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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Heilbut, Emil: Erinnerungen an Max Michael: gestorben 24. März 1891
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Seydlitz, Reinhard von: Vor- und nachmärzliche Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0299

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230 Erinnerung an Mar Michael, von Hcrinan Hclferich — vor- und nachmärzliche Kunstkritik, von R. v. Seydlitz

dennoch — wenn sie auch nnr in Michaels Phantasie ihr Heim finden, sie leben, weil sie von dort kommen.
Dort ist ihre Einheit, und zwar eine gemütliche, humoristische, eine auch etwas ironische Einheit. Das Geschlecht
derer, die mit Heine lebten, hatte in Michael einen seiner letzten Epigonen; und der saß nun im zweiten Stock
des Hinterhauses unter den Linden, „unterwies der Schüler Zahl", träumte in der Ecke seines farbigen Ateliers,
unter ihm setzte der Mann mit der strohgelben Perücke seinen Satz, der nie abbricht, das Gras sproß aus den
Ritzen, und Staub, Staub, Staub füllte die Atmosphäre des Hofs ...

Vor- und nachmärzlichc kunfkkritik

!)on R. v. Seydlitz

dtzächst Bismarck, dem „bestgehaßten",
war von je der Kritiker, der Rezensent
mit dem Fluche ärgsten Hasses belegt. Die
größten Dichter schimpften ans ihn wie die
kleinsten. „Schlagt ihn tot", schreit der eine
— der andre entdeckt, daß Kritiker ein zu
kurzes Gedärm haben; — Zorn, Verach-
tung, Spott — bisweilen, wie die Geschichte
weiß, auch handgreifliche Kontrakritiken,
waren von je der Lohn jener, die sich be-
mühten, dem urteilslosen Haufen zu sage»,
was er zu empfinden habe. O über den
Undank! — Und ändert sich dies traurige
Verhältnis? Wird je ein Tag kommen, an
dem Künstler einem Rezensenten ein schönes
Denkmal errichten? Arm in Arm mit ihm
durch die Lorbeerhaine des Ruhmes wandeln?

Oder sind etwa gar die Rezensenten
schlimmer geworden? — Im Gegenteil,
sanfter und sanfter! Die spitzigsten Be-
merkungen des modernen „Spottvogels"
sind ja Ol und Watte gegen das grimmige
Scheidewasser, gegen die mit Nägeln be-
schlagenen Keulen vormärzlicher Kritiken!

Ein Zufall weht mir heut drei Büch-
lein auf den Schreibtisch zusammen, aus
denen ich zur Sänftigung grimmer Künstler-
gemüter nicht minder als zur staunensvollen
Erheiterung aller Leser hier ein kleines
Tornensträußlein winden will; ist aber
ein moderner Kritiker unter den freundlichen
Lesern, so darf er zwar insgeheim seufzen,
daß die Zeiten göttlicher Grobheit dahin
sind; aber er wird dabei an die mildfühlende
Brust schlagen und rufen — „ich danke dir
Herr, daß ich nicht schreibe, wie jene da!"

Das mildeste von den drei Büchlein ist
von niemand geringerem als dem berühmten
Professor Fechner, der unter dem Pseudonym
Skudienkoxf. von Max Michael Or. Mises*) benebst vielem andern Geistvollen

und Spaßhaften auch über die Leipziger
Kunstausstellung des Jahres 1839 eine Reihe von Artikeln geschrieben hat, in denen er über jedes (!) Bild zwei,
vier, ja acht und mehr Seiten (!!) spricht. — Wohin sind solche Zeiten, solche Zustände — und wohin käme heute
der Kritiker und seine Leser, wenn er den ganzen Glaspalast ähnlich ausführlich behandelte? Nach Giesing vermutlich.
— Doch, —- eine Probe:

Seite 495 (Hut ab vor dieser Zahl!) heißt es über ein Bild von Haach in Düsseldorf: „Eine große
Schüssel mit Aposteln. Doch nein, es ist ein Schiff. Freilich, wer konnte das gleich sehen. Der Maler entschuldigt
sich, er habe das Meer wegen der Kleinheit des Bildes nicht anzubringen gewußt. Nun, man sieht doch den guten
Willen. Was in die vier Ecken geht vom Meer, das ist da, der Maler hat sogar etwas zu viel in den Rahmen

y „Kleine Schriften", Leipzig, 1875.
 
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