Dürers Persönlichkeit
„Die Natur hatte ihm," heißt es darin, „einen in Bau und Wuchs ansehnlichen
Körper gegeben, passend zu der schönen Seele, die er einschloß. Sein Kopf war
scharf geprägt, die Augen leuchtend, die Nase wohlgeformt und kräftig geschnitten,
der Hals ein wenig zu lang, die Brust breit, der Leib schlank, die Schenkel mus-
kulös, die Unterbeine fest. Aber seine Figur — etwas Schöneres meinte man
gar nicht sehen zu können. In seiner Rede lag ein solcher Wohllaut und ein solcher
Reiz, daß den Zuhörern nichts unangenehmer war, als wenn er aufhörte zu
sprechen. Seine Seele war von glühendem Verlangen nach vollendeter Schönheit
der Sitten und der Lebensführung erfüllt, und er zeichnete sich darin so aus, daß er
mit Recht für einen vollkommenen Mann gehalten wurde. Aber darum war er
keineswegs von trübseliger Strenge oder von unangenehmem Ernst; im Gegenteil,
alles, was als Beitrag zur Verschönerung und zur Erheiterung des Lebens gilt,
ohne von Ehrbarkeit und Recht abzuweichen, das hat er nicht nur sein Leben lang
nicht außer acht gelassen, sondern auch als Greis noch gut geheißen, wie seine
nachgelassenen Schriften über Gymnastik und Musik dartun. Vor allem aber hatte
die Natur ihn zur Malerei geschaffen, und darum hat er sich dem Studium
dieser Kunst mit allen Kräften hingegeben und sich eifrig bemüht, die Werke be-
rühmter Maler aller Nationen und den tieferen Grund ihrer Art und Weise
kennenzulernen, und was er davon für richtig hielt, sich anzueignen. Mit dem
höchsten Recht bewundern wir Albrecht als den eifrigsten Hüter der Sittlichkeit
und Züchtigkeit und als einen Mann, der durch die Großartigkeit seiner Malereien
das Bewußtsein seiner Kraft kund gab, und bei dem doch auch von den kleineren
Werken nichts gering geschätzt werden darf. Man findet in seinen Arbeiten keinen
unüberlegt oder verkehrt gezeichneten Strich, keinen überflüssigen Punkt. Was soll
ich von der Fertigkeit und Sicherheit seiner Hand sagen? Man möchte schwören,
mit Lineal und Zirkel sei gezogen, was er ohne anderes Mittel als Pinsel, Stift
oder Feder zum Verblüffen der Zuschauer hinzeichnete. Was soll ich davon sprechen,
mit welcher Übereinstimmung von Hand und schaffendem Geist er oftmals die
Verbildlichungen irgendwelcher Dinge auf das Papier warf oder, wie die Künstler
sagen, hinsetzte? Späteren Lesern wird es gewiß unglaublich erscheinen, daß er
bisweilen eine Zeichnung an weit auseinanderliegenden Stellen nicht nur einer
ganzen Darstellung, sondern auch einzelner Figuren anfing, die dann, wenn er
die Verbindung hergestellt hatte, so zusammenkamen, daß gar kein besserer Zu-
sammenhang denkbar gewesen wäre. Mit dem Pinsel führte er auch die feinsten
Sachen auf Leinwand oder Holztafel ohne vorherige Aufzeichnung aus, und zwar
so, daß nichts daran zu tadeln war, daß vielmehr alles das höchste Lob fand. Das
haben besonders die gefeiertsten Maler bewundert, die als die Sachverständigsten
die Schwierigkeit kannten. — Wie sehr hoch Albrecht stand, so strebte er doch in
seinem großen und erhabenen Geist immer noch weiter. Wenn überhaupt etwas
an diesem Manne war, das einem Fehler ähnlich schien, so war es sein unbegrenzter
Fleiß mit der oftmals bis zur Ungerechtigkeit getriebenen scharfen Selbstbeurtei-
lung. — Nichts Unreines, nichts Unwürdiges kommt in seinen Werken vor, da
von allen derartigen Dingen die Gedanken seiner keuschen Seele zurückflohen. Wie
würdig war der Künstler seines großen Erfolgs!"
Dürers Künstlerruhm war schon bei seinen Lebzeiten nicht nur in Deutschland
und den Niederlanden, sondern auch in Italien unbestritten. Zn Venedig sowohl
wie in Antwerpen wurden ihm Zahresgehalte angeboten, um ihn dauernd zu
fesseln; und nur sein vaterländischer Sinn widerstand den hinreichend verlockenden
Anerbietungen. Als er von Venedig aus nach Bologna reiste, wurde er von der
dortigen KUnstlerschaft mit überschwenglichem Jubel begrüßt, in Ferrara wurde er
durch Gedichte gefeiert. Raffael Santi tauschte Arbeiten mit dem deutschen
Meister aus, „um ihm seine Hand zu weisen". Von Raffaels Geschenksendung
an Dürer, die aus mehreren Zeichnungen bestand, hat sich ein Blatt mit Akt-
studien, durch einen Vermerk von Dürers Hand beglaubigt, erhalten (in der Alber-
143
„Die Natur hatte ihm," heißt es darin, „einen in Bau und Wuchs ansehnlichen
Körper gegeben, passend zu der schönen Seele, die er einschloß. Sein Kopf war
scharf geprägt, die Augen leuchtend, die Nase wohlgeformt und kräftig geschnitten,
der Hals ein wenig zu lang, die Brust breit, der Leib schlank, die Schenkel mus-
kulös, die Unterbeine fest. Aber seine Figur — etwas Schöneres meinte man
gar nicht sehen zu können. In seiner Rede lag ein solcher Wohllaut und ein solcher
Reiz, daß den Zuhörern nichts unangenehmer war, als wenn er aufhörte zu
sprechen. Seine Seele war von glühendem Verlangen nach vollendeter Schönheit
der Sitten und der Lebensführung erfüllt, und er zeichnete sich darin so aus, daß er
mit Recht für einen vollkommenen Mann gehalten wurde. Aber darum war er
keineswegs von trübseliger Strenge oder von unangenehmem Ernst; im Gegenteil,
alles, was als Beitrag zur Verschönerung und zur Erheiterung des Lebens gilt,
ohne von Ehrbarkeit und Recht abzuweichen, das hat er nicht nur sein Leben lang
nicht außer acht gelassen, sondern auch als Greis noch gut geheißen, wie seine
nachgelassenen Schriften über Gymnastik und Musik dartun. Vor allem aber hatte
die Natur ihn zur Malerei geschaffen, und darum hat er sich dem Studium
dieser Kunst mit allen Kräften hingegeben und sich eifrig bemüht, die Werke be-
rühmter Maler aller Nationen und den tieferen Grund ihrer Art und Weise
kennenzulernen, und was er davon für richtig hielt, sich anzueignen. Mit dem
höchsten Recht bewundern wir Albrecht als den eifrigsten Hüter der Sittlichkeit
und Züchtigkeit und als einen Mann, der durch die Großartigkeit seiner Malereien
das Bewußtsein seiner Kraft kund gab, und bei dem doch auch von den kleineren
Werken nichts gering geschätzt werden darf. Man findet in seinen Arbeiten keinen
unüberlegt oder verkehrt gezeichneten Strich, keinen überflüssigen Punkt. Was soll
ich von der Fertigkeit und Sicherheit seiner Hand sagen? Man möchte schwören,
mit Lineal und Zirkel sei gezogen, was er ohne anderes Mittel als Pinsel, Stift
oder Feder zum Verblüffen der Zuschauer hinzeichnete. Was soll ich davon sprechen,
mit welcher Übereinstimmung von Hand und schaffendem Geist er oftmals die
Verbildlichungen irgendwelcher Dinge auf das Papier warf oder, wie die Künstler
sagen, hinsetzte? Späteren Lesern wird es gewiß unglaublich erscheinen, daß er
bisweilen eine Zeichnung an weit auseinanderliegenden Stellen nicht nur einer
ganzen Darstellung, sondern auch einzelner Figuren anfing, die dann, wenn er
die Verbindung hergestellt hatte, so zusammenkamen, daß gar kein besserer Zu-
sammenhang denkbar gewesen wäre. Mit dem Pinsel führte er auch die feinsten
Sachen auf Leinwand oder Holztafel ohne vorherige Aufzeichnung aus, und zwar
so, daß nichts daran zu tadeln war, daß vielmehr alles das höchste Lob fand. Das
haben besonders die gefeiertsten Maler bewundert, die als die Sachverständigsten
die Schwierigkeit kannten. — Wie sehr hoch Albrecht stand, so strebte er doch in
seinem großen und erhabenen Geist immer noch weiter. Wenn überhaupt etwas
an diesem Manne war, das einem Fehler ähnlich schien, so war es sein unbegrenzter
Fleiß mit der oftmals bis zur Ungerechtigkeit getriebenen scharfen Selbstbeurtei-
lung. — Nichts Unreines, nichts Unwürdiges kommt in seinen Werken vor, da
von allen derartigen Dingen die Gedanken seiner keuschen Seele zurückflohen. Wie
würdig war der Künstler seines großen Erfolgs!"
Dürers Künstlerruhm war schon bei seinen Lebzeiten nicht nur in Deutschland
und den Niederlanden, sondern auch in Italien unbestritten. Zn Venedig sowohl
wie in Antwerpen wurden ihm Zahresgehalte angeboten, um ihn dauernd zu
fesseln; und nur sein vaterländischer Sinn widerstand den hinreichend verlockenden
Anerbietungen. Als er von Venedig aus nach Bologna reiste, wurde er von der
dortigen KUnstlerschaft mit überschwenglichem Jubel begrüßt, in Ferrara wurde er
durch Gedichte gefeiert. Raffael Santi tauschte Arbeiten mit dem deutschen
Meister aus, „um ihm seine Hand zu weisen". Von Raffaels Geschenksendung
an Dürer, die aus mehreren Zeichnungen bestand, hat sich ein Blatt mit Akt-
studien, durch einen Vermerk von Dürers Hand beglaubigt, erhalten (in der Alber-
143