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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Vincenti, Carl Ferdinand von: Die 1891er Jahres-Ausstellung im Wiener Künstlerhause
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0284

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2,8

Die ;8y;er Jabres-Ausstellung im Wiener Künstlerhause

selbst stark gewesenen Wiener Kunst zu erweitern. War's
ein Segen, war's ein Nachteil? Die Ansichten darüber
sind geteilt, wir halten es für einen 'Segen. Vielleicht
ist manches eigenartig^Wienerische verschüttet worden,
aber dagegen steht der große Gewinn, daß Wien in die
allgemeine Kunstbewegnng eintrat und damit aufhörte,
sich, auch in der Kunst, nur in seinem eigenen Spiegel
zu beschauen. Seit diesen Jahren her ist uns die deutsche
Kunst näher und näher getreten. Freilich hat sie uns
manche große Kraft, Fleisch von unserm Fleische, ent-
zogen und insbesondere die Künstlerrepublik an der Isar
eine unwiderstehliche Anziehungskraft ans die öster-
reichischen Maler ausgeübt, aber die Ausgewanderten
haben sich damit nicht der Heimat entfremdet, nicht ihrer
Dankbarkeit für dieselbe entschlagen. Man sieht dies zur
Genüge auf allen unfern Jahresausstellungen und auch
ans der diesmaligen, welche unter 813 Nummern wohl
100 Ölbilder allein aus München zählt. Die Münchener
Kunstbcwcgung ist eben triebkräftig genug, um nicht
allein ihren Jahres-Salon im Großen aus Eigenem be-
streiten, sondern auch den Wiener Platz und Heuer noch
die internationale Bilderschau in Berlin würdig be-
schicken zu können. Man arbeitet eben viel in München
und treibt gesunde Kunstpolitik. Erfreulich zahlreich
haben sich auch die Düsseldorfer und Karlsruher ein-
gefunden, während Berlin sich für seine große Aus-
stellung „sammelt". Tie Franzosen haben den Wiener-
Markt seit den letzten Jahren immer mehr aufgegeben
und sich nach München gewendet, eine regere Beteiligung
hätten wir dagegen von den Herren aus Transleithanien
erwarten dürfen, aber diese vermeiden eben ängstlich
jeden Verdacht, nach Wien zu „gravitieren".

Der Charakter der Ausstellung ist kein sensationeller
im Sinne des großen Marktzugbildes überhaupt, aber
wohl erregt das so reich Gebotene in Kunstkreisen be-
rechtigtes Aufsehen durch das sichtlich gehobene Können,
den Ernst und die Selbstzucht, welche besonders auch
bei den Wiener Künstlern hervortreten. Es ist ein
Blühen und Sprießen der Jungschule, die das Herz er-
freut; sie ist es, welche in das allgemein interessante
Totalbild der Ausstellung eine Fülle von liebenswürdigen,
fesselnden Einzelzügen einwebt. Von Auswüchsen ver-
spüren wir nur wenig, im allgemeinen haben die „Jungen"
alles zu vermeiden gewußt, was anfangs die Neumalerci
unsympathisch machen konnte und auch nicht selten ge-
macht hat. Der Gesundungsprozeß ist überhaupt unver-
kennbar, und nur sehr vereinzelt finden sich ans der
Jahresausstellung hie und da Bilder, welche jenes rück-
sichtslose Bekennertum zur Schau tragen, das über die
Grenzen der Kunst hinaus recht zu behalten so geräusch-
voll bemüht gewesen. Kommt dies unverkennbar dem
Ausstellnngsbilde zu statten, so muß zugleich ein anderer
Umstand dankend hervorgehoben werden, welcher dessen
Glanz wesentlich erhöht, wir meinen die liebenswürdige
Bereitwilligkeit, womit die Münchener Neue Pinakothek so-
wohl als die Berliner „Verbindung für historische Kunst"
anerkannte erste Kunstwerke von Löfftz, Uhde, Benlliure,
Albert Keller, Dantan, Marr, Rocholl leihweise
beigestellt haben. Betreten wir die Ausstellung, so bietet
sich uns sofort eine höchst einnehmende, ja imponierende
Seite derselben dar: die Plastik, welche die Säulenhalle
des Mittelraumcs besetzt hält. Nach beiden Seiten hin
eröffnen sich verlockende Ausblicke in die Bildersäle. Wir

werden da bei einem nur flüchtigen Umgang sofort einen
nachhaltigen Eindruck gewinnen und den Reichtum an
Sittenbildern und Landschaften, ganz besonders aber eine
Blickender Bildniskunst zu bewundern in der Lage sein,
wie sie bei solcher Bilderschau in den letzten Jahren sich
nicht mehr entfaltet hatte.

Was ist doch unsre Bildnerei, so lange das Aschen-
brödel der Wiener Kunst, seit zwei Jahrzehnten geworden!
Neu-Wien brach den alten, dumpfen Bann, und eine
Fülle von bildnerischem Talent schoß in die Halme, weit-
aus und darüber ausreichend für Groß-Wien, das hoffent-
lich recht viel Plastik konsumieren wird. Bildhauer,
tüchtige, findige, denen etwas einfällt, haben wir, das
bezeugt der glyptische Ausstellungssaal von neuem, wir
brauchen nur Aufträge, damit der nunmehr so herrlich
entwickelten Wiener Bildnerkunst nicht wieder der Atem
ausgehe. Monumentales und Bildnishaftes, Gruppe und
Standbild, Bronze- und Silbcrplastik, Schnitz-, Treib-
und Medailleurkunst, alle Gebiete sind gleich erfreulich
vertreten. Wir haben nur ins Volle hineinzugreifen,
fehlgreifen können wir kaum. Seit Jahren warten die
Freitreppensockel der Kunstakademie Hansens auf ihre
Centauren. Hier bäumt sich uns der eine entgegen, den
Amorbuben ans dem Rücken, — Liebe bändigt wilde
Kraft. Edmund von Hofmann, der Bildhauer des
Nixenbrunnens auf dem Museenplatze, hat ihn modelliert.
Von rückwärts schimmert ein Fignrenfries, ein wahres
Prachtstück der Wiener-Baroke, - eines jener neun Hoch-
reliefs, welche Wehr, der Schöpfer der Grillparzer-Reliefs,
für die dekorative Ausstattung des Kunstmuseums her-
stellt, eine für die Fernwirkung malerisch abgewogene
Darstellung, welche vom flacherhabenen Hintergrund alle
Stufen der Hocharbeit, bis zur stärksten Rondebosse-Ans-
ladnng, durchschreitet. Wir sehen, von der Ruhmcsgöttin
überschwebt, Kaiser Karl VI., dem seine Künstler ihre
Pläne und Modelle darbringen, der Erlacher Fischer und
Rafael Donner voran. Eine zweite höchst reizvolle Hoch-
arbeit unseres Reliesmcistcrs Wehr ist das für die Thor-
füllung des Streit'schen Equitable-Palastes bestimmte
elliptische Medaillon, auf welchem der Künstler die „Stock-
im-Eiscn-Sage" oder vielmehr jene Szene dargcstcllt hat,
wo eben der Gesell das Schloß am Baume öffnet. So
wie der Strunk dieses Baumes, mit Nägelköpfen über-
krustet, eines der populärsten Wahrzeichen Wiens geworden,
so wird's mit dem Weyrschen Relief sein; alle Welt
wird dies Stück echt Wiener volkstümlicher Kunst sehen
wollen. Tilgner, der uns das Mozartdenkmal geben
soll, ist mit einem reizenden Zierbrunnen (weinlesende
Amorinnen) in, sozusagen, ländlichem Halb-Rokoko und
vier Bildnisbüsten vertreten, worunter uns Prinz Heinrich
Liechtenstein (Knabe) die liebste wäre; die Brahms-Büste
leuchtet nicht sofort ein, obwohl der große Zug sofort
auf einen Großen hinwcist. Neben unserem Bildnis-
meister der Plastik haben sich auf diesem Gebiete diesmal
insbesondere Natter, Otto König, der Vielseitige,
Härdtl, Ratha usky, Kauffungen, Zinsler (Cha-
rakterspieler Martinelli), Schmidgruber hervorgethan.
Heinrich Natter ist eben am Hofer-Denkmal für den
„Jsel"; da haben wir denn schon den gewaltig, bauern-
haft gedrungenen Hoferkopf in Marmor. Desselben
Künstlers Bismarck in Bronze gehört zu den überzeugend-
sten Bismarckköpfen. Als drittes gesellt sich ein eigen-
artig-urwüchsiges Werk hinzu, der „Gnom mit Krystall",
 
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