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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 5
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Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0204

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Vorbild für die heutige deutsche Malerei wesentliche
Bereicherungen kaum noch zu geben hat. Das wirklich
Schöpferische kam mit Münch und van Gogh in die
Welt des zwanzigsten Jahrhunderts.

Unter den neun Arbeiten von Münch sind ein paar
meisterhafte, besonders ein prachtvoller Mädchenakt
und eine Komposition von,,MädchenamMeeresstrande",
geheimnisvoll im Gefühl und von herrlichem Klang der
Farben; besonders zukunftsreich eine kräftige Schnee-
landschaft und ein grosser Jünglingsakt aus der Zeit der
grossen „Badenden Männer". Die vier Bilder von van
Gogh sehen ein wenig matt aus, trotzdem ein Blumen-
garten in Arles dabei ist. Dieses Bild hat den leiden-
schaftlich bewegten Vortrag, der seine späteren Werke
auszeichnet, nur in gebändigter Form, und auch die
Farbigkeit wirkt sehr massvoll. Man müsste das Ex-
periment machen, das Bremer „Mohnfeld," oder die
„Cypresse im Sturm" oder die „Arlesienne" in diese
Ausstellung zu hängen, um sich Rechenschaft darüber
abzulegen, ob auch die stärksten Bilder van Goghs in
dieser Nachbarschaft heute schon aussehen wie alte
Gobelins.

Der Vater des Kubismus, Picasso, fehlt,wenigstens
mit kubistischen Bildern. Man möchte beinahe sagen,
glücklicherweise, denn einige Figurenbilder der früheren
Zeit, besonders der „Holzschnitzer", sind von derartiger
Ausdrucksstärke und Farbenschönheit, dass dagegen
selbst die berühmte „Violine" nicht auf kommen würde.

Wenn die Genannten als Väter der neuen Bewegung
gelten, so ist dies natürlich ganz frei zu verstehen, nicht
etwa im Sinne von Lehrern, die Schüler hätten. Von
Münch zu Kokoschka, dessen grosse „Windsbraut,,
ergreifende Stellen aufweist, aber doch nicht restlos
geglückt ist, führen keine Entwicklungslinien, sondern
nur Fäden seelischer Verwandtschaft: das gleiche
Streben, innere Vorgänge zu unerhörtem mystischem
Ausdruck zu bringen. Nolde, dem ein ganzer Saal ge-
hört, hatte zeitweise äusserlich mit Münch zu thun.
Bilder seiner letzten Zeit sind nicht vorhanden, sondern
meist Landschaften aus früherenjahren, leidenschaftlich
gesehen und farbig sehr stark empfunden. Aber doch
nur Vorstufen — man möchte wohl oder übel einige
religiöse Bilder von ihm haben, etwa das „Abendmahl",
von dem eine Anzahl von Apostelköpfen (in Aquarell)
wenigstens eine gewisse Vorstellung giebt. Manchmal
hart am Grotesken, aber fast immer von innen heraus
lebendig. Allerdings nicht so einfach wie die Aqua-
relle von Südseeinsulanern, die vielleicht zu Noldes
frappantesten Leistungen gehörten.

Das schwierigste Problem der Ausstellung war wohl
der Saal mit den Bildern von Schmidt-Rottluff, der ja
bei der jüngeren Generation selber als einer der be-
deutendsten gilt. Pechstein wirkt neben diesen vul-
kanischen Ausbrüchen fast eklektisch, Heckel mit seinen
Landschaften beinahe ruhig und besonnen (vor allem
durch die klare Komposition und die zurückhaltende

herbe Koloristik) und Kirchners Strassenbild sozusagen
anmutig. Schmidt-Rottluff hat wirklich etwas von
einem Barbaren, der alle Form, auch die organische,
zertrümmert und sich an glühenden Farbströmen be-
rauscht. Aber es giebt doch zu denken, dass in seinen
Bildern, die anfangs so stürmisch 'aussehen, alles so
merkwürdig geordnet ist, dass klare Beziehungen
zwischen Raum und Farbe herrschen, besonders in den
Landschaften. Vielleicht ringt sich die ordnende Kraft
durch, sodass später einmal die Verrenkungen des
Organischen nicht mehr nötig sind und dann, bei grös-
serer Ruhe, diese erschreckende Armut, anderseine
Bilder leiden, überwunden wird. Die Ausdrucksstärke
des Erlebnisses, die kraftvoll und einfach hingesetzten
Farben und diese rigorose Gliederung hat meines Er-
achtens heute schon etwas Stereotypes. Die malerische
Sensibilität, die etwa Jawlensky in seinem vielleicht
etwas zu blendenden Mädchenbildnis zeigt, fehlt
Schmidt-Rottluff. Wer aber so stark sinnlich arbeitet
wie er, müsste sie doch erwerben. Suggestive Kraft
allein tut es nicht, solcher Reiz versagt sehr bald.

Franz Marc neigt sich in seinen beiden Bildern, be-
sonders den glänzend komponierten Pferden, zum
rhythmischen Kubismus hin und verbindet starke Charak-
teristik, lebendiges Naturerfassen und ausdrucksvolle
Farbigkeit mit folgerichtiger Organisierung der Bild-
fläche, ohne doch auf diesem Gebiet das Letzte zu geben
was er an Abstraktion zu geben hatte. Der „Mandrill"
dem die Hamburger Kunsthalle erworben hat, ist viel-
leicht die letzte reifste Leistung seiner Kunst.

Das seelisch grösste Erlebnis bot ein Bild der im
Jahre 1908 verstorbenen Frau Paula Modersohn-Becker,
die doch eine der stärkstenPersönlichkeiten der jüngeren
Kunst gewesen ist. In manchen Dingen vielleicht
masslos und zügellos, wie denn jugendliche Entdecker
ja ihre Flagge gern etwas auffällig zeigen. Aber in den
meisten Dingen grossartig und von einer Stärke der
Persönlichkeit, der nur sehr wenige der Lebenden dieser
Generation etwas Gleiches entgegenzusetzen haben.
Dieses Bild „Mutter und Kind" erschüttert. Die Frau
ist hingekniet auf ein weisses Rund am Boden, niemand
weiss, was dieses Rund bedeutet, es ist aber auch gleich-
gültig. Die Stimmung der Luft, unter grünem Himmel
und vor tiefgrünen Pflanzen klingt wie Musik und das
Ganze hat etwas Ergreifendes, wie Erlebnisse in Träumen
mit plötzlichen Mondscheinvisionen, unwirklich, wie
im Zauberlicht. Eine derart tiefe Innerlichkeit und
eine solche Grösse lebt in diesem Werk als Vision, dass
durch diesen visionären Charakter der Gegenstand die
Bedeutung von etwas unbedingt Symbolischem und
Weltgütigem annimmt.

BERLIN

Fritz Gurlitt hat die vierte Ausstellung von Werken
deutscher Künstler des neunzehnten Jahrhunderts

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