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Die vier Apostel

In dem nämlichen Jahre vollendete Dürer das letzte große Werk seiner
Malerei: die beiden Tafeln mit den Aposteln Johannes und Petrus einerseits,
dem Apostel Paulus und dem Evangelisten Markus anderseits, die, bekannt unter
dem Namen „Die vier Apostel" oder „Die vier Temperamente", jetzt in der
Münchener Pinakothek prangen. Schon seit Jahren hatte er sich damit beschäftigt,
die Apostel in Charaktergestalten zu verbildlichen. Fünf Apostelfiguren führte er
in Kupferstich aus in den Jahren 1514 bis 1526; aber er führte die Reihe nicht
zu Ende. Es drängte ihn, gleichsam ein großes Schlußwort seiner Kunst in den
gemalten Apostelbildern auszusprechen, zu denen die Studien bis in das Jahr 1523
hinaufreichen. Seit dem Dezember 1520, wo er auf der Reise nach Seeland zum
erstenmal von einem heftigen Unwohlsein ergriffen wurde, kränkelte Dürer. Jetzt
fühlte er, daß die Tage seiner Schaffenskraft gezählt seien. Vor seinem Ende
wollte er seiner geliebten Vaterstadt ein künstlerisches Vermächtnis übergeben, und
dazu wählte er die Apostelbilder. Aus einer tiefernsten Stimmung heraus, aber
mit jugendlicher Kraft schuf er diese mächtigen, lebensgroßen Gestalten, in denen
seine schöpferische Fähigkeit, Charakterbilder ins Dasein zu rufen, auf ihrer größten
Höhe erscheint. Die ganze Liebe, die er auf eine sorgfältige Ausführung zu ver-
wenden vermochte, hat er diesem Werke gewidmet, aber alles Kleinliche hat er
vermieden. Er hat hier jene erhabene Einfachheit erreicht, die er, wie er einst
Melanchthon voll Schmerz über seine Unvollkommenheit gestand, zwar als den
höchsten Schmuck der Kunst erkannt, aber niemals erlangen zu können geglaubt
hatte. In mächtiger Größe treten die Gestalten aus einem leeren schwarzen
Hintergrund heraus. Die ganze Aufmerksamkeit des Beschauers wird auf die vier
Köpfe gelenkt. Die beiden Gewänder, die den großen Raum der Bildflächen
einnehmen, der weiße Mantel des Paulus und der rote des Johannes, sind mit
einer einfachen Großartigkeit angeordnet, die mit der Großartigkeit der Köpfe in
vollem Einklang steht (Einschaltbild Abb. 138 u. 139). Die große Verschiedenheit
der Köpfe hat schon zu Dürers Lebzeiten die Ansicht aufkommen lassen, daß hier
zugleich die vier Temperamente dargestellt seien. Bei der großen Bedeutung, welche
die damalige Wissenschaft den sogenannten Temperamenten oder Flüssigkeits-
mischungen im menschlichen Körper, der „feurigen, luftigen, wässerigen oder irdi-
schen Natur", beilegte, ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß Dürer selbst auch
an diese Unterscheidungen gedacht hat. Was der ernst sinnende Johannes, der
ruhige Petrus, der lebhafte Markus und der feurige Paulus dem Beschauer sagen
wollen, das hat der Maler durch die Unterschriften erläutert, die er den Bildern
hinzufügte: „Alle weltlichen Regenten in diesen gefahrvollen Zeiten sollen billig
acht haben, daß sie nicht für das göttliche Wort menschliche Verführung annehmen.
Denn Gott will nichts zu seinem Wort getan, noch davon genommen haben.
Darum hört diese trefflichen vier Männer Petrum, Johannem, Paulum und
Marcum." Als „ihre Warnung" werden nun die Stellen aus dem zweiten Brief
des Petrus, aus dem ersten Brief des Johannes, aus dem zweiten Brief des
Paulus an Timotheus und aus dem zwölften Kapitel des Markusevangeliums
angeführt, die vor falschen Propheten und Sektierern, vor Leugnern der Gott-
heit Christi, vor Lasterhaften und vor hoffärtigen Schriftgelehrten warnen. Mit
diesen mahnenden Unterschriften versehen verehrte Dürer die beiden Tafeln im
Herbst 1526 seiner Vaterstadt zu seinem Andenken. Rührend ist die Bescheiden-
heit des Begleitschreibens, mit dem er sie dem Rat übersandte: „Dieweil ich vor-
längst geneigt gewesen wäre, Eure Weisheit mit einem kleinwürdigen Gemälde
zu einer Gedächtnis zu verehren, habe ich doch solches aus Mangelhaftigkeit
meiner geringschätzigen Werke unterlassen müssen. Nachdem ich aber diese ver-
gangene Zeit eine Tafel gemalt und darauf mehr Fleiß denn auf andere Gemälde
gelegt habe, achte ich niemand würdiger, die zu einer Gedächtnis zu behalten,
als Eure Weisheit. Deshalb ich auch dieselbe hiermit verehre, untertänigerweise
bittend, Sie wolle dieses mein kleines Geschenk gefällig und gütig annehmen

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