Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

DOI Artikel:
Brandes, Otto: Die beiden Pariser Salons
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0357

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
278

Die beiden pariser Salons

lung, daß jedes Einzelne unsre künstlerische Teilnahme
gefangen nimmt. Wo diese Abwechselung aber einmal
fehlt, wie in den neuen Porträts Girardots, die
durchaus nicht schlecht gemalt sind, und auch bei Weerts,
da fällt dies sofort unangenehm auf.

Der Salon in den Champs Elysees ist darum nicht
schlecht, er ist sogar viel besser als der vorjährige. Es
wäre vermessen, behaupten zu wollen, daß künstlerische
Äußerungen eines Gerome, Henner, Bouguereau, Bonnat,
Benjamin, Constans, Lefebvre, Jacque, Vuillefroy,
Comorn, Rochegrosse, Jules Breton, die die Welt jahre-
lang in Aufregung gehalten haben, heute alles Interesse
entbehrten, aber sie sind, wenn man von dem einen oder
dem andern absieht, das alte Testament, sie sind der
Buchstabe, der da tötet, während die Dagnan-Bouveret,
die Friant, die Gervex, die Courtos, die Besnardts,
die Bcraud, um nur einige Vertreter des Salon Meis-
sonier zu eitleren, das neue Testament der Kunst, der
Geist sind, der lebendig macht.

Daß nicht alles im Salon Meissonier gleichwertig
ist, versteht sich von selber. Häufig accentuiert der
Künstler die von ihm eingeschlagene Richtung allzusehr,
die Hypcroriginalitüt macht sich geltend, zuweilen wohl
ausschließlich in einem Gefühle der Opposition. Leider
machen derartige künstlerische Tendenzen immer Schule.
So bemerken wir den Einfluß von Puvis de Chavannes
mit seiner koloristischen Negation, die Ribots in seiner
durch einen eigentümlichen Lebensgang hervorgerufenen
Weise der brutalen Kontraste von Licht und Schatten,
wie die Eugene Carrieres, der bekanntlich alles durch
einen weißen Schleier oder eine schwach milchig gefärbte
Brille sieht. Carriere behauptet, im geschlossenen Raume
sei alles von einer Tunstatmosphäre umgeben, die die
Kontur verwischt, und um dieser subjektiven Wahrheit
Geltung zu verschaffen, accentuiert dieser Meister der
Zeichnung seine Richtung. Das unter andern Bildern
von Carrivre ausgestellte Porträt des bekannten Roman-
cier Daudet mit seiner Tochter stellt den im Leben aller-
dings krankhaft aussehenden Dichter so dar, als ob er
schon wer weiß wie lange im Grabe gelegen hat. Wenn
man sich diesen Ton nun selbst für die Hauptfigur ge-
fallen lassen wollte, so empört er doch bei dem blühen-
den Töchterchen derselben. Es kann sich bei dem Maler
doch nur um eine ihm besonders eigentümliche Anlage
des Auges handeln, wenn er an sein Modell näher
heranginge, selbst auf die Gefahr hin, in die Ribotsche,
oder wenn man lieber will, in die Manier des Spagno-
letto zu verfallen, würde der Dunstkreis von selber
schwinden. Man diskutiert die Art CarriLres zu malen
nach jedem Salon und flugs hat sich, offenbar um auch
diskutiert zu werden, eine Anzahl Maler gefunden, die
diese Manier nachzuahmen versuchen. Der talentvollste
von ihnen im Salon Meissonier ist Armand Verton.

Wir haben bereits gesagt, daß verschiedene Bilder
der Champs Elysses sich dem Beschauer mehr durch ihre
räumliche Bedeutung als durch ihren inneren Gehalt
aufdrängen. Ein Bild von kolossalen Dimensionen ist
Rochegrosses figurenreicher Untergang von Babylon,
das Ergebnis einer dreijährigen Arbeit. „Nachdem der
erste Augenblick des Schreckens vorüber war", heißt es
in der Legende, „dauerte die Orgie fort. Aber die durch
die geheimnisvollen Schriftzeichen angekündigte Strafe
ließ nicht auf sich warten. Am nächsten Morgen machte

sich die Armee der Perser die allgemeine Trunkenheit
zu Nutze, drang in Babylon ein und bemächtigte sich
des Palastes." Nach diesen Worten erwartet man in dem
Bilde ein wüstes Durcheinander, ein Parfüm von Wol-
lust, Trunkenheit und Schrecken zu finden, statt dessen
wird uns ein künstliches Modell-Arrangement, eine Art
Opernaktschlnß aufgetischt, dem der Hauch des Lebens
fehlt. Der Vorgang spielt sich in einer mächtigen, archi-
tektonisch schön erfundenen Halle ab, durch welche der
Rauch der gestürzten Opferbecken zieht. Diese ist durch
einen breiten Weg geteilt, links liegen die lebensgroßen
Leiber in einem gewollten Wirrwarr weinschwer und
liebemüde durcheinander. Dieser Teil ist in Hellem
Lichte gemalt, von dem man eigentlich nicht recht weiß,
wo es her kommt und das mehr dem Effekte dient,
während die Seite rechts, in der aus dem Leibersalat
einzelne Figuren zum Zeichen des Entsetzens vor dem
Nahen der Perser die Hände gen Himmel werfen und
Augen und Mund weit aufreißen, in ein Halbdunkel ge-
hüllt ist. Diese Seite ist mir lieber, sie ist diskreter
und harmonischer in der Farbe. Auf hohem Throne, zu
dem eine unsägliche Anzahl von Stufen führt, steht
perspektivisch klein Belsazar und schaut dem gemütlichen
Einzuge der Perser zu. Wenn in dem Bilde nicht er-
reicht ist, was der Künstler gewollt hat, so zeigt es doch
alle vortrefflichen Eigenschaften Rochegrosses, ein gründ-
liches archäologisches Studium, einen großen Sinn für
die Farbe und eine Virtuosität in der Behandlung des
Nackten. Das Bild, welches wohl zum Reisen bestimmt
ist, wird diesseits und namentlich jenseits des Oceans
nicht ohne Interesse angesehen werden. Nicht so groß
aber ungleich lebendiger ist des Spaniers Checcas
prächtiges Bild „die Hunnen". Das rast und schreit
auf den dahin donnernden meisterhaft gemalten Pferden
und der Führer Attila ist eine markige prächtige Figur.
Es ist dieses Bild ungleich interessanter als Jean Paul
Laurens für das Stadthaus bestimmtes dekoratives Bild:
das Stahldach. Von der Pariser Stadtbehörde auf-
gefordert, ist Ludwig XVI. aus Versailles gekommen,
um aus den Händen Baillys die Schlüssel der Stadt

Fries im v. Tchiele-lVinklerschen Hause ;u Berlin
von Nico laus Gei.ger
 
Annotationen