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—Wei7terrmöevischeS -WÄ

„Frankfurter Zeitung" erzählt, unser Kaiser habe im ver-
gangenen Jahre mit dem jüngst verstorbenen vr. v. Siemens an
der Frühstückstafcl über den Transvaalkrieg gesprochen. „Der Kaiser
meinte, er könne sich die in ganz Deutschland hervorbrechende Be-
geisterung für die Buren nicht erklären: „Wo kommt sie nur her?"

So sollte Kaiser Wilhelm gesprochen und gefragt haben, derselbe
Kaiser Wilhelm, der im Januar 1896 dem alten Krüger seinen
herzlichen Glückwunsch zu der Niederwerfung der von Vr. Jameson
geführten englischen Räuberbande sandte? Brach damals nicht auch bei
dem Kaiser eine gewisse Begeisterung für die Buren hervor,
und war nicht auch er von Ekel und Empörung über die Schurkerei
der Engländer erfüllt? Und müssen der Ekel und die Empörung bei'
jedem ehrlichen und ehrliebenden Menschen nicht jetzt noch viel stärker
sein als,vor sechs Jahren? Damals unternahm ein Haufe von Aben-
teurern einen stechen Ueberfall, jetzt hat die Regierung des englischen
Weltreichs als Dienerin goldgicriger Speculanten unter den nichtigsten
Vorwänden ein stiedlich lebendes Völkchen überfallen, um es zu ver-
gewaltigen und es seines Eigenthums und seiner Freiheit zu berauben.
Empfindet der Kaiser selbst nicht noch immer Ekel und Em-
pörung über die Ruchlosigkeit und freche Verlogenheit der
Engländer, wenn er das auch nicht offen kundgeben kann? Der
Kaiser müßte sein Volk verachten, wenn es auch nur die geringste
Sympathie für England zeigte.

Weiter erzählt dann das Frankfurter Blatt: „Die Sache ist sehr
einfach zu erklären", meinte vr. v. Siemens, die Begeisterung für
die Buren ist so groß, weil die Frauen und Kinder für die
Buren sind. In meiner Faniilie ist's so, und so wird's wohl überall
fein." Der Kaiser schlug sich lachend auf das Knie: „Sie haben ganz
Recht, lieber Siemens, in meiner Familie ist's gerade so. Von den
Frauen kommt die Burenbegeisterung. Auch die meine kann Morgens
kaum die Zeitungen erwarten, die ihr die Siege der Buren melden."

Und solche Fabeleien wagt ein Blatt dem deutschen Volke zu er-
zählen? Niemand wird bezweifeln, daß die Kaiserin mit ganzem

Die ftanzösischen Radfahrer haben sich einen eigenen Heiligen er-
koren, und zwar den heiligen Hermann, weil er auf einem Rade
von England über das Meer gekommen ist, um in Frankreich das
Christenthum zu predigen. Dies Beispiel hat befruchtend gewirkt. Die
stanzösischen Köche haben den heiligen Sebastian zum Schutzheiligen
gewählt, weil er mit Pfeilen gespickt wurde, der Totalisator den
heiligen Crispin, weil er dummen Leuten ihren Reichthum stahl, um
Nothleidende damit zu unterstützen, und die Königin Draga den
heiligen Bartholomäus, weil Bartholomäus Diaz nach dem Cap
der guten Hoffnung strebte, aber vor ihm umkehren mußte.

Aus Greiz wird gemeldet, daß die Gerüchte von einer schweren
Erkrankung des regierenden Fürsten völlig unbegründet sind. Es
handelt sich nur um eine vorübergehende Lähmung des rechten
Arms, hervorgeritfen durch Usberanstrengung beim Züchtigen von
ungerathenen Kindern. Es ist begreiflich, daß in der Herbstzeit mit
ihren Felddiebstählen bedeutend mehr Fälle zu bearbeiten sind als in
den übrigen Zeiten des Jahres.

Der Fürst ist jetzt ganz wieder hergestellt und wird in den nächsten
Tagen an die Aufarbeitung der Sachen gehen, die sich in den letzten
Wochen aufgesummt haben. Uebrigens hat er sich in dieser Zeit der
unfreiwilligen Muße auch links eingepaukt, so daß für die Zukunft
eine Unterbrechung seiner landesoäterlichen- Thätigkeit so gut wie aus-
geschlossen ist.

Der Stadtralh von Chicago hat beantragt, die Sstaßenreinigung
künftig von Schweinen besorgen zu lassen. Magere Schweine sollen
billig angekaust, in den Straßen mit den Abfällen rasch gemästet und
dann mit Vortheil verkauft werden. Bei diesem Verfahren kostet die
Straßenreinigung nicht nur nichts, sondern sie bringt noch ein schönes
Sümmchen ein. Unsere Agrarier verfolgen diese Angelegenheit mit
gespanntem Interesse. Wenn sich die neue Einrichtung in Chicago
bewährt, so wollen sie, wie wir hören, die Schweinewirthschast auch bei
uns einführen und ein Gesetz erwirken, das die Straßenreinigung in
den Städten künftig dem mageren, aber zuverlässigen agrarischen
Landschwein überträgt. Das wäre, wie sie sagen, wenigstens ein kleiner
Ausgleich für die vielen Schäden, welche die ländlichen Interessen
durch di« Städte erleiden.

Herzen auf der Seite der Buren steht, und in jedem deutschen Hause
wird inan sich steuen, daß die höchste Frau im Reich hierin nicht anders
denkt als das ganze Volk, aber alles andere ist erfunden, und zwar
recht ungeschickt erfunden, vr. v. Siemens war ein ehrlicher und an-
ständiger Mann, und er sollte nicht den Muth besessen haben, dem
Kaiser zu antworten: „Majestät, das deutsche Volk empfindet Wider-
'willen gegen die Schurkerei und Heuchelei der Engländer, weil in ihm
noch innuer ein achtungswerther sittlicher Kern steckt," Und der Kaiser
sollte dem vr. v. Siemens darin zugestimmt haben, daß die ganze
Burenbegeisterung von den Frauen und. Kindern herkomme? Will
man uns glauben machen, der Kaiser halte die Deutschen für schlappe
Gesellen, die in den wichtigsten Fragen keine- eigene Ueberzeugung
haben, sondern gehorsam die Meinung 'ihrer Frauen nachsprechen?
Würde es dem Kaiser Freude machen, über ein Volk von
solchen Waschlappen zu herrschen? .

Der Kaiser kann nicht so gesprochen haben, denn er weiß recht gut,
daß hier das tiefste sittliche Empfinden sich mit unwidersteh-
licher Gewalt Bahn bricht. Er weiß auch, daß das deutsche Volk
der kaiserlichen Politik, auf die es nicht, den geringsten Einfluß, hat, in
ihren Zickzack-Sprüngen nicht immer gleich folgen - kann- daß es vielmehr
fein gutes Recht ist, sein eigenes tiefstes Empfinden frei und offen
auszusprechen. Der Diploniat kann heute den alten Krüger beglück-
wünschen und morgen die insolenten Engländer mit Liebenswürdigkeiten
überhäufen, das deutfcheVolk kann das nichtund braucht das nicht zu können.

Wer den Kaiser so sprechen und ftagcn läßt, wie'es das Frank-
furter Blatt thut, macht sich fast der Majestätsbeleidigung schuldig.
Wenn trotzdem die ofsiciösen Blätter diese Verleumdungen nicht zurück-
weisen, so schadet das nichts: Kaiser Wilhelm braucht nicht von den
Preßtrabanten der Regierung gegen den Vorwurf vertheidigt zu werden,
daß er über die aus dem tiefsten sittlichen Empfinden entspringende
Theilnahnie des deutschen Volks für den Todeskampf der tapferen
Buren in oberflächlich scherzender und beinah frivol zu
nennender Weise gesprochen habe.

Der Pfarrer Naumann behauptet in seiner „Zeir" von unserem
Kaiser: „Zu seinen Füßen knien Ares, Athene; Poseidon, Apollo
und alte Musen."

Wenn Ares und Poseidon das wirklich thun, so läßt sich nichts
dagegen sagen, obgleich das Knien sonst nicht Sache so mächtiger Götter
ist. Aber wie ist es mit Apollo und den neuen Musen? Auch wenn sie
wirklich vor dem kaiserlichen Throne knien, so darf man ihnen doch nicht
ganz tränen, denn sie haben den Schalk im Nacken.

Man achte darauf, ob sie etwa beim Knien den Kopf recht tief
nicderbeugen. Ist das der Fall, so thun sie es gewiß, um ihren Ge-
sichtsavsdruck zu verbergen.

Gerade Um die rechte Zeit, da es den Blättern an Stoff zu fehlen
ansängt, weil der hundertjährige Greis, die Seeschlange und der Dach-
stuhlbrand nicht mehr recht ziehen wollen, die Politik aber immer noch
schläft, stellt sich wie gerufen Traudchen Hundgeburth mit Milch-
eimer und Mistgabel ein und füllt die gähnenden Spalten der Zeitungen
an. Zahllose Interviewer liegen ihr zu Füßen. ' Die Apparate aller
Momentphotographen sind auf sie gerichtet. Die Agrarier rechnen
darauf, daß sie ihres ehemaligen Kuhmagdthums gedenkend für sie im
Milchkriege als eine zweite Jungftau von Orleans in die Bresche
springen wstd.
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