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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 7
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Weisbach, Werner: Matthias Grünewald, [1]: Formales und Psychologisches
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0281

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II. GRUNEWALD, KREUZIGUNG
BASEL, MUSEUM

Das künstlerischePhänomen desTauberbischofs-
heimer Crucifixus in seiner ästhetischen und seelischen
Wirkung literarisch nachzuzeichnen, unternimmt
Huysmans in „La bas". Wie dem bildenden Künstler
der in Auflösung begriffene Körper Gegenstand
malerischer Intuition, die roten Blutflecken und
grünlichen Schwären Anregungen zu farbigen Visi-
onen geworden, so lässt der Schriftsteller den ganzen
Apparat seiner redenden Kunst spielen, greift zu
den entlegensten und klingendstenWorten, den pomp-
haftesten und festlichsten Wendungen und ergeht
sich in den kühnsten Metaphern, um sich der Form
und dem Sinn der in dem Grässlichen lebenden und
wirkenden „Schönheit" zu nähern. Die Feder
schwelgt wie der Pinsel in den augenfälligen Zeichen

von Tod und Verwesung. Von Grüne-
wald rühmt er: „Er hat aus einem
triumphalen Stück Kot die feinsten
Würze der Entzückungen, die schärf-
sten Essenzen der Tränen gezogen."
Es berührt fast sadistisch, wie die
blühenden und schwellenden Sätze
den furchtbaren Kadaver umspielen
und umkosen. Das Mystisch-An-
ziehende der Todesgestalt wird mit
einer stark sinnlich gefärbten Sprache
umschrieben. Wenn man zu unter-
scheiden hat zwischen Persönlich-
keiten, welche die Mystik in ihrem
Innern als ein wirkliches Mysterium
erleben, und solchen, die sie nur lite-
rarisch-ästhetisch nachempfinden, so
darf Huysmans gewiss der letzteren
Klasse zugezählt werden. Seine stark
weltliche Gefühle assoziierende und
wie von exotischen Düften durch-
schwälte Schilderung kommt der
Grünewaldschen Schöpfung auch nur
bis zu einem gewissen Grade nahe.
Dem psychologischen Phänomen: in
dem Abstossenden die Züge des An-
ziehenden aufzudecken und auszu-
malen ist seine poetische Analyse zu-
gewandt.

Wer aber aus den Kreuzigungs-
bildern ein religiös künstlerisches Er-
lebnis geschöpft hat, sieht sich ver-
anlasst, der eigentlich treibenden Kraft,
die das bewirkt, weiter nachzuspüren.
Man darf wohl davon ausgehen, dass
in einem Werk wie der Isenheimer
„Kreuzigung" bei allem Naturalismus etwas Über-
weltliches und Heiliges als eine Gegebenheit mit-
schwingt. Dem Künstler stehen, um auf das
religiöse Gefühl zu wirken, die Mittel zu Gebote,
die innerhalb der Grenzen seiner Kunst liegen; und
diese haben zum Teil ihre Analogie in Mitteln,
deren sich die Religion in ihrer Ausdrucksweise
und Sprache bedient, um die irrationale Seite des
Heiligen uud Göttlichen zu veranschaulichen. Diese
letztere Qualität — unter Ausschaltung des Ratio-
nal-Begrifflichen — hat Rudolf Otto in seiner
schönen Abhandlung über „das Heilige" als „das
Numinose" bezeichnet, ein Wort, das wir in dieser
Bedeutung übernehmen wollen. Folgen wir der auf-
schlussreichen und tiefen religionspsychologischen
 
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