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5>cr Vietbeschciftigte Weichslcrgscrbgeovönete.

ist die Klage verhallt, die eia Abgeordneter der „Kölnischen
® Volkszcitung" anvertraut hat über die geschäftliche Ueberbürdung
der Rcichstagsmitglieder, so geht uns eine neue Klage zu, der wir glauben
nicht den Raum verweigern zu dürfen.

„Ach ja, das Leben ist doch schwer. Kaum schlägt man die Augen auf,
so fällt der Blick ans vier Centncr Reichstags-Drucksachen, dreihundert
Zeitungen und ca. 80 Pfund ungeöffnete Briefe. Wann werde ich diese
Arbeit erledigt haben! Schon ist es l t, da hat man zum Lesen keine Zeit
inehr, nian muß frühstücken und dann zum Frühschoppen eilen. Die Leute,
die in den Commissionen sitzen, haben es gut; sie kennen ihr Local, ivo sie
Zusammenkommen, aber unsereiner tastet sich vom Spaten zum Pschorr,
vom Löwenbräu zum Pilsener. Den Freunden, die niich aus der Heimath
besuchen, kann ich leider keine Eimrittskartcn zum Reichstag verschaffen;
lieber opfere ich mich und widme mich ihnen außerhalb des Hauses.
Außerdem weiß ich wirklich nicht, ob heute Sitzung ist, da ich die Zeitung
nur zur Hand nehme, wenn ich geredet habe, und ich rede nie.

Ach ja! Kaum ist der Frühschoppen vorüber, so muß man ans
Mittagessen denken. Die College» im Reichstag haben c8 gut, die könne»
in die Restauration gehen, aber ich muß schon Ivicder eine Verabredung in,
„Rüdcsheimer" innehaltcn und mit einem Zuckcrintcressenten confcriren.
Was der mir über die Prämien sagt, muß ich mir aufschrcibcn. Das
kann ich dann einem College,! mitthcilen, der zniveilen in den Reichstag
gehen soll.

Ach ja! Kaum hat man das Mittagessen hinter sich, da hcißt's fort
nach Trcptoiv. Ein Großindustrieller bedarf meiner Führung. Wenn ich
bedenke, wie viele Abgeordnete die Ausstellung besuchen werden, wenn sie
erst fertig ist, da möchte ich lieber eine Vertagung von einigen Wochen Vor-
schlägen. In der Pferdebahn hörte ich von der gestrigen Sitzung erzählen,
und ein Herr fragte, ob die Zuckersteucr auf die Tagesordnung gesetzt sei.

Wie neugierig die Leute sind; ich gab mich nicht zu erkennen. Man muß
die Volksstinimung kennen lernen.

Ach jal Drei Stunden auf beut Ausstcllungsterrain hcrumgewanderl
Ich wollte nach Hause oder, wie ich sagte, in eine CommissionSsitznng, aber
mein Begleiter meinte, ich solle nicht zu viel arbeiten, eS ginge schließlich
auch einmal ohne mich.

Ach ja oder vielmehr nein! Ich mußte ihn los zu iverdcn suchen und
bat ihn, mich bis zum Reichstag zu begleiten. Es war inzwischen schon
dunkel geworden, als wir dort ankamen, und ich konnte seinem Wunsche,
das Gebäude zu besichtigen, nicht ividersprechen. Ein Diener nahm uns
die Garderobe ab, und ich ging mit meinem Provinzialen direct in den
Sitzungssaal. Potz Blitz! Was war das! Auf den Buol ist gar kein
Verlaß, er hatte eine Abendsitzung anberaumt, und ich führte meinen
Schützling daher schnell auf die Tribüne, wobei ich ihm noch versprach, das
Wort zu ergreifen. Die Agrarier hatten cs augenscheinlich dnrchgesctzt, daß
über die Zuckerstener verhandelt wurde

Ach ja! Das war eine merkwürdige Sitzung. Kein Präsident, kein
Schriftführer war zu sehen, auf mcineni Platz saß ein Socialdemokral und
um ihn herum lauter Genossen. Ich mochte nicht fragen, was los war;
da tvurde cs finster im Saal. Alle guten Geister, so ivas hatte ich in
Münster nie gesehn! „An weißer Wand, da kam's hervor wie Menschen-
hand." AuS den Gesprächen der Umstehenden entnahm ich, daß Photo-
graphien nach Röntgcnschcm Verfahren vorgeführt wurden. Ich hatte auch
schon davon gehört, aber was soll man damit anfangen? Ich konnte nichts
von all dem Zeug verstehen, und der College Schüler sagte, das wären
unsichtbare Strahlen. Ich konnto keine sehen!

Ach ja! Ich ließ meinem Provinzialen sagen, ich müßte in die Com-
uiission gehen; er solle am Montag wiederkommcn. — Sakra! Am Montag
war keine Sitzung. Wer kann alles wissen!"

Die Plagegeister.

Lästig ist die Sommcrfliege,

Die sich keck dir auf die Nase
Immer wieder setzt, wenn friedlich
»Nach dem Essen aus dem Sopha
Wohlverdienter Ruh' du pstegst;

Lästig ist die dicke Bremse,

Die um deinen Wagen summend
Kreist und in das Fell den Stachel
Bohrt dem mitleidswerthen Gaul;

Aber noch fünfhundertlausend
Mal, ja ein'ge Male mehr noch
Läst'ger ist der Doppelwährung
Don Quichotte, der zähe Kardorff,
Und sein vielgetreuer dicker,

Qcder Knappe vr. Arendt.

Tag für Tag ihr monotones
Liedchen summend liegen beide
Den geplagten Volksvertretern,

Den geplagten Staalsministern
In den Ohren, daß Verzweiflung
Oft erfaßt das ganze Haus.

Hrationakliberake Schnadahüpff.

In der Börsencommission geht's
Halt immer lustig zu!

Holdrioriola,

Holdriaduh!

Wie halten dadriu sich
Unsre Leute so brav,

Unser Paasche, unser Placke,
Unser einziger Graf.

Der Herr Professor Paasche,

Der red't in einem fort,

„Je gelehrter, je verkehrter"

Sagt ein alt richtig Wort.

Mit Bewundrung und Neid schaut
Der Ploetz schon auf ihn,

Denn der Paasche verbietet
Den Handel auf Termin!

Und kopfschüttelt Bennigsen,

Na, was schadt's denn nanu?
Holdrioriola,

Holdriaduh!

Säße am Ministertischc

Doch ein kräsl'gcr Mann, ein Necke,

Der mit einer Mcscnklappe
Schwapp! die beiden Plagegeister
Träfe, daß in Reichs- und Landtag
Man vor ihnen hätte Ruh'!

Prof. Or. Hottingcr, früher Bibliothekar in Straßburg, wirkt für
die Gründung einer Frauen-Univcrsität in Berlin oder dessen nächster Um-
gebung. Die Kosten hofft er durch eine Neuauflage seines Buches „Welt-
literatur" aufzubringcn. Die Pcnsionsgcbäude für die Besucherinnen des
Instituts sollen so schnell als möglich erbaut werden, damit sie während
der Dauer der Gewerbe-Ausstellung an Fremde vcrmiethet werden können.

Bei der Kürze der Zeit kann man natürlich an solide Steinbauten nicht
denken, man wird sich vorläufig mit Wellblech-Baracken begnügen müssen.
Für den Fall, daß die Erträge der „Weltliteratur" nicht reichen, ist Professor
Hottingcr bereit, in aller Eile neue Werke zu verfassen, bis er das nöthige
Blech zusammen hat.

Als bas Verhör, das Fritz Friedmann vor dem Staatsanwalt in
Bordeaux zu bestehen hatte, beendigt ivar, überreichte der Verhaftete dem
überraschten Franzosen ein Schriftstück mit folgendem Inhalt:

„iriquioailon oes «Enjisaiimaits Mltz jhriEömann.

Für Wahrnehmung eines Lokaltermins. 500 Frcs,

Eine Bertheibigungsredc für mich. 1000 „

Für die dabei vergossenen Thränen extra pro Stück 50 Frcs.

17 Stück. 850 „

Eine Vertheidigungsrcdc für Frl. Anna Merten .... 10 „

Nachtquartier. ioo „

Tagegelder. 100 „

Sonstige Schriftsätze. 500 „

in Summa: 3060 Frcs.
Dankend erhalten

Irih §?rte&ma*m.“

Selbstverständlich hat der höfliche Staatsanivalt den Betrag sofort zur
Auszahlung angewiesen, nachdcni es dcni Verhafteten mit vieler Mühe
gelungen war, seine Identität nachzuwciscn.
 
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