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Das Gebetbuch Kaiser Maximilians

sendet vom Himmel und errettet mich": das ist dargestellt durch den herab-
stürmenden Erzengel Michael, der den Satan niederwirft; „und übergibt der
Schmach meine Unterdrücker": da sehen wir einen König auf einem Triumph-
wagen, gezogen von einem Bock, den ein Knabe auf einem Steckenpferde am
Barte führt. Hierbei fehlt auch eine politische Anspielung nicht, die den Unter-
drücker näher kennzeichnet: dieser König hat auf seinem Reichsapfel anstatt des
Kreuzes den Halbmond. Bei zwei darauffolgenden Psalmen, welche die gemein-
schaftliche Überschrift führen: „Zu sprechen, wenn man einen Krieg beginnen
muß" — es sind der 90. (91.) und der 34. (35.) Psalm —, ist unten jedesmal
ein wildes Kampfgetümmel dargestellt, und darüber, am Seitenrande, schwebt
betend ein Engel in himmlischer Ruhe. Auf der nächsten von Dürer geschmückten
Seite kommt der Satz vor: „Wie die Juden erschreckt zu Boden fielen." Dazu
illustriert der Künstler den Vers des Johannesevangeliums: „Als nun Jesus zu
ihnen sprach: Ich bin es, da wichen sie zurück und fielen zu Boden." Und da
ihm bei der Darstellung der Gefangennahme gleich das ganze Leiden Christi in
die Vorstellung tritt, zeichnet er dazu an den Seitenrand Maria als Schmerzens-
mutter. Weiterhin gibt dem Zeichner das im Gebet vorkommende Wort „Ver-
suchung" das Thema zu der Einfassung der betreffenden Seite: ein im krausen
Rankengeschlinge einherwandelnder Kriegsmann lauscht, halb argwöhnisch, halb
begehrlich, auf das Eeraune eines seltsamen Vogels; und der Fuchs der Fabel
lockt die Hühner mit Flötenspiel. Bei den Gebeten zu Ehren der Mutter Gottes
ist die Darstellung der Verkündigung auf zwei gegenüberstehende Seiten verteilt;
dabei ist hier der Zorn des Teufels, der mit Geschrei und Grimassen flüchtet,
und dort die Freude der Engel, die einen Baum pflanzen, geschildert. Dann
sehen wir bei einem Kirchenliede einen im Galopp dahersprengenden Ritter, den
der Tod mit der Sense verfolgt und den ein aus den Ranken sich herablassender
Teufel bedroht. Bei dem 8. Psalm musizieren die Hirten, und die Vögel jubeln
in blumigen Zweigen zu den Worten: „Herr, unser Herr, wie wunderbar ist dein
Name"; und ein Löwe, der unter den Augen eines Eremiten seine ganze Auf-
merksamkeit einem schwirrenden Insekt zuwendet, deutet die Unterwerfung der
Tiere unter die Füße des Menschen an. Was aber mag den Zeichner angeregt
haben, beim 18. (19.) Psalm den Herkules an den Rand zu zeichnen, der die
stpmphalischen Vögel bekämpft? Vielleicht nur das Wort: „Frohlocket wie ein
Riese" —? Deutlicher erkennbar sind die Anregungen bei den nächsten Psalmen-
bildern: beim 23. (24.) Psalm ein indianischer Krieger, in des Künstlers Vor-
stellung getreten aus den Worten: „Der Erdkreis und alle, die ihn bewohnen",
die ihn an die bis vor kurzem noch unbekannten Länder jenseit des Ozeans denken
ließen; beim 44. (45.) Psalm ein Morgenländer mit einem Kamel, wohl aus
dem Gedanken an „die Reichen des Volkes mit Geschenken" hervorgegangen. Eine
Säule, ein Engelknabe mit Früchten, ein spielender Hund, Vöglein in den Zweigen,
ein behaglich schlafender Mann: das webt sich zusammen zu einem Stimmungs-
bild sicherer Ruhe, das die Worte des 45. (46.) Psalms einrahmt: „Darum
fürchten wir uns nicht, wenn auch die Erde erschüttert wird." Nach einem bloß
mit Phantasiespielen geschmückten Blatt folgen zwei Bilder, die, ohne daß man
bestimmte Anknüpfungspunkte in den von ihnen eingeschlossenen Psalmentexten
finden könnte, den Gegensatz zwischen Stärke und Schwäche verbildlichen: hier
Herkules und ein am Boden liegender Trunkenbold; dort ein gerüsteter Kriegs-
mann und eine bei der Arbeit eingeschlafene alte Frau. Köstlich ist das Bild
zum 97. (98.) Psalm: „Singet dem Herrn ein neues Lied!" Da hat sich eine
ganze Kapelle zu feierlicher Musik auf der Wiese vor der Stadt versammelt; und
eine freudig bewegte Stimmung klingt in den Schwingungen des emporsteigenden
Rankenwerkes nach, das sich aus den Vaumstämmchen, die auf der Wiese stehen,
entwickelt. Im Text folgen nun wieder verschiedene Gebete. Bei einer Erwäh-
nung der Jungfrau Maria hat Dürer diese als eine noch ganz jugendliche Gestalt,

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