Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Sonntag, den 29. August 1852.

V' Jahrgang.


Wochenkalender.

Montag, den 30. August.
Roger'S AbschiedSbenefiz, .derPropbet",
wird angczcigt. Slllgcmeinc Aufregung in
Berlin.
Oienstag, den 31. August.
Die Wagner ist wieder da. Gott sei
Dank! Sic wird noch einmal mit Noger
austreten. Hurrab!
Mittwoch, de» 1. September.
Der Billctoerkauf beginnt. Der Opern-
platz must vom Brandenburger Thor bis
zum Lustgarten abgespcrrt werden. Die
Polizei ist auf den Beinen, das Mililair
eonstgnirt und mit scharfe» Patronen versehen.


Wochonkalender.

Oonnerstag, den 2. September.
Tag der Vorstellung. Um 4 Ubr bereits
Leichen vor dem Opcrnhause. Resultat um
sechs Ubr: 7 Zerdrückte, 2 Todtgetretene,
361 Mantillcn zerrissen, 182 Damen mit
Weinkrampf bebastet.
Freitag, den 3. September.
Das llätcl äu dtorck gestürmt. Roger
durch Volksjustiz an der Abreise verhindert.
Sonnabend, »en 3. September.
Roger ist nack Paris abgereist. Krieg
zwischen Preußen und der Republik Frank-
reich. Paris bombardirt. Allgemeiner
Kladderadatsch.

HumorMch-satyrisches Wochenblatt.

Dieses Bla» erscheint täglich, mit Ausnahme der Wochentage. — Man abonnirt mit 21 Sgr. vierteljährlich für 13 Nummern bei allen Buch-
bandlungen so wie bei den KSnigl. Postanstalten des In- und Auslandes. Jede einzelne Nummer kostet 1 sL Sgr. Oie kedaction.

Harun al Raschid,
der Gerechte, Khalif von Bagdad — so erzählt die Scheherazade — hatte nothwendig zu regieren, da die Khalifcn der benachbarten Reiche
sich zusaniincnthatc» und in Confercnzen und Coalitionen, wie's die Parsen nennen, allerlei Ränke und Schclniensiückc gegen ihn ersannen,
so daß er oft sprach: „Dieser Sommer ist ein heißer Sommer!" Konnte auch deßhalb nicht immer so thun, wie er sonst wohl gcthan,
und sich kümmern um das was in der Stadt vorging, auch nicht mehr unerkannt unter seinem Volke lustwandeln, wie er ehemals gepflegt mit
dem, so sick seinen Freund nannte, vom Volke aber bloß geheißen wurde Mal Mene Teckel, weil er dem Khalifcn stets ein guter Mahner
gewesen war. Unter den Leuten in Bagdad aber ging die Rebe, er sei inzwischen dem Khalifcn abtrünnig geworben; denn man hatte von ihm
harte Worte vernommen über die Verfassung von Bagdad, die er gar nicht mehr leiden mochte, und hatte gesprochen und sogar ge-
schrieben in Blättern, so besteuert waren und öffentlich um ein geringes Geld unter den Leuten verthcilt wurden: „Eine Verfassung ist nur ein
Stück Papier, etwa wie ein Stickmuster; und was hilft mich das Muster, wenn Keiner danach sticken will?" — Solcherlei läster-
liche Reden .sollte er geführt haben, und die Leute von Bagdad raunten einander in die Ohren, er lebte auch danach und kehrte sich an kein Recht
und Verfassung und legte, wenn er gerade lustig wäre, die Knaben, so er erzog und welche stets nur für Muster gehalten wurden, an Kelten
und Klötze und entzöge ihnen die wanne Atzung; denn er meinte, das wäre eine billige Strafe.
Der Khalif aber hatte ein feines Ohr; und cs kam zu demselben das Gerücht von einem Musterknaben, so mit Ketten an dm Klotz
gefesselt worden wäre, welchen der Mustervater nennt de» Stein der Waisen, und hätte nachher über Schwindel geklagt. Harun al
Rasckid beschloß darauf, die Kammer der Strafe und die Stätte des Schwindels eigenhändig anzusehcn. Und es kam ein Festtag ins Land,
an welchem der Khalif frei hatte und nicht zu regieren brauchte; denn cs war der 24. August, die Feier der Bartholomäusnacht, an
welchem Tage das Volk von Bagdad sich einen guten Tag macht und hinauSzicht zu dem Flecken, der da heißet Stralau und auf der Wiese
allda den großen Krebs anbctct und seinem Priester alljährlich einen Stiefel schenkt und Fische zieht aus dem Wasser und sich berauschet
in dem Gift gebrannten Wassers, das gcwcihct ist dem heiligen Kranichfcld. An diesem Tage, in der zwölften Stunde naib Mitter-
nacht, als die Sonne schon hoch am Himmel stand, machte sich der Khalif auf und ging durch die Pforte, so da heisset die Schönhauser und
bog links ab vom Wege, den er früher einmal gewandelt war mit Mal Mene Teckel, und ging entlang an der Stadtmauer von Bagdad
außerhalb des Thores bis er kam an das Mustcrhaus des Mustcrvaters. Und trat ein in das Haus, schnell und unerwartet, und putzte sich ab die
Sohlen seiner Schuhe, denn er war stets reinlich, und die Gläser seiner Brille, denn er war bisweilen kurzsichtig. Daraus aber besah er alles
von oben bis unten und von vorn bis hinten, den Mustervatcr und die Musterknaben, den Mustertet!er, den Mustcrcarcer, die Musterkettc und den
Musterklotz. Ließ sich auch »erstellen die beiden Musterzöglingc, „welche früher wegen wiederholten Vagabundirenö ebenfalls
den Holzklotz getragen hatten." Als der Khalif den Klotz erblickte, dachte er still bei sich: „Auf einen groben Klotz gehört ein
grober Keil." Als er aber das Klirren der Kette vernahm, dachte er bloß: „Pfui Deibel!" und schauderte zusammen. Mal Mene
Teckel aber sprach: „Klappern gehört zum Handwerk!"
„Ein Urthcil, das auf den kürzlich berichteten Vorfall Bezug haben könnte", sprach der Khalif nicht auS; denn
er dachte: „Reden ist Silber, Schweigen aber ist Gold." Und daß Gold ihm lieber ist als Silber, das verdenkt ihm gewiß
Niemand, am wenigsten aber der Kladderadatsch.
 
Annotationen