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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Haushofer, Max: Fels und Berg in der Landschaftsmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0236

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von !Nar Haushofer

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haben. Wir unterscheiden Mulden und -Kessel, Schluchten und Klüfte, Terrassen und Stufen, Schutthalden
und Felsbänder. Mit der Form und Zeichnung zugleich trägt die Farbe des realistischen Berges zur Auf-
klärung über seine Natur bei. Unter den Landschaftmalern, in deren Werken hauptsächlich die realistische Berg-
form zum Vorschein kömmt, nennen wir vor allen Calame, in neuester Zeit Millner, Compton, Österley.

Die stilvolle Bergform geht aus der realistischen hervor. Die realistische Erscheinung der Bergnatur
bildet dabei die Grundlage; aber sie hat eine solche Umgestaltung erfahren, daß es den Eindruck macht, als
habe die Natur mit einem Verständnis für künstlerische Schönheit, mit einem gewissen architektonischen Sinne
an der Plastik des Berges gearbeitet. Wo die Bergform stilvoll wird, da tritt der Berg wirklich wie ein
riesiger, der Erde entwachsener Kristall uns entgegen, ein Kristall, dessen gerade Kanten und Flächen nur da
und dort von ungeheurem Drucke gebrochen und gebogen sind. Oder der Berg erscheint geradezu, als hätten
Gigantenhände nach künstlerischer Anweisung au ihm gearbeitet, um alles Kleinliche, Störende wegzumeißeln.
Bald haben sie eine Wand glatter poliert, als es die Natur vermochte, dann wieder einen Gipfel verrückt,
einen geradlinigen Kamm in der Milte eingerissen, einen Obelisk abgestutzt; auf eine Wand einen Turm gesetzt
oder sie unten mit riesigen Pfeilern gestützt. Ein charakteristischer Unterschied der stilvollen und der realistischen
Bergform liegt in den Profillinien und ihren Neigungswinkeln. Die stilvolle Bergsorm liebt gerade Profil-
linien oder, wenn Krümmungen derselben Vorkommen, wenigstens große Krümmungshalbmesser, sowie Mannig-
faltigkeit in den Neigungswinkeln der Profillinien. Die wirkliche Natur bietet uns nur selten den Anblick
eines stilvollen Berges; aber der unsterbliche Rottmanu zeigte, wie man Bergsormen stilisiert.

Phantastische Bergformen nennen wir jene, wo die Natur von ihren regelmäßigen Bildungen ab-
weicht nach dem Unbegreiflichen hin. Das Matterhorn im Wallis, die Aiguille Verte in der Montblancgruppe,
die drei Zinnen in den Ampezzaner Alpen: das sind die bekanntesten Launen der Natur in dieser Richtung.
Sie finden sich weit häufiger als die wirklich stilvollen Berggestalten; sie finden sich in den Sandsteinfelsen der
sächsischen Schweiz, mehr noch an den Küsten von Cornwall; in den Bergwüsten am Coloradostrome, wie auf
der Sinai-Halbinsel oder in Abessinien. Mit der stilvollen Bergform haben sie das gemeinsam, daß sie an
die Arbeit von Riesenhünden erinnern. Aber es ist nicht das künstlerische Maß, das wir an ihnen bewundern,
sondern das Seltsame, Launenhafte. Diese Berge sind keine bloßen Berge mehr, es sind zertrümmerte Mauern
und Türme,' wolkenumrauchte Gigantenburgeu oder barocke Bauwerke von Erdgeistern. Dämonische Meister
haben hier eine natürliche Brücke über eine Schlucht gespannt, anderwärts ein Zackenthürmchen an eine Zinnen-
wand geklebt, hier ein mächtiges Thor in einen Wall gebrochen, dort ungeheuere Säulen nebeneinander gestellt.
Das Höchste an künstlerischer Ausgestaltung der phantastischen Bergform leisten Prellers Odyssee-Landschaften,
in welchen die unbegreiflichsten Gebilde doch von einer Meisterhand beherrscht erscheinen. Es ist die Vereinigung
der phantastischen und der stilvollen Bergform in edelster Vollendung.

Ungleich schwieriger gestaltet sich die Beurteilung der rein malerischen Wirkung des Gebirges in
der Landschaft. Tie moderne Stimmungsmalerei, welche die Form der landschaftlichen Gebilde sehr als Neben-
sache behandelt und fast nur durch die Farbe zu wirken sucht, will von einer die Aufmerksamkeit des Beschauers
beanspruchenden Plastik des Gebirges nichts wissen. Sie behandelt den Berg immer nur als ein Material,

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