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dieser Aufgabe nicht einen der alten vornehmen Orden
berief, sondern den neuen Orden der Bettelmönche, die
nun selbst hierin die alten Orden ablösten. Freilich ist
in der ihnen fremden Aufgabe auch ihr eigenstes Wesen
verfremdet und umgebogen worden, so daß das Klo-
ster schon am Ende des 14. Jahrhunderts und am An-
fang des 15. Jahrhunderts einer inneren Selbstauf-
lösung entgegenging.

Die Kirche wurde 1310 begonnen und 1320 ge-
weiht70. Erwartet man, der sehr besonderen Stellung
nach, die das Kloster einnahm, auch im Kirchenbau
eine exzeptionelle Haltung zu finden, so überrascht der
Außenbau durch die Genauigkeit und Korrektheit, mit
der das Bettelordenschema befolgt wurde: Ein großer
gestreckter Baukörper, dessen zusainmengefaßter Kon-
tur durch das eine große, Chor und Langhaus ver-
einende Dach bewirkt, nur von dem kleinen Dachreiter
unterbrochen wird; Mittel- und Seitenschiffe, kasten-
artig zusammengestellt, besitzen als einzige Gliederung
die gleidimäßige Reihe spitzbogiger Fenster, von denen
die der Seitenschiffe auf einem schmalen Gesims sitzen.
Der Chor, der das Langhaus nicht überragt, hält sich
besonders genau an das übliche Schema: Ein umlaufen-
des Gesims, darüber die dreiteiligen Fenster mit ein-
fach schrägerLeibung, zwischen ihnen die Strebepfeiler,
die durch einen Wasserschlag gegliedert sind und mit
Pultdach enden. Nur Reichtum und Schönheit des
Maßwerks heben sich als Besonderes heraus71. — Noch
mehr als im Außenbau, der ja auch sonst bei den gro-
ßen Bettelordenskirchen nach 1300 verhältnismäßig
einförmig blieb, macht im Inneren das Fehlen aller
64 Steigerung erstaunen, es mutet eigentümlich an, er-
innert man sich an die großartigen Langhäuser, die in
dieserZeit bei den Bettelorden entstehen. Das Königs-
feldener Langhaus ist eine Achteckpfeilerbasilika von
sieben Jochen, mit hohem Obergaden, der oben durch
ein Gesims abgeschlossen ist, auf dem die Mittelfenster
sitzen. Die gedrungenen und sehr kräftigen Achteck-
pfeiler gehen kämpferlos in das dreiseitig hohl ge-
kehlte Arkadenprofil über. Alle Verhältnisse sind klar,
ruhig und stabil, jeder Überschwang fehlt. Das Uber-
49, 43 steigerte der Kolmarer Dominikanerhalle wie die aske-
tische Gewalt des Gebweiler Raumes sind hier fremd.
Der Obergaden erscheint in seiner Höhe selbstverständ-
lich und gesichert, denn die stämmigen Achteckpfeiler
sind durchaus fähig, ihn zu tragen; die Fenster sitzen
nicht irgendwo in ihm, sondern sind durch die Linie
des Gesimses eindeutig festgelegt. Gegenüber den gro-
ßen Rundpfeilerbasiliken ersdieint alles Körperliche
merkwürdig kompakt. Ist auch die Kargheit und geo-
metrische Kahlheit der Bettelordenformen gewahrt, so
haben diese doch wieder Festigkeit und Realität ge-
wonnen. — Diese Verfestigung ist, wenigstens zum Teil,
bedingt durch die Stützenform. Der Achteckpfeiler, der
in der oberrheinischen Bettelordensarchitektur gegen-
über dem üblichen Rundpfeiler die Ausnahme bildet,
war allein im Bodenseegebiet, dem Königsfelden an-
18,24, gehört, zur festen Tradition geworden (Konstanz,
24,31 Franziskaner- und Augustinerkirche; Schaffhausen,
Franziskanerkirche, s. Kapitel II Abschnitt 2; Über-

lingen, Franziskanerkirche, s. unten). Aber der kräf-
tige, stämmige Charakter, den diese Pfeilerform in den
Bau bringt, wird in Königsfelden durch die Form des
niedrigen stabilen Sockels, die Führung der Arkaden-
bögen, die Proportionierung von Arkaden- und Ober-
gadenzone und die Einführung des klar abgrenzenden
Fenstergesimses noch besonders hervorgehoben. Alles
erscheint eigens dem Charakter einer festen und siche-
ren Würde dienstbar gemacht, der das Bettelordens-
mäßige dieses Raumes etwa gegenüber Gebweiler zu-
rücktreten läßt.

Wie das Langhaus, so zeigt auch der Chor im Räum-
lichen einen ausgesprochen klaren und - von den
gleichzeitigen Hochchören der Bettelorden aus ge-
sehen — gemessenen Charakter; nicht durch bedeutende
Steigerung in Länge oder Höhe erhält er seine Wir-
kung — bezeichnenderweise besitzt er nur drei Joche
und 5/°-Schluß —, sondern durch die Pracht der Glas-
fenster, die Feinheit der Birnstabrippen und -dienste,
die elegante Bildung des Maßwerks an Celebranten-
sitz und Piscina. Hier erstmals begegnet in der ober-
rheinischen Bettelordensarchitektur die Bereicherung
der Innengliederung durdi ein umlaufendes Gesims in
Höhe des Fensteransatzes, das von den Birnenstab-
diensten durchschnitten wird; im Chorhaupt steigen
diese auf feinen Sockeln vom Boden auf und gleiten
absatzlos ins Gewölbe über, an den Langseiten werden
sie ein Stück über dem Boden, jedoch unterhalb des
Gesimses, durch das sie hindurchwachsen, durch Kon-
solen abgefangen. Von den Konsolen entsprechen sich
je die gegenüberliegenden, und ebenso ist es bei dem
Ornamentschmuck der Glasfenster. In solchen hin- und
hergehenden feinen Beziehungen, in der Klarheit und
im Reichtum der aus sorgsamst gebildeten Formen ent-
stehenden Gliederung wird die Sdiönheit dieses Chores
gesucht, der nicht wie die übrigen Bettelordenschöre
der Zeit sich durch mächtige und großartige Steigerung
einem reinen Predigt- und Laienhaus gegenüber-
zusetzen hat.

Die Uberlinger Franziskanerkirche72 (etwa 31
1300-1348), die gleichfalls der Achteckpfeilertradition
des Bodenseegebietes folgt, ist heute ganz barockisiert,
so daß der Aufbau selbst zwar noch deutlich, der eigent-
liche Charakter des Baues aber nur noch sehr einge-
schränkt faßbar ist. Während der Aufbau mit Achteck-
pfeilern, dreiseitigem gekehlten Arkadenprofil, hohem
Obergaden und Spitzbogenfenster dem nur wenig jün- 64
geren Königsfeldener Langhaus scheinbar sehr ver-
wandt ist, bestehen doch im wichtigsten Punkt, der Pro-
portionierung, entscheidende Unterschiede. Das Mittel-
schiff in Überlingen erscheint außerordentlich hoch, steil
und straff emporgerichtet gegenüber der ruhigen Breite
in Königsfelden. Dies wird einmal bewirkt durch die
auffällige Schmalheit des Mittelschiffes im Verhältnis
zu den Seitensdriffen, zum anderen in der spitzeren
Führung der Arkadenbögen und der gesteigerten Höhe
der Obergadenwand, die nicht wie in Königsfelden
nadi oben hin durdi ein Gesims begrenzt und übersicht-
lich gemacht wird,sondern steil aufgerichtet demRaum
das entscheidende Gepräge gibt. Es scheint — soweit

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