabglciten.

Ich beobachtete sie scharf; wohl ruhte jetzt ihr Blick
erstaunt auf meiner Figur, aber keinen Abscheu, keinen
Schrecken, der sich innerlich bekreuzigt, konnte ich in ihren
Mienen lesen; das that mir wohl, und ich ging freund-
lich auf sie zu nnd reichte ihr die Hand hin.

„Ich danke euch, Signore, ihr seid sehr gut!" sagte
sie einfach.

Ich sah sie noch immer prüfend an; sie hielt ruhig
meinen Blick aus, dann sagte sie:

„Und jetzt soll ich euch erklären, warum ich euch so
erschreckte, warum ich mich cindrängte hier bei euch; ihr
seid ein guter Mann und ihr werdet mich nicht schelten,
Signore."

..Erst laß uns ein Frühstück nehmen, Kind!"

Ich ging und meine Wirtin brachte ans meine An-
ordnung das Frühstück für zwei Personen, es schien ihr
nicht merkwürdig nnd auch als sie eintrat warf sie nur
einen flüchtigen Blick auf das Mädchen, das errötend den
Kopf zur Seite bog.

Als die Alte mit ihrem immer gleichen schlürfenden
Tritt und ihrem immer gleich widerlichen Gesicht sich
entfernt hatte, fragte ich sie:

„Wie heißt du, Kind?"
 
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