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Die „Grüne Passion'

zu Pferde; Engel fangen das Blut aus den Wunden des Erlösers auf, und
Sonne und Mond erscheinen hier wieder mit schmerzlich teilnehmenden Gesichtern
— wie denn überhaupt dieses Blatt sich am wenigsten von der überlieferten Dar-
stellungsweise entfernt. Das nächste Bild schildert die Klage um den vor dem
Eingang des Grabes unter einem dürren Baum niedergelegten heiligen Leichnam;
und daran schließt sich die Darstellung, wie der Körper des Heilands, von einem
inzwischen größer gewordenen Gefolge begleitet, in die Gruft getragen wird,
während Maria kraftlos in der Unterstützung des Johannes liegenbleibt. Be-
wunderungswürdig ist in diesen beiden Bildern, wie auch in anderen, die Land-
schaft, deren Linien und Massen wesentlich mit zur Komposition gehören. — Leider
ist die Schnittausführung der Passionsbilder weniger gut gelungen als diejenige
der Zeichnungen zur Apokalypse; bei einzelnen hat das Schneidemesser den Strich
des Meisters sichtlich in gar grober Weise entstellt.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Dürer durch die Einbuße, die seine
Schöpfungen unter der Hand der Holzschneider erlitten, bewogen wurde, die Lei-
densgeschichte Christi gleich noch einmal in freien Zeichnungen zu behandeln, bei
denen ihn keine Rücksicht auf das, was dem Formschneider möglich und was ihm
nicht möglich wäre, beengte. Im Jahre 1504 zeichnete er die herrliche Folge von
zwölf Blättern, die nach der Farbe des Papiers „Die grüne Passion" genannt
wird (in der Albertina zu Wien). Die Gegenstände der Folge sind: der Judas-
kuß, Christus vor Herodes, Christus vor Kaiphas, die Geißelung, die Dornen-
krönung, die Vorstellung vor dem Volk, die Kreuztragung, die Anheftung an
das Kreuz, der Kreuzestod, die Kreuzabnahme, die Grablegung und die Auf-
erstehung. Dürer machte diese Zeichnungen nicht zum Zwecke der Veröffentlichung,
sondern für sich, doch als etwas in seiner Art Fertiges, dessen Ausführung durch
Entwürfe vorbereitet wurde (Abb. 44). Man möchte glauben, daß er sich selbst
eine Entschädigung geben wollte für die Nichtbefriedigung, die ihm die Holzschnitt-
Kompositionen verursachten. Seine künstlerische Freiheit ist hier sehr viel größer
als dort. Er hat sich mit voller Künstlerlust in die Aufgabe versenkt, sich die
geschichtlichen Begebenheiten so natürlich wie möglich vorzustellen. Darum bleibt
auch alles Unnatürliche, von der älteren Kunst in sinnbildlicher Bedeutung An-
gewendete, wie die Strahlenscheine und die Verkörperung von Sonne und Mond,
weg. Die Naturwahrheit in der Schilderung der Vorgänge, die mit einer staunens-
würdigen Schlichtheit und Einfachheit anschaulich gemacht werden, hat den Künstler
sozusagen von selbst auch zu einer reineren Natürlichkeit der Form geführt. Un-
verkennbar ist Dürer bei der Anfertigung dieser Blätter auch von dem Verlangen
nach einer weitergehenden und feineren malerischen Wirkung, als sie ihm durch
die derben, offenen Striche der Holzzeichnung erreichbar war, geleitet worden.
Es ist überraschend, wieviel Farbigkeit des Eindrucks er mit ganz geringem Auf-
wand von Mitteln, in Schwarz und Weiß mit Feder und Pinsel auf dem getönten
Papier zeichnend und hier und da tuschend, erreicht hat. Der sehr glücklich ge-
wühlte grünliche Ton des Papiers spricht selbst mit, indem er wesentlich beiträgt
zu der eigenen, wehmütigen Stimmung der Bilder (Abb. 43 u. 45).
Von den Holzschnittbildern, in denen Dürer das Leben der Jungfrau Maria
nach der Legende und den Evangelien schilderte, scheint der größte Teil in den
Jahren 1503 bis 1505 fertig geworden zu sein. Diese liebenswürdigen Blätter
sind auf einen ganz anderen Ton gestimmt als die Apokalypse und die Passion.
Mit richtigem Gefühl hat Dürer hier, wo die Darstellungen nicht sowohl durch
Großartigkeit als vielmehr durch innige Poesie wirken wollen, einen kleineren
Maßstab gewählt, und dem entspricht die zartere Zeichnung. Trotz dieser be-
sonderen Schwierigkeiten für den Formschneider ist die Mehrzahl der Blätter
wieder ganz gut geschnitten. Dürer muß entweder geschicktere und besser geübte
Hände für diese Arbeit gefunden oder aber sich mehr Zeit genommen haben, die
Schnittführung persönlich zu beaufsichtigen. Die Bilderdichtung beginnt, im

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