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Kleinpaul, Rudolf; Heinrich Schmidt & Carl Günther [Mitarb.]
Neapel und seine Umgebung: mit 142 Illustrationen — Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.55172#0091
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(Vasi di creta pitturati) und eine zweite Abtheilung der modernen Gemäldegallerie (Quadri di
Scuola Napolitana, olandesi e quelli dell’ esule principe di Salerno, im Ganzen 8900 Nummern).
Der Reichthum des Museums ist, wie man sieht, unermesslich und er wird durch die Funde in
Pompeji noch täglich gesteigert.
Das Museo Nazionale zählt ohne Frage zu den bedeutendsten Europas: zwar ein nennens-
werthes Specimen der echten attischen Schule aus der Zeit des Phidias besitzt es nicht, aber
glänzende und zahlreiche Proben der jüngeren griechischen Kunst; in Betreff der Wandgemälde
ist es einzig, in Bezug auf Bronzen, auf Hausrath und Privatalterthümer jeder Art, sowie auf
obscöne und phallische Monumente übertrifft es alle andern Cabinete weit; und da es auch sonst in
jeder Branche wohl ausgestattet ist, so wird es noch jetzt für Einheimische und Fremde zu einem
wahren Palazzo degli Studi. Wir könnten ein Triennium academicum darin verweilen; das erste
Semester würden wir billig den Statuen widmen und zwar zunächst den Marmorstatuen.

ERSTES KAPITEL.
Die antiken Marmorstatuen.
Die Farnesischen Kunstwerke (der Farnesische Stier, der Farnesische Hercules, die Farnesische Flora) — weitere römische
Antiken (die Venus Callipygis, die jüngere Agrippina) — Capuaner Funde (die Venus und die Psyche von Capua) —
Herculanische Funde (die Familie der Balbi, der Redner Aeschines) — Pompejanische Funde (das Mosaik der
Alexanderschlacht).
A. Die Farnesischen Kunstwerke.
Jede Stadt ist im Besitz gewisser Hauptwerke, die gleichsam zu ihrem Begriff gehören
und mit ihr verwachsen sind wie das Palladium mit Troja oder wie die Reichskleinodien mit
Nürnberg: ohne sie vermag man sich die Localität gar nicht zu denken. Wem fällt nicht bei
Dresden augenblicklich die Sixtinische Madonna, bei Paris die Venus von Milo, bei Florenz die
Mediceische Venus, bei Rom der Apollo von Belvedere und die Laokoongruppe ein? Als die
Franzosen diese Schätze entführt hatten, war Rom nicht mehr Rom: es glich einem Heiligthum,
aus dem man das Sanctissimum entwendet hat.
Dergleichen Palladien sind für Neapel die Farnesischen Kunstwerke.
Kolossal, aber nicht blos durch ihre Grösse, sondern zugleich durch Kraft und Kühnheit
imponirend, einer zweiten, üppigeren Blüthe der griechischen Sculptur entsprossen, markirte, unver-
gessliche Compositionen, die beim ersten Anblick einen bleibenden Eindruck hinterlassen — sind
die Farnesischen Bildwerke vorzugsweise geeignet, eine Stadt zu charakterisiren und die künst-
lerischen Wahrzeichen Neapels abzugeben.
Man versteht unter den Farnesischen Bildwerken namentlich drei weltberühmte Sculpturen,
die um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts in den Caracallathermen zu Rom, auf Farnesischem
Grund und Boden gefunden und damals in den Palast Farnese übertragen, im Jahre 1787, als
besagter Palast nach dem Aussterben der Farnese mit der Allodialherrschaft an König Karl III,
zweiten Sohn der Elisabetta Farnese fiel, in die Residenz Neapel gekommen sind: den Hercules,
die Flora und die Gruppe des Stiers. Ihnen reihen sich noch einige andere, minder allgemein
bekannte Antiken an, ebenfalls aus dem Farnesischen Besitz: der Junokopf und die Gruppe des
Harmodius und Aristogiton. Die Sujets sind disparat, dennoch halten wir es für gut, die fünf
Stücke in der Betrachtung nicht von einander zu trennen, da sie äusser dem Namen Farnese auch
den ausserordentlichen Umfang und überhaupt das Cachet gemein haben, wodurch sie uns eben
zu Repräsentanten des ganzen Museums werden.

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