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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Haushofer, Max: Fels und Berg in der Landschaftsmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0235

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,78

Fcls und Borg in der Landschaftmalerci

daß durch Menschenhand die Erdrinde bloßgelegt und der Pflanzendecke entkleidet wird, wie bei Stein-
brüchen, Ackerfeldern, Torfstichen, Straßen u. s. f. Für das Landschastsbild ist es stets von schwerwiegendem
Einflüsse, ob die Sichtbarkeit der Erdrinde einem Naturereignis oder der arbeitenden Menschenhand zu ver-
danken ist. Denn der Gegensatz von ungebändigter Natur und wohlgeleiteter Menschenarbeit spricht sich darin
ganz besonders aus.

Wo das Gestein zum Vorschein kömmt, ist es festes oder Trümmergestein. Für die Landschaftmalerei
ist das feste Gestein stets dankbarer. Ganz andre Lichter und Schatten zeichnen sich in ihm. Aber auch inner-
halb des festen Gesteins sind die größten Unterschiede. Dolomit bricht und spaltet sich anders, als Granit,
anders wieder Schiefer und Basalt. Als die Erdrinde in den geologischen Zeiträumen der Vorgeschichte all-
mählich erkaltete und bei diesem Erkalten ihre Rinde sich runzelte und faltete: da geschah dies bei jeder Ge-
steinsart nach andern Regeln. Wenngleich es nicht die Aufgabe des Landschaftmalers ist, in seinen Kunst-
schöpsnngen zum Illustrator naturwissenschaftlicher Abhandlungen zu werden, darf man doch von ihm verlangen,
daß er die hauptsächlichen Charakterzüge jener Natnrgestaltungen kenne, die er uns vorführt. Die Seele der
Landschaft, nicht ihr Körper ist sein Problem. Der Körper einer Landschaft kann bei größter Schlichtheit eine
anmutige Seele bergen; und wir nennen den einen vollendeten Künstler, der das zum Ausdruck zu bringen
weiß. Aber über dem Streben, das Seelische zum Ausdrucke zu bringen, darf das Körperliche nicht vernach-
lässigt werden. Denn die Seele der Landschaft wohnt durchaus in dem Körperlichen derselben.

Es ist nicht notwendig, daß wir auf einem Landschaftsbilde den Felsen und Bergen, die der Künstler
hineingesetzt hat, ansehen, ob sie Thonschiefer oder Porphyr sind. Wir verlangen nur die Möglichkeit, daß die
Felsen und Berge, so wie sie dargestellt sind, dazu dienen, die Seele der Landschaft sprechen zu lassen. Immer
abgesehen von der Vedute.

An den Formen aller Felsen und Berge lassen sich vom malerischen Standpunkte zunächst das dem
Blicke entgegentretende Profil und dann die innerhalb dieses Rahmens sich zeigende Gliederung unterscheiden.
Das Profil springt zunächst ins Auge. Seine landschaftliche Schönheit wird durch mannigfache Umstände be-
dingt: durch das Verhältnis von Höhenachse und Längsschnitt, durch die verschiedenen Längen und Winkel der
Profillinien, durch die Abwechselung gerader und krummer, konvexer und konkaver Profillinien. Es gibt kaum
eine empfindlichere Erscheinung im Gebiete des landschaftlich Schönen, als das Bergprofil.

Die Gliederung, die wir innerhalb des Profils wahrnehmen, ist es, was den Berg körperlich macht.
Während im Bergprofil lediglich der Schönheitssinn des schaffenden Künstlers zum Ausdrucke kommt, offenbart
sich in der Gliederung des Berges neben dem Schönheitssinne zugleich das Naturverständnis.

Die idealste Bergform wäre ein aus der Erdrinde hervorbrechender Kristall, aber verändert durch seine
Entstehungsgeschichte. Denn die Form des reinen Kristalls ist kalt und starr. Soll der Berg den Eindruck des
Lebens gewinnen, so muß seine Gliederung von der Kristallform so weit abweichen, daß diese Abweichungen
eine Geschichte, deren Zeiträume Hunderttausende von Jahren umfassen, erkennen lassen. Sie müssen erkennen
lassen, daß dieser Kristall nicht ohne Kampf die Erdrinde durchbrach, daß in diesem Kampfe und unter den
Stößen unterirdischer Mächte die reinen Linien und Flächen des Kristalls stellenweise gebrochen, gebogen und
mit Trümmerwerk bedeckt wurden.

In Wirklichkeit ist die ursprüngliche Plastik vieler Bergformen, namentlich im Mittelgebirge und noch
mehr im Hügellande, durch die Erdgeschichte stark verwischt. Ablagerungen von Trümmergestein, Kies und Sand
und die Vegetation unendlich langer Zeiträume haben die Kristallform entweder zur vollständigen Unkenntlichkeit
abgeschwächt; oder es war diese Form überhaupt schon bei der Entstehung des Berges nicht vorhanden; der
Kristall ist eine unterirdische Macht geblieben, die bloß einen riesigen Maulwurfshaufen in die Höhe gestoßen
hat. Solche Bergformen können wir als gewöhnliche bezeichnen; der künstlerische Blick des Landschaftmalers
erkennt und verwendet sie bloß zu dem Zwecke, um die gerade Linie des Horizonts zu vermeiden.

Realistisch nennen wir eine Bergform, wenn der Gedanke, den ihr Unschauen weckt, zunächst der
eines naturhistorisch Selbstverständlichen ist. Um solche realistische Bergformen als das aufzufassen, was sie
sind, ist eine wenn auch nur bescheidene geologische und geographische Bildung nötig. Sie setzt uns in Stand,
den naturhistorischen Wert der vom Künstler gebotenen Bergform zu beurteilen. Wenn wir unter der Pflanzen-
decke, die den Berg bekleidet, noch sein Felsgeripp erkennen; wenn wir beobachten können, wie der nackte Fels,
als er weichere Erdschichten durchbrach, dieselben um sich her auftürmte und abschüttelte; wie die durchstoßenden
Felsmassen selbst von der Gewalt des eigenen Stoßes gespalten und gebrochen wurden; wie der Verwitterungs-
prozeß an diesen Bildungen weiter gearbeitet hat und herabstürzende Geröllmassen Schuttkegel bildeten, auf
welchen die schwersten Trümmer am weitesten und tiefsten rollten; wie diese Schuttkegel zum Teil mit Pflanzen-
leben sich bekleideten; wie durch die Abdachungen des Berges, durch vorhandene Mulden- und Schluchten-
bildungen die Wafferläufe in ihre Bahnen geleitet wurden und mittels dieser Bahnen weiter am plastischen
Ausbau des Berges arbeiteten; wenn wir all' das beobachten können, nennen wir eine Bergform realistisch.
Da wird uns sofort klar, was wir als Gipfel, als Grat und Schneide, als gezahnt oder gewölbt zu bezeichnen
 
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