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'(gss5 Die Lotterie bei SchutHens. ^

Schon seit geraumer Zeit befand sich die Familie Sch ul he in arger
Missstimmung. Die Sommerreise sollte angetreten werden, aber, wie es im
Leben manchmal vorzukommen Pflegt, es war kein Geld da.

Was thun? — Siehe da, eines TageS kam Schnitze ungewöhnlich früh
und doch heiler »ach Hause. „Machen wir!" ries er schon auf der Treppe
seiner ihn erlvarlungsvoll anblickenden Familie zu und enthüllte alsdann
seinen Plan, der ebenso einfach als großartig und zeitgemäß war.

Es wurde nämlich behufs Beschaffung der Sommerreisekosten für die
Familie Schnitze eine Lotterie veranstaltet. Jedes Mitglied stellte zur
Verfügung, was irgend entbehrlich ivar. Das ganze Loos kostete 2 Mark,
das halbe 1 Mark, das Viertel- 0,50, das Achtelloos 0,25 Mark. Der Er-
folg war ein glänzender. Binnen 14 Tagen waren sämmtliche 300 Loose
untcrgebracht. Am vergangenen Montag Nachmittags 4 Uhr fand unter
allgemeiner Spannung die Ziehung statt. Der Haupttreffer fiel auf No. 226.
Der Gewinn bestand aus Schultzens altem Sekretär, der aus Mangel an
Raum bisher im Corridor gestanden hatte und denselben beträchtlich
verengte. Die Gewinner waren 1. Clärchen und Trudchen Müller in
N.O., die zusammen ein Achtel gespielt hatten, das andere Achtel siel nach
Magdeburg, die beiden anderen Viertel nach Perleberg und Pankow.
— Großen Jubel erregte cs ferner, als Onkel Brösicke, ein wohlhabender
alter Junggeselle, der nicht weniger als acht Loose auf einmal gespielt, den
zweiten Hauptkeffer machte; er gewann zwei noch sehr schöne, fast neue
Sonimerkleider von Frau Schnitze, die der würdigen Dame nur mit der

Zeit etivas zu eng geivorden ivaren. Außerdem bescheerte ihm Fortuna:
Willi Schnitzes grüne Botanisirtrommel und eine allerliebste Badepuppk.
Das Bassin mit den beiden Goldfischen gewann der bereits in sehr hahiu
Semestern befindliche stuck, esravis. Biermörder, de» ausgcstopsten Canarien-
vogel der Gefreite August Müller junior, des letzteren Cousine, Clärchen
Müller, dagegen ein Paar prachtvoll gestickte Morgenschuhe, die Elsriede
Schnitze ihrem Vater vergangenen Weihnachten gestickt hatte, die jedoch aus
Versehen etwas gar zu groß ausgefallen waren.

Nieten gab es nur sehr wenige; auf die meisten Loose enlsiclen „och
kleinere Gewinne, Haarnadeln, Uhrständer, alte Schlüssel, unpaarig« Strünipst,
leere Medizin- und Eaudecologne-Flaschen, sowie die Photographie,i von
drei Tanten, so daß säst niemand leer ausging.

Während der Ziehung stand Frau Schnitze am Buffet und verkaufte
belegte Brötchen zu 30 Pfennig, während Elsriede Schnitze die Getränke
verabreichte und zwar die große Weiße zu 30, die kleine zu 20 Pfennig.
Die Schnäpse entsprechend prciswerth. Außerdem nahm sie für einen Kuß,
den sie Herrn August Müller junior verabreichte, die Summe von
4,50 Mark ein; Schultze selbst verkaufte Cigarren.

Das Gesammtresultat war eine Reineinnahme von 634,20 Mark, für
welchen Betrag die Familie Schnitze alsbald srohgemuth ihre Sommemije

Möge diese durchaus wahre Geschichte dazu beitragen, die segensreiche
Einrichtung derartiger Lotterien noch recht, recht weit ui» sich greifen zu laßen.

Winzer-Megeln.

Kr das Sieger Land.

Schrei nicht gleich: „Weg vom Tele-

Nach oben richte dein Gesicht!

Von oben her kommt alles Licht;
Von oben her zuckt auch der Blitz,
Drum übe fleißig deinen Witz,

Daß du bei Zeiten um dich sichst
Und nicht den Blitz herniederziehst.
Damit dies nicht geschehen darf,

Leg ans der Hand, was stählern scharf,
Was Funken aus dem Stahl läßt
sprüh»,

Wie Worte, bei denen die Herzen er-

Vor allem trage nicht Verlangen,
Mein Sohn, nach Tclcgraphenstangcn;
Leicht fährt ein Donnerwetter 'rein,
Jst's Telegramm auch noch >o klein.
Doch thun gar mehre sich zusammen
Zu jener Art von Telegrammen,

Die eingibt die Ergebenheit,

Dann ist gewiß der Blitz nicht iveit.
Doch denke deiner Christenpflicht
Und rette dich alleine nicht!

Siehst du das Unheil schwarz umgarnen
Die Kindlichen und Unerfahrnen,

So warne sie bei guter Zeit
Allein mit feiner Höflichkeit.

graphen!"

Nein, deute durch dein Gehen an,
Daß hier Gefahr droht, und von braven
Staatsbürgern wird dir's nachgcthan.

Die Vorsicht wird in dieser Welt,

Bon bösen Buben oft verkannt,

Und was der eine Vorsicht nennt,
Vom andern wird es Furcht genannt.
Du aber hebe stolz dein Haupt
Und laß dich nichts verdrießen.

Es wird, »och ehe du's geglaubt,

In deinem Knopfloch sprießen.

Es steht ein Baum im Sachseiiwald,
Der hat viel grüne Aest'.

Mir träumt — es überläuft mich

Ich wäre da gewest.

Nur dummes Volk läuft zu dem Baum,
Weiß selber nicht den Grund.

Bleib du in der vier Wände Raum,
Der Wald ist ungesund.

Der Baum auch mir einst Schatten gab,
Doch das thut jeder Strauch —

Laß du mir das Rouleau herab,
Mein Sohn, das thut cs auch.

KrcrddcrcrdcrtsiH.

Aus dem Asiodope - Hevirge.

Aus dem Rhodope - Gebirge wird uns gemeldet: Ein Athanas macht
viele. Die besten und trockensten Höhlen in unseren Bergen sind seit Wochen
von reichen Grundherren und Großkauflcutcn aus dem Flachlande besetzt; wer
jetzt iioch im Geleit der Räuber eine Gebirgstour macht, muß mit den feuchten
und engen Kunslhöhlen oder mit einer hohlen Platane vorlieb nehmen. Thal-
sächlich wohnen Leute, die 8000 Pfund Lösegeld zahlen können und ivirklich
zahlen, in Felslöchcrn, die kaum für Füchse gut genug sind. Die Aus-
wechselungen gehen, Dank der Polizei, die sich nicht einmischt, glatt vor sich,
da die Einschätzungen, wenn auch nicht ganz so milde wie die Bochum«, doch
selten übertrieben sind. Im Große» und Ganzen bewähren die Räuber ihren
guten Ruf als Leute, die leben und gegen Baarzahlung leben lasse». Nur
der Ziegenkäse steht ungewöhnlich hoch im Preis, und Hammel, selbst wenn
sic gestohlen, sind wegen des starken Bedarfs kaum noch zu bezahlen.

3>us Spiel. Kine moralische Kundstags-Aetrachtung.

Zu de» Eigenthilmlichkeilsn des Menschen (homo sapiens) gehört auch
das Spiel, durch welches sich der Culturmensch wesentlich von deni Kanicel
unterscheidet. Das Spiel ist entweder Jugendspiel oder Kartenspiel oder
Börsenspiel. Das Jugendspiel ist in England und in Görlitz zu Hause. In
England führt eS zum Sport; wohin es in Görlitz führe» wird, wissen die
Götter. Zu den Jngendjpielcn gehört auch das Knobeln, welches sittlich ist,
so lange cs sich dabei nur um Weißbier handelt; mit der sogenannten Sirippe
beginnt es aber schon unsittlich zu werden.

Das in Deutschland gebräuchlichste Spiel ist das Kartenspiel, welchem
der deutsche Mann seine Mußestunden widmet, sobald er die Thorheite» der
Jugend zu überwinden ansängt. Den llebergang vom Jugend- zum Karten-
spiel bildet das eben erwähnte Knobeln. Das Kartenspiel heißt im allgemeinen
Skat: Schafskopf, Whist, Boston, L'hombre sind nur Abarten des Skats.
Dies geht daraus hervor, daß die bei de» verschieden benannten Spielen ge- -
bräuchlichen Redensarten dieselben sind z. B. „da stehe ich nun wie Alcibiades
vor den Karpathen," oder „solche Eier legen die Hühner in Kalabrien auch,
oder „noch fällt der Kornzoll lange nicht." Später wird man die vier höchsten -
Karlen des Skats nach de» vier ersten Kanzlern des Deutschen Reiches be-.
nennen. Es wird dann heißen: „Bismarck sticht sie alle weg!" So ehrt
der Deutsche seine großen Männer.

llnsittlichc Kartenspiele sind Kümmelblättchen, meine Tante — deine
Tante, lustige Sieben und Baccarat. Sie stehen alle so ziemlich aus gleicher
Höhe, und die Spieler unterscheiden sich nur »ach ihrer socialen Stellung. In
Deutschland glauben weise Politiker dem Laster dieser Spiele dadurch bei-
kommen zu könne», daß sie die Zahl der Loose der Staatslotterie wesentlich
zu erhöhen rathen. Biele schlechte Menschen glauben aber, Kümmclblättchen
sei einträglicher als das Spiel in der Staatslotterie.

Das Börsenspiel endlich ist sittlich oder unsittlich, je nachdem man dabei
gewinnt oder verliert. Dauernder Gewinn bringt oft den Adel ein, schwere
Verluste bringe» oft ins Zuchthaus, immer aber unter de» Tisch. I»
nennt man das Börsenspiel eine Cardinaltugend, wenn der Spieler den
Gewinn selbst einheimst, den Verlust aber die Kasse des Unfehlbaren zu
tragen hat.

Hute Aussichten.

In einem gegen die „Frankfurter Zeitung" eingelcitelen.Zeugnißzwangs-
Bersahrcn sind zu iviederholten Malen und in der gründlichsten Weise ver-
nomnien worden: der verantwortliche Redacteur, der Rcssort-Redacteur, dm
andere Rcdacteure des politischen Theils, die verantwortlichen Redacienre
des Handelstheils und des Feuilletons, der Leiter der Verwaltung und der
Privalsecrctär des Herausgebers.

Die Nachricht von diesem Vorgang hat in den Kreisen der unversorgten
Juristen lauten Jubel erregt. Gehen alle Gerichte mit derselbet. Gründlich'
keil vor, so wird mindestens eine Verdreifachung des richterlichen Personals
nöthig, und in wenigen Jahren gibt es keinen unbesoldeten Asseffor mehr-
 
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