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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Springer, Jaro: Die internationale Kunstausstellung zu Berlin, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0422

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von Iaro Springer

nachahmen, zur Vergleichung nicht herangezogen werden
können. Das beste, was sie geben, ist diesen entlehnt.
Aber sie lehren uns durch diese Vermittlung auch ein
gutes Stück der uns unbekannten pariser Kunstauffassung
kennen. So vor allen Gari Melchers. Geschmacklos
ist die spiritistische Malerei von W. Mac-Ewen, die
Abwesende am Allerseelentag. Ein junges Mädchen liest
aus der Bibel vor, neben ihr sitzt abgewandt der Vater,
auf dem leeren Stuhl zur Seite aber erscheint wie ein
Schatten der Geist der Mutter. Der praktische und
nüchterne Sinn der Amerikaner hat sie sonst vor solchen
Abwegen bewahrt, sie thun auch gut, unter sich Dinge
zu malen.

Daß allenthalben unter Malern ein reger Eifer
herrscht, davon wird die Ausstellung jeden überzeugen.
Tie übrigen Kunstzweige haben aber an diesem frischen
Schaffen geringen Anteil. Während wir bald zweifellos
allgemein unsere Bilder hell malen werden, wird uns
eine farbige Plastik in nächster Zukunft nicht zu teil
werden. Auf die Frage, ob wir unsere Statuen be-
malen sollen, ist leider eine zu gelehrte und abstrakte
Antwort erteilt worden. Die wenig geschickt eingeleitete
Bewegung, von der man geglaubt hatte, daß sie dem
gegenwärtigen Kunstkurs so sehr entspräche, verlief im
Sande. Auch auf der plastischen Abteilung der dies-
jährigen Ausstellung herrscht der langweilige, staubige
Gips vor. Selbst getönte Bildwerke sind selten ge-
worden, Eberleins verwundete Nymphe ist eine der
besseren Beispiele dieser Art. Zart getönt ist der Frauen-
kopf von Max Klein, dessen Künstlers Büste eine alte
Frau zeigt, die vortreffliche dekorative Wirkung der
Zusammenstellung von Marmor (das Gesicht) und Bronce
(die Gewandung), die leider nur selten gewühlt wird.
Die etwas vermehrte Produktion an Broncewerken,
namentlich in kleineren Arbeiten, zeigt, daß auch die
Bildhauer dem malerischen und dekorativen Bedürfnis
nachzukvmmen trachten. Ein reizendes Stück ist die
Gruppe „Junge Liebe" des früh verstorbenen I. Kaff-
sack, ein junges Mädchen im Strandkorb sitzend, dem
der vor ihr kniende junge Manu ein Licbesgestäudnis
macht. Technisch von der größten Vollendung ist ein
von Gladenbeck ausgeführter Brouceguß nach einem
Modell von Vvlkmann, den Kopf einer Römerin mit
zierlich gedrehten Stirnlöckchen. Von den zahlreichen
Porträtbüsten, von denen namentlich Berlin eine statt-
liche Menge hervorbringt, schien mir keine über eine durch-
schnittliche Tüchtigkeit hinauszugehen. Größere Denkmäler
sind in geringer Anzahl vertreten: Echtermeyers Abt-
denkmal zeigt eine sehr lebensvolle Schar singender Knaben.
Recht langweilig ist Bergineiers Brunnenmodcll mit einem
Obelisken. Das für Düsseldorf bestimmte Kriegerdenkmal
von Carl Hilgers gehört zu den bessern Monumenten
dieser Art. Begas' Grabdenkmal des Dr. Strousberg, be-
kundet wieder das flotte Compositionstalent dekorativ wirk-
samer Gruppen. Von den Genrefiguren möchte ich zwei
Arbeiten erwähnen die Marmorbüste von R. Thiele,
„Sklavin", die in sorgfältigster Technik mit seltsam aus-
gehöhlten Augen gearbeitet ist und die beim Sonntags-
publikum besonders beliebte Marmorgruppe von G.
Brunow „Erfüllter Traum", ein junger Mann ein
schlafendes Mädchen enthüllend. Die Gruppe ist vor
einem kleinen Fenster geschickt aufgestellt, so daß das
Licht durch den Marmor grünlich hindurchschimmert.

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Die Bildhauerarbeiteu des Auslandes sind mit wenig
Worten abgethan, da wir von diesen nur eine geringe
Anzahl herbekommen haben. In Belgien wird das Elend
des menschlichen Lebens auch in plastischen Gruppen zur
Anschauung gebracht, ich erwähne Charliers Mütter-
liche Angst. Eine recht gute Arbeit ist das Mutterglück
von O. Hambresin. Das Leos Iroruo-Lsliet' des
dänischen Bildhauers A. Hansen ahmt den derben
Realismus des 15. Jahrhunderts, wie er uns in den
norddeutschen Holzskulpturen namentlich entgegentritt,
glücklich nach. Ein prunkvolles Stück ist die Marmor-
büste der Königin-Regentin von Spanien vonA. Ouerol.
Die Büste eines alten Mannes mit offenem Mund von
I. Reynes (gebrannter Thon) fällt durch ihre große
Lebenswahrheit auf. Das Marmorrelief „Ein Motiv
von Chopin" von Wladyslaw Marcinkowski zeigt ein
junges Mädchen im denkbar flachsten Relief mit einem
nur leicht angedeuteten, verschwommenen Hintergrund.
Dieser plastische Impressionismus wird hoffeütlich wenig
Schule machen.

Die Abteilung der schwarzen Kunst auf der Aus-
stellung giebt nur einen sehr ungefähren Überblick über-
reiche Produktion auf diesem Gebiet, auf dem es viel-
leicht stärker gährt, als auf irgend einem andern. Die
Vorliebe für große Grabstichelblätter nach alten und
neuen Bildern scheint dem deutschen Publikum geblieben
zu sein, obwohl dieser Wandschmuck zum modernen Ein-
richtungsgeschmack wenig zu passen scheint. Radierungen
kommen der neuen dekorativen Richtung besser nach, be-
sonders rühmliche Leistungen sind auf diesem Gebiet aus
Deutschland nicht zu verzeichnen, die besten und be-
kanntesten Namen fehlen allerdings. Die englischen
Radierer überragen die deutschen an technischer Geschicklich-
keit und glücklicher malerischer Wiedergabe wohl durchweg.
Auf der Ausstellung findet sich nur die übliche Handels-
ware.

In den Reproduktionstechniken aber steht Deutsch-
land einseitig an der Spitze. Die große Anzahl von
Prachtwerken, die jährlich erscheinen und die eine Fülle
von Kunstgedanken in die Familien tragen, machen bei-
nahe den besten Teil unsres nationalen Kunstruhmcs
aus. Die kleine Abteilung der illustrierten Werke auf
der Ausstellung ist leider sehr unvollständig. C. W.
Alters Publikationen (Hinter den Coulissen des Cirkus
Renz, Hochzeitreisen durch die Schweiz, der Amateur-
Photograph rc.) sind in letzter Zeit sehr beliebt geworden.
Die einfachen Zeichnungen sind in recht gefälligen
Lichtdrucken wiedergegeben. Die Heliogravüren in Rens
Reineckes Spiegelbilder aus dem Leben (München, Acker-
mann 1890) sind etwas flockig und unrein. Ein vor-
nehmes Prachtwerk von durchgehends überlegter künstler-
ischer Ausstattung ist der Katalog der Sammlung Eduard
G. Behrends zu Hamburg von Professor E. Heilbut
(1891). Die von Hanfstängl in München ausgeführten
Photogravüren nach Bildern einer der reichsten Privat-
galerieu sind von größter Akuratesse und geben den
technischen Charakter der einzelnen Bilder auf das treueste
wieder. Ter Herausgeber Professor E. Heilbut ist unter
dem Namen Helferich den Lesern „der Kunst für Alle"
wohl bekannt. Die gehaltvollen Beschreibungen der
Bilder geben gleichzeitig treffende Charakteristiken der
Künstler und halten sich von der üblichen gedankenlosen
Aufzählung glücklicherweise gänzlich fern.

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