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Die Wystificcrtion.

ne? Abends mit die Schimmerstimde erschien
m Redaeiionsloeal des „Kladderadatsch"
in vermummtes Individuum, legte mit
den Worten: ,Kch soll das hier

_abgeben!" einen Brief ans den

Tisch, und ehe man noch die üb-

'- liehe Frage: „Wer und woher

der Männer, und wer sind deine Erzeuger?" an ihn richten konnte, war
er verschwunden.

Ter Brief enthielt die mit Bleistift geschriebenen Worte: „Wir haben
euch Wichtiges mitzutheilen. Seid heute Nacht Schlag l l Uhr in der Wühl-
Heide an der großen hohlen Eiche. Erkenuungsrui: „L'au duh juh dub!"
Unterschrift fthlte.

Aufs höchste gespannt fand man sich um die bestimmte Zeit an Lrt
und Stelle ein. Es war eine furchtbare Nacht. Rabenschwarze Finsterniß
herrschte im Walde. In das Geheule des Sturmes mischte sich das un-
heimliche ,^itohu!" der Eulen. Bei dem schwachen Licht, das drei
glimmende Eigarren verbreiteten, fand man mühsam den Weg zu der alten
Eiche, „Hau duh juh duh!" erscholl es dreistimmig. „Hu duh juh dich!',
antwortete eine heisere Stimme in unmittelbarer Nähe der Rufenden. „Was
baben Sie uns mitzutheilen?" fragten diese. Folgendes", erwiderte der Un-
bekannte. Und nun erzählte er Geschichten von solcher Art. daß die Zu-
hörenden eine Gänsehaut nach der andern überlies und ihre Haare sich
kerzengerade emporsträubten. „Ist das alles wahr?" fragte einer von ihnen,
als der Unbekannte zu Ende war. „Selbstredend!" lautete die Antwort.

— „Gut, aber wer bürgt un? dafür?"

— „Mein ehrliches Gesicht."

— „Wir können es leider nicht sehen."

— „Haben Sie keine Streichhölzchen bei sich?"

Fa wohl, Streichhölzchen waren da, aber Siurm und Regen machten
eS unmöglich, sie zum Brennen zu bringen. Ta fuhr ein blendender Blitz
herunter und zerschmetterte die tausendjährige Eiche, die nur wenige Schritte
von den Versammelten enifernt stand. Zugleich ersolgie ein betäubender
. Tonnerschlag. Beim Schein des Blitzes aber sah man deutlich das
Gesicht des Fremden. Mancher Maler hätte sein letztes Zehnmarkstück hin-

hing über jeine «tir
Hälfte des Gesichts. Tas e

aeaeben um e* auch sehen zu können. Ein Filz. den. die schlimmste Witterung
nicht mehr schaden konnte, bedeckte das Haupt des Unbekannten. Wirres
sin struppiger Bart umstarrte die untere
Auge bedeckte ein schwarzes Pflaster, das
andere blickte finster. Tie Rase
glich der Frucht, die Aubergine
heißt und am besten mit einer
Gurke von dunkelvioletter Färbung
verglichen wird.

,Lbr Gesicht", sagten ein-
stimmig die Redaeteure, als es
wieder finstergeworden war, „flößt
allerdings Vertrauen ein. Haben
Sie nicht aber sonst noch ftgend
eine Legitimation bei sich, etwa
den letzten Steuerzettel oder Ihren
Miethseontraer oder einen Zmps-

„Bedaure", erwiderte der 8e-
heimnißvolle, „es ist hier in der
Wuhlheide so unsicher, daß man
besser daran thut, keine Werth-
papiere bei sich zu tragen."

„?iun, dann genügt auch Ihr
Gesicht schon", sagten die drei.
Tarauf empfahlen sie sich ihrem Gewährsmann, drückten ihm eine mit großen
Zwanzigpseünigstücken gespickte Börse in die Hand und traten, mühsam
zwischen den Stämmen sich hindurchlastend, den Rückweg an. Als sie die
Spree erreicht hatten, sagte einer von ihnen, der sehr mißtrauisch von Namr
ist: .Fällen wir ihn nicht eigentlich fragen sollen, wie er heißt?" — ,I
wo!" sagten die beiden andern. „Wozu einem zweifellos zuverlässige»
Manne gegenüber solche Weftläufligkeiten?" — „Es ist wahr", sagte der
dritte, „wir haben ihm schon genug Mühe gemacht, und jedenfalls wissen
wir ja. wo er zu finden ist."

Befriedigt setzten sie darauf ihren Heimweg fort und verarbeiteten, was
sie gehört hatten, vom andern Morgen an in ihrem Blatre.

Die Hrimmschen Kinder- und Kausmärchen

sind vom Professor von Gizvcki in Berlin „nach ethischen Gesichts-
punkten revidirt worden."

Zweifellos haben diese Märchen viel zur Verwilderung der deutschen
Jugend beigelrageu, und eS war an der Zeit, eine gründliche Revision ein-
treten zu lassen. Wenige Beispiele werden zum Bewesse der Nolhwendigkeit
genügen.

Geht da ein Mägdlein ihres Weges und verlheilt alle ihre Kleidung?-
tiücke, bis sie blos noch ein Hemd trägt. Ist das ethisch? Tie Eltern haben
schon genug damit zu lhun. die Kinder vorm Zerreißen der »leider zu
warnen, welchen Eindruck muß es nun gar auf ein kindliches Gemülh
machen, wenn ein Mädchen ihre ganze Garderobe verschenkt und jeder
Schamhaftigkeil zum Trotz im Hemde durch die Welt läuft.

Und was geschieht dann! Tie Sterne fallen vom Himmel, und der
Hemdenmatz sammelt die in Thaler verwandelten auf und behält sie, anstatt
sie guf dem polizeilichen Fundbüreau abzugeben- Tas ist nichts anders
als eine Fundunterschlagung.

Wahrlich, in unserer Zeit, wo die Gegensätze zwischen Mein und Tein
»ch ohnehin schon scharf genug zuspitzen, darf man solche Lehren im
Märchengewande nicht verbreiten.

Ta haben wir ferner die Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten!
Was ist sie anders als ein nächtlicher Einbruch in ein Hans, ein gemein-
samer Hausfriedensbruch, der nach § 12 1 Abs. 3 des Srrafgesexbuch? mit
Gefängniß zu ahnden ist! Taher muß auch bei Bearbeftung dieses Märchens
die Ethik wieder in ihr Recht eingesetzt werden.

Eine Apotheose der Naschhaftigkeit ist in der Geschichte von Schnee-
wittchen enthalten. Pftii! So was thut ein wohlerzogenes Kind nicht,
und die Gebrüder Grimm hätten wohl alle Ursache, sich wegen der Ver-
giftung harmloser Kindergemüiher zu schämen.

Ein artiges Kind läßt sich auch nicht bei seiner Arbeit, wie es Aschen-
brödel thut, von Tauben helfen und besucht nicht hinter dem Rücken der Eltern
in geliehener Toilette Bälle. Tas reizt zur Faulheit und Vergnügungssucht.

Wir denken, diese Besspiele werden die Roihwendigkeit einer ethischer!
Umarbeftung der von den Gebrüdern Grimm so gedankenlos erzählten
Märchen gerechtfertigt erscheinen lassen.

Äus München.

Tie Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens des „Baverischen
Vaterlands" verlies in durchaus beftiedigender Weise.

Ten Morgen verbrachte der Jubilar vr. Johannes Sigl im Kreise
seiner Kleinen und deren Mütter, die zahlreich erschienen waren.

Um 10 Uhr begrüßte ihn der Männergesangverein „Blau-Weiß" mit
einem HymnuS nach der Melodie: ,Zch bin ein Preuße u. s. w."

Von 10—lO dauerte das Festfrühstück und der Empfang der Te-
putalionen.

Um 10'/. Uhr langte der vom heiligen Vater ertrotzte Segen an.
Schon Vormittags war darum gebeten worden. Als er um 3 Uhr Nach-
mitiags noch nicht da war, telegraybftte Sigl nach Rom: „Wird's bald?"
Tas half.

Tarauf trat die fidelitas in ihre Rechte.

In den polnischen Kreise» der Provinz Posen wird jetzt eifrig für
einen Koseiuzko-Fonds gesammelt. Unsere Regierung, die mft nicht
hoch genug zu rühmender Scharfsichtigkeft den polnischen Bestrebungen
folgt, schmeichelt sich mit der Annahme, daß der Fonds, wenn er eine
gewisse Höhe erreicht hat, zur Nnrerfiützung der nothleidenden deutschen
Lehrerseminare verwendet werde. Koseiuzko war nämlich ein Mann, der
die Bfldimg sehr schätzie. Wir glauben indeß, gestützt auf die Autorität
des Herrn v. »oseietski, daß mit diesen Sammlmigen eine Ueberraschung
vorbereitet wird, die wir einstweilen nur nach der Richtung andeulen
können, daß der deutschen Marine noch immer der eine oder andere Aviso fehlt.

ßlkkärnng.

Ter bekannte Herr in der Wilhelmstraße, der meine Finanzreform
durch seine Tiener hat mitnehmen lassen, wird ausgefordert, sie nach Er-
ledigung seiner Handelsgeschäfte wieder herzustellen an den FestungSgraben.
widrigenfalls ich ihn gerichtlich belangen werde.

M. Iquaki
 
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