Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 3.1881

DOI Heft:
6. Heft
DOI Artikel:
Ueber alte Altarbauten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26638#0090
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4

Ueber alte Altarbauten.

Nr. 18.


Querschiff, vielfach bis in das Mittelschiff zurück, und der hier und
am Fuße des in der Regel über der Krypta sich erhebeudeu Chores
aufgestellte Altar diente dem täglichen Offizium. Desto mehr blieb
der Choraltar den feierlichen Gelegenheiten vorbehalten, und die bis
dahin vornehmlich in der Krypta aufbewahrten Reliquien fingen an,
in ihn übertragen zu werden, so daß er allmälig zum eigentlichen
Reliquien-Altar sich ausbildete. Bald murden die heiligen Gebeine
unter ihm geborgen, bald unmittelbar auf ihn gestellt. Allmälig
aber entwickelte sich die ihrer Bedeutung am meisteu entsprechende
Sitte, sie hinter dem Altartische in eigens dazu aufgebauten, architek-
tonisch ausgestatteten Behältern unterzubringen. Daß diese mit Vor-
liebe die Form der Sarkophage annahmen, entsprach den die Gebeine
unmittelbar umschließenden Schreinen, die in ihnen gesicherte Auf-
nahme finden sollten. Wurde die Kopfseite nach vorn gestellt, so war
es ein Leichtes, sie durch vergitterte Thüren oder bei feierlichen Ge-
legenheiten auch offen den Gläubigen zu zeigen. Diese konnten ihu,
wenn er um einige Fuß über dem Altartische sich erhob, über das
Haupt des zelebrirenden Priesters hinweg schauen, konnten sogar um
den Altar herum unter ihm, sei es einzeln, sei es prozessionsweise,
durchgehen (oder auf den Knieen durchrutschen), eine im Mittelalter
sehr verbreitete, an eimgen Orten bis heute in Uebung gebliebene
fromme Sitte. Jhr entsprach natürlich die Anzahl solcher Altar-
Anlagen. Leider sind sie bis auf einige verschwunden. Jn Werden
an der Ruhr, der Grabstätte des hl. Ludgerus, wie in Soignies
(Belgien) haben davon nur noch die Ueberreste aus dem 13. Jahr-
hunderte sich erhalten, in St. Wendel wie in Gheel (Belgieu) die
gothischen Einrichtungen, alle durch spätere Zuthaten verdeckt und
entstellt. Solche sind zwar auch den beiden Hochaltären von
St. Severin und St. Ursula zu Köln nicht erspart geblieben,
im Uebrigen aber sind diese ziemlich unversehrt erhalten, obwohl die
in ihnen aufbewahrten Schreine schreckliche Verwüstungen und Ver-
unstaltungen erfahren haben. Alles kommt darauf an, daß diese,
weil vereinzelten, um so kostbareren Zeugen dcr Reliquienverehrung
unserer Vorfahren erhalten bleiben und von etwaigen, den Altären
selbst bevorstehenden Veränderungen in keiner Weise berührt werden.
Diesen muß vielmehr nach vollständiger Entfernung des Verzopfungs-
Apparates unbedingt das Bestreben zu Grunde liegen, die alte Form
wieder vollständig zur Geltung zu bringen, und die allerdings nicht
zu unigehende Anlage eines neuen Tabernakels und Expositoriums
diesem Ziele unterzuordnen und anzupassen. Eine kurze Beschreibung
dieser beiden Altäre wird die Frage ihrer Herstellung mesentlich er-
leichtern und über die Art derselben keinen Zweifel lassen.

Beginnen wir mit dem von St. Severin, der den Vorzug
höheren Alters hat. Dieses theilt er mit dem Chore selbst, der überall
die charakteristischen Eigenthümlichkeiten des entmickelten Uebergangs-
stiles zeigt, also dem Anfange des 13. Jahrhunderts angehört. Hinter
dem 1^/7 Meter hohen, 31/7 Meter breiten, l^ Meter liefen, sehr
einfachen, aus Hausteinen aufgemauerten Altartische erhebt sich in

einer Höhe von 2 Metern auf vier Säulen, resp. auf einer von diesen
getragenen profilirten Holzplatte ein sargartiger Behälter von 2 Meter
Länge und 1 Meter Breite bei 14/g Meter Höhe. Sein Rahmen-
werk besteht aus schwerem Eichenholze, seine sämmtlichen Oeffnnngen,
auch die des pultdachartigen Deckels, sind mit quadratisch durch-
stochenem Gitterwerke ausgefüllt, wozu auf der vorderen, allein zu
öffnenden Stirnseite noch zwei schwere, eisenbeschlagene Flügelthüren
hinzukommen. Die beiden hinteren Marmorsäulen habeu ihre eckblatt-
verzierten Basen, wie ihre schönen Kelchkapitäle bewahrt, die beiden
vorderen diese dem Ungethüm zum Opfer bringen müssen, welches ihm
im Jahre 1718 als Aufsatz ist aufgenöthigt ivorden, den Schrein natür-
lich nach vorne vollständig verdeckend. Die unter diesem, also zwische»
den vier Säulen befindlichen Bodenplatte» zeigen mehrfache, vom
Verschleiß herrührende Vertiefungen, die Merkmale der Vcrehrung,
welche die Füße und die Kniee der frommen Pilger dort zurück-
gelassen haben. Daß diese sich nicht bloß darauf beschränkten, betend
unter dem Schrein herzuziehen, sondern auch knieend und sitzend unter
den heiligen Gebeinen verweilen wollten, beweist auch ein zwischen
den beiden hinteren Säulen angebrachtes Bänkchen. Jn dem Schreine
befinden sich nämlich die Reliquien des hl. Severinus. Leider haben
sich von dem kofibaren getriebenen, gegossenen, emaillirten Schmuck,
der seine Tumba nach Art derjenigen der heiligen drei Könige ehe-
dem zierte, nur geringe Bruchstücke örhalten, und die Erneuerung,
die er in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts erfahren hat,
ist so simpel und nüchtern wie möglich. Ein Schmuckgegenstand aber
(ursprünglich wohl für die Rückseite des alten herrlichen Reliquien-
kreuzes bestimmt) gereicht ihm zur höchsten Zierde: ein großes, über-
aus seltenes und werthvolles Medaillon mit der um die Mitte des
11. Jahrhunderts von einem kölnischen Schmelzkünstler in Zellen-
Email ausgeführten sitzenden Figur des hl. Severinus. Seiner Tumba
ist es gelungen, im Unterschiede von fast allen anderen, an ihrer ur-
sprünglichen Stätte über dem Altare stch zu behaupten, die er schon
seit mehr als 6^ Jahrhunderten einnimmt. An den beiden hinteren
Altarecken stehe» zwei der ursprünglichen Anlage angehörige Säulen-
schaste von nur noch 2^ Meter Höhe, da sie ihr Obertheil nebst
Kapxtäl eingebüßt haben, wie die Engelfiguren, die sie ursprünglich
werden bekrönt haben. Daß ihnen vor den beiden Vorderecken des
Altares zwei Säulen entsprochen, beweisen die Spuren, welche sich
davon noch im Fußboden erhalten haben, und daß diese Pfeiler durch
Stangen verbunden waren, in denen Vorhänge sich hin und her be-
wegen ließen, bestätigen die Löcher, welche sich am Rande jener beiden
Säulenschafte finden. Die den Altartisch umgebende Viersäulen-
Anlage entsprach durchaus dem Gebrauche dieser wie der folgenden
Zeit, die sie unter Anderem auch beim Hochaltare des Kölner Domes
in Amvendung brachte. Durch Vorhänge verbunden, umgaben sie
den Altar mit einer Art von Gehege.

Bei der dem Vernehmen nach bevorstehenden Restauration des
St. Severin - Altares werden zunächst diese vier Pfeiler herzustellen,

resp. auf die ursprüngliche Höhe hinaufzuführen sein. Den Ansprüchen ^
aber, welche die jetzige Liturgie (unter Ausschluß der Sakraments- 7"
häuschen) in Hinsicht dcr Aufbewahrung wic Ausstellung des hoch-
würdigsten Gutes an den Hochaltar stellt, kann und muß in folgendcr
Weise entsprochen werdcn. Hinten auf dem Altare wird in dessen
ganzer Breite eine dünne Steinmand, also ein Retabel, gestellt, welches
bis zur Höhe des Schreines hinaufzureichen und am bcsten mit
Kontourfiguren ausgestattete Maßwerkblenden als Schmuck hat (etwa
mit Kleeblattbögen, wie an der Rückwand dcs ehemaligcn Hochaltares
im Mindener Dom). Auf dasselbe können rcchts und links vom
Schreine Leuchter, Reliqnienbehälter, Blumenvasen gestcllt werden,
die sich auf dem Teppich-Hintergrunde um so besser abheben. Vor
dasselbe hat sich unmittelbar auf der Altarplatte in der ganzen Breite
des Schreines das Tabernakel aufzubauen in Form eines rechleckigen
Kastens, bezw. eines aus vier Pfeilern oder Säulen bestehenden Ge-
rüstes, in dem ein runder mit Seide umkleideter Behülter zu kon-
struiren iväre, nicht zu breit, um noch einigen Durchblick auf die alte
Säulenanlage zu gestatten. Hierfür ist bei der außergewöhnlichen
Tiefe des Tisches von l^ Meter mehr als hinreichender Raum vor-
handen. Aus ihm aber hat sich der für die sakramentalische Aus-
stellung nöthige Baldachin zu entwickeln, dessen Umrisse sich mit denen
des Schreines, d. h. dessen Stirnseite, vollständig zu decken haben.

Nichts hindert, Alles empfiehlt vielmehr, ihn architektonisch aus-
zubauen, etwa nach dem Vorbilde des neuen Hochaltar-Aufsatzes in
St. Maria im Kapitol, natürlich in spätromanischem Stile, mag er in
Holz ausgeführt werden, was im Hinblicke auf das hölzerne Rüst-
werk des Schreincs durchans statthaft ist, oder in Kupfer, was seine
Wirkung noch erhöhen würde. Dieser Baldachin wird zugleich deu
Zweck erfüllen, würdig die Vorderseite der Tumba cinzurahmen, so
oft diese, etwas hervorgezogen, der öffentlichen Verehrung dargeboten
wird. Nur diese, in unmittelbarstem Anschlusse an die ursprüngliche
Gestaltung des Altares sich vollziehende Restauratian wird der ganz
außergewöhnlichen Bedeutung desselben gerecht; nur sie gliedert sich
in die architektonischen Verhältnisse des Chores ein, der hinten einen
conchaartigen Ausbau hat mit sechsblätterigem Rosenfenster und sieben-
theiligem Muschelgewölbe. Schon die dadurch gebotene Perspektive
ist viel zu dankbar, als daß sie einem hohen Altaraufsatze geopfert
werden dürfte. Jeder Versuch, einen solchen zu empfehlen, sei es in
der Form des Ciborien-, sei es gar in der des Flügel-Altares, wird
als Versuchung zu betrachten und energisch zu bekämpfen sein.

Dasselbe gilt von dem Hochaltare in St. Ursula, über dessen
ähnliche, aber noch merkwürdigere Einrichtung zunächst eine kurze
Beschreibung informiren soll. Der ungefähr 31/2 Meter breite,

M/4 Meter, also ganz außergewöhnlich hohe Altartisch ist auf der
Vorderseite durch sieben, auf den beiden Schmalseiten durch je vier
Maßwerkbögen verziert, welche noch die alte Bemalung, in den Blenden
noch die Reste der Kontourfiguren zeigen. Die fünf mittleren Arkaden
der Vorderseite sind im Jahre 1640 einer Vertiefung zum Opfer ge-
 
Annotationen