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Tod der Mutter

gedämpft, in das Gemach
hineinträgt; in friedlichem
Schlummer ruht der Löwe
des Heiligen neben einem
Hündchen (Abb. 97). Auch
in diesen beiden Blättern
ist Dürer wieder so kern-
deutsch. Man braucht kein
sogenanntes Kunstverständ-
nis zu besitzen, sondern nur
ein deutschesHerz zu haben,
um diese Stimmungen mit-
fühlen zu können.
Die Jahre, in denen
Dürer aus der innersten
Schatzkammer seines Her-
zens solch köstliche Juwelen
der vollendetsten Stim-
mungsmalerei hervorholte,
brachten ihm den größten
Schmerz seines Lebens, die
Krankheit und den Tod der
Mutter. In einer beson-
deren Aufzeichnung hat er
hierüber ergreifend und


Abb. 104. Studie über die Unterschiede der Gesichtsbildung
Federzeichnung von ISIS
In einer Privatsammlung in Paris (Zu Seite 140)

ausführlich berichtet. Die
fromme, sanftmütige und wohltätige Frau starb nach mehr als ein Jahr langem
Siechtum am 17. Mai 1514. Wenige Wochen vor ihrem Tode, am Okulisonntag,
hatte Dürer sie in einer lebensgroßen Kohlezeichnung abgebildet. Das Berliner
Kupferstichkabinett bewahrt dieses rührende Bildnis: ein abgemagertes, viel-
durchfurchtes Antlitz mit gottergebener Duldermiene, die den Tod in der Nähe
steht (Abb. 94). Sicher ist Dürer an keiner Arbeit mehr mit dem ganzen Herzen
dabei gewesen, als an dieser sichtlich in kurzer Zeit hingeschriebenen Zeichnung,
in der er das Bild seiner Mutter, die in der rastlosen Tätigkeit der schaffenden,
sorgenden Hausfrau früher vielleicht niemals eine Stunde erübrigt hatte, um dem
Sohn zu sitzen, jetzt in der unfreiwilligen Muße der Krankheit in letzter Stunde,
als ein Jammerbild festhielt. Es mag ihm eine Pein gewesen sein, die Ent-
stellungen, die die Todesnähe in das geliebte Antlitz gegraben, Zug um Zug
zu verfolgen. Aber er schenkte sich nichts von dem Schrecklichen: nicht die Er-
schlaffung der Augenmuskeln, welche die beiden Augensterne auseinanderweichen
läßt, nicht das Zusammensinken der Nasenknorpel, noch die entsetzliche Abmage-
rung, welche die Knochen und die einzelnen Muskelstränge des Halses mit fürchter-
licher Deutlichkeit unter der verwelkten Haut hervortreten läßt. Das ist die
Liebe und Ehrfurcht, die Dürer vor der Natur hegte. Wenn er etwas in der
Wirklichkeit Vorhandenes nachbildete als das, was es war, so bildete er es so

nach, wie es war. Seine Treue und Ehrlichkeit war dann so bedingungslos voll-
kommen, daß dieser Realismus von keinem unserer modernen Maler auch nur

um ein Härchen überboten werden könnte. Dürers Studienblätter bieten zahl-
reiche Belege. Ein besonders sprechendes Beispiel ist auch das in Abbildung 95
wiedergegebene, mit schnellen Federstrichen gezeichnete Bildnis einer behäbigen
Frau, deren gutmütiges, durch eine Anschwellung des rechten Augenlides ver-
unziertes Gesicht auch sonst unter Dürers Zeichnungen vorkommt, — wahrscheinlich
einer Verwandten des Hauses.
Von Gemälden weist das Jahr 1514 nur einen Christuskopf von zu be-

Knackfuß, Albrecht Dürer

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