Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 3.1881

DOI Heft:
2. Heft (1882)
DOI Artikel:
Ueber mittelalterliche Wandmalerei in Tirol
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26638#0025
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
M. 14. 1882.

Neber ȟttelalterliche Wandmnlcrei in Tirol.

3

neue Kirche zu Ehren der Gottesmutter. Warum aber das Chor gleich
breit und gleich hoch wie das Schiff und überdies beinahe gleich
lang mie dieses ausfiel, bleibt immerhin ein Räthsel. Die Ostwand
des Chores erscheint schief und dessen dreiseitiger Abschluß gegen
Norden geneigt, zweifelsohne absichtlich, um die Neigung des
Hauptes Christi beim Tode auf dem Kreuze anzudeuten, welch' ersteres
bekanntlich jedes Chor sinnbildet. Sinnvoll sind auch die an den
Konsolen der reichen Bündelpfeiler um den Haupt- wie Nebenaltar
(in dem Seitenschiffe) als Träger angebrachten phantastischen Thier-
gestalten. Die edlen Erbauer: Sigmund v. Niederthor und seine
Gemahlin, Margaretha v. Villanders, verewigten sich nebst
Jnschrift beim Bilde von der Vermählung Mariens (auch nicht ohne
sinnbildliche Bedeutung) ° und ihrem schön gemeißelten Wappen auf
dem Grabesdeckel durch ihre Brustbilder an den Konsolen der Wand-
säulchen hart am Triumphbogen. Der Baumeister selbst schmiegt sich
an ein Kapitäl im Chore treulich an. Die Außenseite mit fein be-
hauenen Werkstücken aus gelblichem und rothem Sandsteine überkleidet,
schmücken zwei skulpturenreiche, theilweise noch erhaltene Portale und
ein hoch aufsteigendes, schönes Dach. Dieses zeigt ein reiches Rauten-
muster in fünf Farben (weiß, gelb, grün und schwarzbraun).

Leider mußte in Folge der Bodenerhöhung durch die nahe vorbei-
fließende Etsch dieses Juwel einer mittelalterlichen Landkirche arge
Einbuße erleiden, indem auch innen der Fußboden um zwei Meter
höher gelegt werden inußte, damit die eindringenden Grundgewässer
zurückgedrängt werden konnten. Dies hatte auch für- den inneren
Wandschmuck seine üblen Folgen, da die unterste Bilderreihe, als dem
Fußboden zu nahe gerückt, durch die aufsteigende Feuchtigkeit zerstört
wurde. Wohl mögen selbst an einzelnen anderen Stellen die Bilder
etwas gelitten haben und da kam es, beim gänzlichen Verfalle der
schönen Künste im vorigen Jahrhunderte so weit, daß alle Wände
übertüncht wurden. Hie und da löste sich aber in der Folge der
Kalkanstrich von selbst ab und kündigte so gleichsam an, was man
thun soll. Bei dem Wiedererwachen einer besseren Kunstrichtung verstand
man gleich den Wink und zauderte nicht, trotz aller im voraus ersicht-
lichen Mühe, den ursprünglichen Festschmuck neu wirken zu lassen. Es
erschienen zwei und drei Reihen inhaltsschwerer Bilder über einander
oder einzelne Figuren wie die Apostel und die vierzehn Nothhelfer.
Die Tcchnik ist eine Art Tempera mit fettem Bindemittel für die
feurigen und kräftigen Farben; alles von elegantem Aussehen. Die
Bilder entstammen nicht alle derselben Zeit, jene des Chores sind
älter, mie die mit Perlschnüren gravirten Scheine und Verbrämungen
aus Gold an den Kleidern zeigen, welch' letztere bei Maria sogar
gestickt erscheinen. Sie sind auch großartiger angelegt und kamen
wahrscheinlich ganz gleich um 1400 zu Stande, wenn nicht etwa das
Chor schon früher vollendet und gleich bemalt wurde, denn 1407
folgten jene des Schiffes, deren Meister sich ... Stokinger von Volan
nennt (Völlan bei Meran oder Volano bei Roveredo).

Wir beginnen mit der Beschreibung jener Bilder des Chores.

Alle Hauptbilder beziehen sich auf das Leben und die Verherrlichung
Mariens. Jndeß unmittelbar über dem Hauptaltare, zu oberst im
spitzbogigen Abschlusse des Wandfeldes füllt den ganzen Naum 1. die
im Mittelalter nicht selten beliebte und ergreifende Darstellung
des leidenden Heilands aus. Er steht bis zu seinen Hüften in
einer vierckckigen Kiste, aus welcher seine Leidenswerkzeuge schaurig
hervorragen. Den fleißig in den Schriften der Väter forschenden
Kunstfreunden und Künstlern alter Zeit hat dieses tiefsinnige Bild
eine Stelle Jsaias (Kap. 63, 3) nach der Erktärung von Cyprian,
Origines u. s. w. diktirt, wo es heißt: Die Kelter trat ich allein
und von den Völkern war Niemand bei mir; ich zertrat
sie in meinem Zorne und zerstampfte sie in meinem
Grimme und spritzte ihr Blut über meine Kleider und
alle meine Gewande befleckte ich. Jm Orient bekanntlich
werden die Trauben mit den Füßen zerstampft, .um deren edlen Salt
auszupressen, in Folge dessen ein Keltertreter vom rothen Safte ganz
geröthet aussieht. So ühnlich überströmt von dem Blute seiner Wunden
war Christus in seinem Leiden. Dies deutet der Schmerzensausdruck
im Bilde und die aus der Kelter hervorstarrenden Marterwerkzeuge
selbst dem Einfältigen zur Genüge an. Jm vorliegenden Falle hält
der Herr die Hände mit den klaffenden Nägelwunden kreuzweise über
einander gelegt; die hoch erhabene Gestalt wirklich edel gehalten neigt
ihr Haupt ein wenig wehmüthig zur Rechten hin, erscheint jedoch fest
aufgerichtet, ohne vom Meere des Leidens, das über den Heiland sich
ergossen hat, geknickt zu sein. Der Blick des gesenkten Auges ist voll
Ausdruck und das Ganze so überwältigend, daß selbst ein steinhartes
Herz erweicht werden muß. Jm Hintergrunde halten zwei schwebende
Engel ein reichfaltiges, weißes Tuch, welches wahrscheinlich wiederum
nicht ohne sinnbildliche Bedeutung zu nehmen ist, denn die Alten
überdachten stets wohl, bevor sie was machten. Wir können an das
weiße Spottkleid denken, welches Herodes dem Erlöser anziehen ließ.
Etwas tiefer stehen die zwei einzig Treugebliebenen unter den vielen
Geliebten und Freunden: Maria und Johannes, voll Trauer und
etwas nach vorne geneigt; die Mutter im violetten Wittwenmantel
und rothem Itnterkleide, der jugendliche Jünger in roth und grünem
Kleide, die Hände ringend und klagend. Wir fügen hier beim ersten
Bilde gleich bei, daß der Hintergrund bei allen tief schwarzblau sei,
was die einzelnen Figuren wie die ganzen Darstellungen ungemein
hervortreten läßt; von guter Wirkung ist auch die anscheinend einfache
Nmrahmung (im Chore), ein weißer, handbreiter Streifen, welcher
durch regelmäßig abwechselnden blauen und rothen Vierpässen verziert
ist und ein passendes Trennungsband theils zwischen den reich farbigen
Darstellungen, theils zwischen den rothblau mit Gold buntgestrichenen
Wandpfeilern und Gewölberippen bildet. Das nächste Bild auf der
Epistelseite, in gleicher Höhe stehend, eröffnet die Reihenfolge aus der
Marienlegende und stellt dar:

2. Mariä Verkündigung. Obgleich der spitzbogige Abschluß
des Fensters wie früher hier ebensalls in die Bildfläche hereinreicht,

so wußte der ylte Meister seine Komposition doch ganz unbehindert
und gefällig zu handhaben. Bekanntlich ist kein Gegenstand von der
alten Kunst häufiger vorgeführt, tiefer gesühlt und schöner behandelt
worden, als die Verkündigung Christi, die wichtigste aller Scenen aus
dem Leben der hl. Jungfrau. Auch blos als Kunstgegenstand hetrachtet,
ist sie im höchsten Grade schön, denn sie stellt die zwei schönsten
Gestalten vor, welche die menschliche Hand darzustellen vermag, den
gerade aus dem Paradiese kommenden, geflügelten Geist und die nicht
weniger reine und sogar noch gesegnetere Jungfrau das ausgewählte
Gefäß der Erlösung und die Vertreterin aller menschlichen Liebens-
würdigkeit, Vortrefflichkeit, Weisheit und Reinheit. Hier kniet der
Engel auf der Nord-Ostseite des Fensters, also gegen das Volk ge-
wendet, auf dem einen Kniee (linken), in rothem Ober- und violettem
Unterkleide, die Rechte leicht zum Segnen erhebenb und mit der Linken
ein Spruchband haltend, auf dem die Worte: üve Naria, Aratia
xtena. stehen. Seine Haltung ist die eines heiligen Boten, würdevoll,
ernst und ruhig. Aus seinem leicht gerundeten Gesichte spricht eine
große Lieblichkeit; das reiche, offene Haar ist goldgelb. Jhm gegen-
über kniet Maria auf dem Boden, etwas zurück geneigt, vielleicht um
leise ihr Erschrecken vor dem unvermutheten Erscheinen des Engels
kund zu thun; die Hände sind sanft vor der Brust gekreuzt, der Blick
vor sich hingeworfen. Davor steht ein Pultgestelle, worauf ein offenes
Buch mit den aufgeschlagenen Worten: Leeo unoilla vomini sto. liegt.
Den Kopf Mariens mit dem reich herab wallenden, goldlockigen Haare
hat der Künstler anscheinend ziemlich einfach ausgeführt, jedoch eine
große Anmuth und Hoheit zu erreichen gewußt. Ausgezeichnet ist
die Allerreinste auch durch ihr prächtig mit lichtblauen Dessins ge-
sticktes Oberkleid, verbrämt durch gravirte Goldstreifen. Von weiterem
Beiwerke ist nichts wahrzunehmen, wir haben es eben mit dem 14.
Jahrhunderte zu thun, wo man um dieses noch wenig gab, nur der
heilige Geist in Gestalt einer kleinen Taube kommt bis zu ihrem
Haupte her geflogen. Die ganze Scend geht nicht in einfachem
Kämmerlein vor sich, sondern in einer reichen Halle, mit Ciborien-
bauten und perspektivisch gehaltenen Bogenhallen eines durch mehrere
Giebel ausgezeichneten Gebäudes im gotischen Stile, jedoch noch mit
Anwendung von Rundbogen, wie dies die Maler nicht so streng nahmen
und zwar nicht allein die Jtaliener, sondern selbst die Deutschen. Der
himmlische Vater als Brustbild hoch oben, frei im dunkelblauen Hinter-
grunde, ein königlicher Greis in einer Strahlenglorie, sieht der Seele
seines zur Erde steigenden Sohnes nach, die in Form eines zarten
Kindes dargestellt ist. Um die unangenehme Wirkung seiner gänzlichen
Nacktheit zu mildern, hat hier der altchristliche Künstler den llnterleib
durch einen Giebel des Hauptbaues verdeckt, ohne deßhalb im mindesten
einer guten Wirkung Eintrag zu thun.

Jn der Heimsuchung, dem 3. Bilde, ist eine zartinnige
Umarmung von Elisabeth und Maria vor einem stattlichen Gebäude
mit mehreren Giebeln und Dächern und offenen Hallen vorgestellt.
Erstere in grünem und rothviolettem Anzuge, eine ältliche, ehrwürdigo
 
Annotationen