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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Heilbut, Emil: Künstler und Kunstkritiker, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0240

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j82

Künstler und Kunstkritiker, von kserman Helferich

wie oft beide in ihrer gegenseitigen Be- und Verurteilung
Unrecht haben, als darin, ihre Gebiete überhaupt zu
scheiden. Tenn ich denke nicht, daß die Kritik der Künstler
wegen da ist, daß sie sich an die Künstler wende; so
arrogant bin ich nicht, dieses zu glauben, ich denke viel-
mehr, daß die Kritik des Publikums wegen da ist, und
Halle sür unmöglich, daß ein Künstler, dessen Talent dieser
Bezeichnung lohnt, durch die Kritik jemals belehrt werde.

III.

Der Künstler belehrt sich selbst; er weiß, was er
muß, und fühlt es. Stein, die Kritiker sind nur des
Publikums wegen da, diesem können sie eine Art Führer-
schaft immerhin bieten. Dieses zur Basis unsrer Beur-
teilung gemacht, kommen wir zu einer andern Disposition
über das Verhältnis zwischen Künstlern und Kritikern.
Sie stehen selbständig von einander da. Der Künstler
braucht nicht zu lesen was der Kritiker schreibt. (Es
würde sogar für seine Nerven besser sein, wenn er sich
um Kritikenlesen wirklich nicht kümmerte.) Er soll be-
denken, daß die Kritiken derjenigen Leute wegen geschrieben
werden, welche sich unterrichten wollen, nicht sür diejenigen,
die im Besitze der Kenntnis sind. Wer über die Sache
unterrichtet ist, bedarf keiner Führerschaft, um so weniger,
als er, da er ein Künstler, den Besitz seiner Kenntnis
rein persönlich erworben hat, und alles das per se an
Kenntnissen zusammenbrachte, was ihm nötig. Aber,
infolgedessen auch kann der Künstler nicht Rücksicht aus
das Allgemeine nehmen, der Künstler hat, wenn er ur-
teilt, immer für seine Person recht, so daß er urteilt wie
er es muß, er ist ein produzierendes Individuum, und
alle seine Äußerungen haben zur Vorbedingung, daß es
seine Äußerungen sind, Äußerungen eines Mannes, der
seine Wecke produziert. Damit ist gegeben, daß der
Künstler nicht in der Lage ist, für andre zu urteilen,
und damit ist der Boden für den Berus des Kritikers
bereitet: dieser ist in der That also notwendig, wenn
anders ein urteilender Mann notwendig ist. Ter Beruf
eines Kritikers ist dem Künstler so zu erklären, daß der
Künstler, eben weil er einer ist, schwer im stände ist, das
Allgemeine, das, was nicht ihn betrifft, aufzufassen. Er
begreift, weil er so intuitiv begreift, was er begreift,
immer nur das, was ihn angeht. Beweise: Lenbach
konnte sagen, daß er an Bastien Lepages Porträt seines
Bruders nichts finden könne (wir sind überzeugt, Bastien
Lepage würde an Lenbach nicht viel bewundern wollen);
und beide haben Unrecht; Gerome verurteilte Millets
Angelus, nannte ihn abscheulich; und Millet würde
Gerömes auf kühlen Verstand allein gestellte Kunst unter
ihrem Wert beurteilt haben. Es ist sicher, daß selbst
wirkliche Künstler, wenn sie es zu ihrer Gewohnheit machen
würden, kritisch thätig zu sein, ihre Fähigkeit ersticken
würden: gewöhnt man sich, viel mehr zu begreifen, als
einem zu begreifen nahe liegt, so ist es mit jenem un-
bewußten Schaffen vorbei, das die Voraussetzung des
Kunstschaffens ist. Hierdurch ist aber nochmals nach-
gewiesen, daß Kunstkritik wohl ein berechtigtes Fach sein
müsse, denn es ist klar, daß Kunstkritik nicht dem
Künstler obliegen sollte, selbst dem nicht, der eine ent-
schiedene Begabung für dieselbe hätte: denn er ge-
wöhnt sich dadurch die Kunst ab. Dagegen können
Maler und Bildhauer viel Gutes dadurch stiften, daß sie
sich selbst an das Publikum wenden mit Bezug auf ihre

Kunst, und ihre Anschauungsweise ihm erklären. Denn
niemand kann ihre Absichten so gut wie sie selbst aus-
drücken; natürlich können sie aber nur über sich selbst
sprechen. Es ist daher sehr nützlich, daß es Leute gebe,
die, mit künstlerischem Verständnis wie der Künstler aus-
gestattet, ohne zu produzieren, auf der Welt sind; diese
Leute können thun, was die Künstler nicht thun können,
ohne ihre Produktion zu schädigen, nämlich sie können
über Kunst reden. Und sie können allerart Kunstwerke
betrachten — denn an uns Kunstkritikern ist nichts mehr
zu verderben, den Malern aber würde manche Betrach-
tung nicht ohne Schaden für ihre produzierende Frische
vorübergehen. Die Kritiker brauchen keine Diät einzu-
halten; sie werden niemals benachteiligt werden können
durch das Sehen dieser und jener Bilder, sie werden
nie dadurch, daß sie beispielsweise das positiv Beste zu
sehen bekämen, davon abgebracht werden, jenes relativ
nur Gute, dessen allein sie fähig wären, nun nicht mehr
produzieren zu mögen. Durch Anregung dieser und jener
Ärt, durch neue Gedanken, durch neue Bücher, durch neue
Bilder geschieht ihnen kein Leid.

Ist die Sache so, sehe ich keinen ideellen Grund,
weshalb Feindschaft zwischen beiden Korporationen zu
herrschen brauchte. Es ist eben kein Zusammenhang
zwischen ihnen, es sind verschiedene Professionen; warum
also Feindschaft? Und kann ein Kritiker einem Künstler
nützlich sein (was selten ist), vielleicht falls der Kritiker
so taktvoll ist, dem Maler, seinem Freunde, nur nach
der Richtung hin Ausblicke zu öffnen, die für den Maler
die natürliche Richtung ist ... so wird ein solches
Dienenköunen den Kritiker beglücken. Er wird hierin
das schönste Bio ment seines Vorhandenseins auf der
Welt erblicken. Gegenüber solchem Nützenkönnen wird er
sich darüber trösten, daß ihm, eben im Zusammenhänge
mit seiner Fähigkeit, die Fähigkeit des Schaffens versagt
bleiben mußte .. . Immerhin wird aber auch die Aus-
übung der Kunst dadurch ergänzt, daß er von ihr spricht,
und wäre der Künstler allein gelassen worden, das Publi-
kum m der Betrachtung der Schöpfung seiner Leinwand
und seines Pinsels allein auf sich selbst uud auf den
Künstler angewiesen — so wäre heutzutage nicht die „Kunst
sür Alle" da, sie wäre nur sür die Künstler da und
für die, die die Kunst studieren. Die Feder, die böse,
böse Feder ist also doch zu etwas gut, sie lehrt das
Publikum die Kunst und die Künstler lieben, sie lehrt bis-
weilen auch, von den Künstlern Bilder zu kaufen. Sollte
das nicht ein ganz hübscher Dienst sein? ein ganz gut-
mütiger? Wir stecken unsre Nase in die Ölfarbe,
damit das Publikum belehrt werde. Wir fahren von
Ausstellung zu Ausstellung; wir dürfen nicht müde wer-
den, und wenn wir uns irren, so schlägt man uns auf
die Finger. Das ist unser Beruf. Es gibt Leute,
welche selbst diesen Beruf uns nicht gönnen . . . Aber
daß wir „Laienbrüder" der Kunst, wir armen Kritiker
in unserm Berufe früher oder später doch auch allgemeine
Anerkennung von den Künstlern selbst erhalten werden,
das ist nicht außerhalb des Bereiches unsrer Hoffnung.
Bei vielen von den Künstlern ist es wohl doch nicht
wahrscheinlich. Aber wir müssen hier unten nicht allgemeine
Anerkennung verlangen, unsre Belohnung, wenn über-
haupt, wird dereinst in jenen Fernen erfolgen, wo Kunst-
kritiker nicht mehr stören und auch Künstler endlich zur
Ruhe gelangen.
 
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