Wo die Sonne scheint. Ziellose Reisebriefe eines Malers
unendlich langweilig, wie nach einem Brande eilig und
niedrig, uniform gebaute und aus demselben Farbtopf
Übereins gelb angestrichene Häuserreihe und schöne Rott-
mannsche Felsenlinieu.
Nach einem verunglückten Versuch, etwas zu essen —
cs gab Tintenfische in Maschinenöl! —, klammerte ich
mich bei beginnender Weiterfahrt in einem Winkel dcS
Verdecks fest, und das Auge auf die wechselnd im Regen-
gewölk auftauchenden und verschwindenden Klippen, Inseln
und Vorgebirge der Ferne und des Festlandes gerichtet,
ergab ich mich in den unvermeidlichen letzten Teil der
Fahrt.
Zur Linken hatte ich wieder Jthaka, das nun an der
andern Seite Cefalinias erschien, zwischen den wolkigen
Höhen dieses imposanten Jnselkolosses und dem akarnanischen
Vorgebirge. Von rechts weit her bis nach vorn schob
peloponnesisches Land seine grünen Hügel vor, kulminierend
in dem jetzt zu umsegelnden Kap, das den verdächtig neu-
griechischen Namen Chlemutzi führt. In grader Richtung
liegt — o Wonne — das stille, friedliche, von keinem
wilden Gewoge durchwühlte Gewässer des Busens von
Patras.
Der italienisch radebrechende Cameroto klopfte mir
im Vorbeiwankcn auf die Schulter: „niente piü rnare!" —
Er hatte meine Not gesehen und „ihren Sinn erkannt."
Nun, armes Herz, vergiß der Qual! —
Friedevoll und süß ruhte in der nächsten Nacht alles
in den Kojen, und erst das Ankunftssignal riß mich aus
erquickendem Schlummer. Von Patras hatte ich, der
frühen Winterdunkelheit wegen, nichts gesehen, dafür sollte
mich nun Korinth entschädigen. In prächtigem Frührot
gipfelte es ringsum, recht brav stilisierte Wolken lagen
darüber — etwas klassisch angehaucht, wie sich's ziemt,
aber übermütig lustig gefärbt. Der Meerbusen gleicht
hier einem Alpensee, nur hatte er infolge des gestrigen
Sturmes eine undefinierbar feine, hellgrün-milchige
Färbung, als sei er aus einem riesigen Chrysopras
geschnitten. In weitem Bogen des Ufers klebt die niedrige,
wie aus den Zeichnungen des kleinen Moritz in den
„Fliegenden Blättern" entnommene Stadt Neu-Korinth,
durch die uns nun eilig der Bahnzug entführte, um links
davon den wüsten Hügelrücken des Isthmus hinanzustcigeu.
Dort, wo einst die Hellenen ihren Jbykus beweinten und
rächten, schnauft auf langen Serpentinen die Lokomotive
hinan, zwischen dem endlosen Kalkgcröll, aus dem das
„schöne" Hellas durchweg zu bestehen scheint.
Ich hatte mir den schönsten frommen Schauer prä-
pariert, aber umsonst, Poseidons Fichtenhain ist abgeholzt,
und seine Stelle nimmt gewaltige Arbeit ein, berge-
versetzeude Titaneukraft gräbt von Meer zu Meer in
Abgrundtiefe den Kanal. Jsthmischer Ernst ist an Stelle
der isthmischen Spiele getreten, und der Erderschütterer,
dem die letzteren geweiht waren, freut sich besten, denn
seine Wogen werden binnen kurzem aus Geheiß des Generals
Türr, des korinthischen Lesteps, schäumend zusammen-
schlagen von beiden Meeren her und die „Insel des
Pelops" zu einer wirklichen machen.
Goldig glitzerte die Sonne im Spiegel des saroni-
schen Meeres, und prächtig vornehm gebildet standen
Ägina und Salamis Wache daran. Auch rechts die Küste
von Argolis, von kleinen Inseln umdrängt, die, wie alle
griechischen Inseln, beinahe höher wie breit sind, und
gradcaus die Höhen Attikas erfreuten das Auge durch
edle klassische Formen; wie etwa die Silhouette Capri's,
von der Punta Campauella gesehen, so kühn und helden-
haft strebt alles zum Himmel auf.
Während ich auf der Fahrt mich eines zunehmenden
Gemütstumults weder zu schämen brauchte noch zu erwehren
vermochte, — sollte ich doch mittags in Athen sein —
in Athen, der Geburtsstätte all unsrer Kultur, all unsrer
Kunst, der Heimat des Genius des Schönen, wo dieser'
Euphorion dereinst strahlend aufgeflogen zur Sonne und
wo er so schnell auf immer wieder herabgesunken —
während ich also ungeduldig die Minuten zählte, führte
mich der Zug au zwei schmierigen, widrigen Nestern vor-
über, ebenfalls im Architekturstil des „kleinen Moritz"
angelegt, — die aber Namen trugen, Namen! — Ich
will's verraten: cs war Megara und Elcusis. Wer bis-
her beim ersten heiter, beim zweiten Namen ernst gestimmt
wurde, der hat die „Städte" nie gesehen, die in Wahr-
heit diesen Namen tragen; und wem seine paar Scherbe»
Ideal lieber sind als herbe Wahrheit, der gehe nicht hin.
Ich aber verhüllte mein Haupt und murrte über
das Schicksal der Völker und einiges andre. Endlich
erleuchtete mich der Gedanke, daß mir dies eine Warnung
sein könne; und wie oft pries ich seitdem meine glück-
liche Wahl Griechenlands als Vorschule für den Orient.
Wem unter den Hellenen die Rosabrille der Begeisterung
nicht zerbrochen, der Schleier des schönen Wahns nicht
in Fransen gegangen ist, der ist gegen alle Enttäuschungen
hinfürder gefeit.
Mache der Leser gütigst einen kleinen Versuch, indem
er weiter liest, wie heilsam Enttäuschungen sind. Zweifel-
los erwartet — besser gesagt, fürchtet — jeder nun einen
Essay über Athen, das Parthenon und Erechtheion mit
in Kauf nehmen zu müssen; solches „Eulentragen" liegt
aber nicht in meinem Plan. Erfahre der aufatmende Leser
darum nur, daß meine „Visitenkarten" überall abgeworfen
wurden, daß ich vor allem bei Athene Parthenos vor-
suhr, mit Schloßenschauer von der ungnädigen empfangen
ward, daß ich den „Direktor" des Dionysosthcaters nicht
zu Hause traf, und daß ich mich resigniert und durchnäßt,
sonnensüchtiger als je, am dritten Tag dem Piräcus
zuwandte.
In Athen ist uns eben nicht nur jede Form, sondern
durch Werke von Meisterhand auch die Farbe so innig
bekannt, daß die Wirklichkeit uns nicht wirklicher erscheint;
uns däucht, wir hätten alle einmal dort gelebt, in einem
früheren Leben, in einem so überpersönlichen Leben aber,
daß kein subjektives Gefühlsband uns damit verknüpft,
keine Wehmut an eine längst vergangene Kindheit in uns
anklingt und desto williger und auch desto unparteiischer
das thatsächlich Vorhandene als Bild angeschaut wird.
Nur ein Wort noch von Athen: Daß ich ketzerisch
genug bin, Meinungen zu äußern, vor denen der Klassizist
sich bekreuzigt, weiß der Leser von Vicenza her; aber
hier wird's wohl manchem zu bunt werden, wenn ich mit
inniger Freude dankbar des köstlichen Eindrucks gedenke,
den ein ganz modernes, ganz frisch fertig gewordenes
Gebäude mir machte — die prachtvolle Akademie der
Wissenschaften. Es ist nicht Gold und karischer Marmor
allein, nicht die nenerstandene antike Forni, die der Bau-
meister ihm gegeben (denn der Stil ist ins Spätrömische
ausgeglittcn), auch nicht der rosig-goldige Schimmer attischer
Abendsonne, der mir zu Ehren auf den Giebeln flammte
und die Götter und Helden beinahe erschreckend belebte;
unendlich langweilig, wie nach einem Brande eilig und
niedrig, uniform gebaute und aus demselben Farbtopf
Übereins gelb angestrichene Häuserreihe und schöne Rott-
mannsche Felsenlinieu.
Nach einem verunglückten Versuch, etwas zu essen —
cs gab Tintenfische in Maschinenöl! —, klammerte ich
mich bei beginnender Weiterfahrt in einem Winkel dcS
Verdecks fest, und das Auge auf die wechselnd im Regen-
gewölk auftauchenden und verschwindenden Klippen, Inseln
und Vorgebirge der Ferne und des Festlandes gerichtet,
ergab ich mich in den unvermeidlichen letzten Teil der
Fahrt.
Zur Linken hatte ich wieder Jthaka, das nun an der
andern Seite Cefalinias erschien, zwischen den wolkigen
Höhen dieses imposanten Jnselkolosses und dem akarnanischen
Vorgebirge. Von rechts weit her bis nach vorn schob
peloponnesisches Land seine grünen Hügel vor, kulminierend
in dem jetzt zu umsegelnden Kap, das den verdächtig neu-
griechischen Namen Chlemutzi führt. In grader Richtung
liegt — o Wonne — das stille, friedliche, von keinem
wilden Gewoge durchwühlte Gewässer des Busens von
Patras.
Der italienisch radebrechende Cameroto klopfte mir
im Vorbeiwankcn auf die Schulter: „niente piü rnare!" —
Er hatte meine Not gesehen und „ihren Sinn erkannt."
Nun, armes Herz, vergiß der Qual! —
Friedevoll und süß ruhte in der nächsten Nacht alles
in den Kojen, und erst das Ankunftssignal riß mich aus
erquickendem Schlummer. Von Patras hatte ich, der
frühen Winterdunkelheit wegen, nichts gesehen, dafür sollte
mich nun Korinth entschädigen. In prächtigem Frührot
gipfelte es ringsum, recht brav stilisierte Wolken lagen
darüber — etwas klassisch angehaucht, wie sich's ziemt,
aber übermütig lustig gefärbt. Der Meerbusen gleicht
hier einem Alpensee, nur hatte er infolge des gestrigen
Sturmes eine undefinierbar feine, hellgrün-milchige
Färbung, als sei er aus einem riesigen Chrysopras
geschnitten. In weitem Bogen des Ufers klebt die niedrige,
wie aus den Zeichnungen des kleinen Moritz in den
„Fliegenden Blättern" entnommene Stadt Neu-Korinth,
durch die uns nun eilig der Bahnzug entführte, um links
davon den wüsten Hügelrücken des Isthmus hinanzustcigeu.
Dort, wo einst die Hellenen ihren Jbykus beweinten und
rächten, schnauft auf langen Serpentinen die Lokomotive
hinan, zwischen dem endlosen Kalkgcröll, aus dem das
„schöne" Hellas durchweg zu bestehen scheint.
Ich hatte mir den schönsten frommen Schauer prä-
pariert, aber umsonst, Poseidons Fichtenhain ist abgeholzt,
und seine Stelle nimmt gewaltige Arbeit ein, berge-
versetzeude Titaneukraft gräbt von Meer zu Meer in
Abgrundtiefe den Kanal. Jsthmischer Ernst ist an Stelle
der isthmischen Spiele getreten, und der Erderschütterer,
dem die letzteren geweiht waren, freut sich besten, denn
seine Wogen werden binnen kurzem aus Geheiß des Generals
Türr, des korinthischen Lesteps, schäumend zusammen-
schlagen von beiden Meeren her und die „Insel des
Pelops" zu einer wirklichen machen.
Goldig glitzerte die Sonne im Spiegel des saroni-
schen Meeres, und prächtig vornehm gebildet standen
Ägina und Salamis Wache daran. Auch rechts die Küste
von Argolis, von kleinen Inseln umdrängt, die, wie alle
griechischen Inseln, beinahe höher wie breit sind, und
gradcaus die Höhen Attikas erfreuten das Auge durch
edle klassische Formen; wie etwa die Silhouette Capri's,
von der Punta Campauella gesehen, so kühn und helden-
haft strebt alles zum Himmel auf.
Während ich auf der Fahrt mich eines zunehmenden
Gemütstumults weder zu schämen brauchte noch zu erwehren
vermochte, — sollte ich doch mittags in Athen sein —
in Athen, der Geburtsstätte all unsrer Kultur, all unsrer
Kunst, der Heimat des Genius des Schönen, wo dieser'
Euphorion dereinst strahlend aufgeflogen zur Sonne und
wo er so schnell auf immer wieder herabgesunken —
während ich also ungeduldig die Minuten zählte, führte
mich der Zug au zwei schmierigen, widrigen Nestern vor-
über, ebenfalls im Architekturstil des „kleinen Moritz"
angelegt, — die aber Namen trugen, Namen! — Ich
will's verraten: cs war Megara und Elcusis. Wer bis-
her beim ersten heiter, beim zweiten Namen ernst gestimmt
wurde, der hat die „Städte" nie gesehen, die in Wahr-
heit diesen Namen tragen; und wem seine paar Scherbe»
Ideal lieber sind als herbe Wahrheit, der gehe nicht hin.
Ich aber verhüllte mein Haupt und murrte über
das Schicksal der Völker und einiges andre. Endlich
erleuchtete mich der Gedanke, daß mir dies eine Warnung
sein könne; und wie oft pries ich seitdem meine glück-
liche Wahl Griechenlands als Vorschule für den Orient.
Wem unter den Hellenen die Rosabrille der Begeisterung
nicht zerbrochen, der Schleier des schönen Wahns nicht
in Fransen gegangen ist, der ist gegen alle Enttäuschungen
hinfürder gefeit.
Mache der Leser gütigst einen kleinen Versuch, indem
er weiter liest, wie heilsam Enttäuschungen sind. Zweifel-
los erwartet — besser gesagt, fürchtet — jeder nun einen
Essay über Athen, das Parthenon und Erechtheion mit
in Kauf nehmen zu müssen; solches „Eulentragen" liegt
aber nicht in meinem Plan. Erfahre der aufatmende Leser
darum nur, daß meine „Visitenkarten" überall abgeworfen
wurden, daß ich vor allem bei Athene Parthenos vor-
suhr, mit Schloßenschauer von der ungnädigen empfangen
ward, daß ich den „Direktor" des Dionysosthcaters nicht
zu Hause traf, und daß ich mich resigniert und durchnäßt,
sonnensüchtiger als je, am dritten Tag dem Piräcus
zuwandte.
In Athen ist uns eben nicht nur jede Form, sondern
durch Werke von Meisterhand auch die Farbe so innig
bekannt, daß die Wirklichkeit uns nicht wirklicher erscheint;
uns däucht, wir hätten alle einmal dort gelebt, in einem
früheren Leben, in einem so überpersönlichen Leben aber,
daß kein subjektives Gefühlsband uns damit verknüpft,
keine Wehmut an eine längst vergangene Kindheit in uns
anklingt und desto williger und auch desto unparteiischer
das thatsächlich Vorhandene als Bild angeschaut wird.
Nur ein Wort noch von Athen: Daß ich ketzerisch
genug bin, Meinungen zu äußern, vor denen der Klassizist
sich bekreuzigt, weiß der Leser von Vicenza her; aber
hier wird's wohl manchem zu bunt werden, wenn ich mit
inniger Freude dankbar des köstlichen Eindrucks gedenke,
den ein ganz modernes, ganz frisch fertig gewordenes
Gebäude mir machte — die prachtvolle Akademie der
Wissenschaften. Es ist nicht Gold und karischer Marmor
allein, nicht die nenerstandene antike Forni, die der Bau-
meister ihm gegeben (denn der Stil ist ins Spätrömische
ausgeglittcn), auch nicht der rosig-goldige Schimmer attischer
Abendsonne, der mir zu Ehren auf den Giebeln flammte
und die Götter und Helden beinahe erschreckend belebte;