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dariiber bei dem heutigen Bestand ein Urteil möglich
ist — daß hier der Mittelschiffwand eine ähnliche Rolle
wie in Gebweiler zukam, daß vielleicht die Überlinger
Franziskanerkirche als Ganzes eine ähnliche Steigerung
43 des Bettelordensmäßigen innerhalb der Achteckpfeiler-
basilika darstellte, wie sie fiir den Rundpfeilertypus
die Gebweiler Dominikanerkirche bedeutete.

Der lange hohe Chor von vier Jochen und 5/s-Sdiluß
überragt das Langhaus. Da er völlig barockisiert ist,
läßt sich über seine Gliederung und sein Verhältnis zu
den oberrheinischen Hochchören nichts aussagen73.

Außerhalb des Bodenseegebietes findet sich in der
oberrheinischen Bettelordensarchitektur nur eine Basi-
72 lika mit Achteckpfeilern: die Kolmarer Franzis-
kanerkirche74. In diesem elsässischen Bau wird nun
bezeichnenderweise nicht der im Bodenseegebiet üb-
liche Typus der Achteckpfeilerbasilika übernommen.
Vielmehr wird der Versuch gemacht, eine Gliederung,
wie sie in den benachbarten Rundpfeilerbasiliken der
22, 26 Franziskaner, in Rufadi und Freiburg i. Br., ausgebil-
det war, auf die Achteckpfeilerbasilika zu übertragen.
34 Das Langhaus der Kolmarer Franziskanerkirche ent-
stand zwischen 129z und etwa 1340, der Chor um
13JO75. Heute ist das Langhaus durch eine Zwischen-
dedke, die 1862 eingezogen wurde, um mehr als ein
Drittel seiner ursprünglichen Höhe beraubt76. So er-
sdieint heute die architektonische Gestalt im Inneren
unbefriedigend und ohne rechten Sinn. Doch ist der
ursprüngliche Zustand der Kirche in einer Zeichnung
32 von J. Rothmüller aus dem zweiten Vierteldes 19. Jahr-
hunderts erhalten: Über einer außerordentlich hohen
Arkadenzone, gebildet aus fünf kräffigen Aditeckpfei-
lern mit reich gekehlten Arkadenbogen, beginnt ein
zweites fast ebenso hohes Geschoß. Dicht über jedem
Arkadenbogen setzt eine bis zur Decke reichende Spitz-
bogenblende an. Sie wird im oberen Drittel von einem
dreiteiligen Spitzbogenfenster eingenommen, während
sich unten, dicht über dem Arkadenscheitel, eine kleine
lukenartige öffnung befindet77. — Zweifelsohne ist der
ganze Aufbau mit den zwei steilen Bogenordnungen
übereinander in der oberrheinischen Bettelordensarchi-
tektur sehr merkwürdig, und mit Recht führt Groß die
Vergleichbarkeit mit dem zweigeschossigen Aufbau
norddeutscher Backsteinkirchen (Typus Lübecker
Marienkirche) an78. Doch ist mit dem Motiv der großen
Blende und der kleinen lukenartigen öffnung in Kol-
mar bereits ein Hinweis für eine nähere und direktere
26 Ableitung gegeben. In der Freiburger Franziskaner-
kirche liegt grundsätzlich eine ähnliche Lösung vor:
Auch hier große Spitzbogenblenden über den Arkaden-
scheiteln, die im unteren Teil die kleinen öffnungen,
im oberen Teil die Mittelschiffenster umschließen.
Nur daß in Freiburg die Kreisfenster, die der Spitz-
bogenform der Blende widerstreben, ferner die geringe
Höhe der Obergadenwand, die Blenden nicht zu einem
eigenen, der Arkadenzone gleidigewichtigen Geschoß
werden lassen, wie es in Kolmar vor allem durch die
hohen Mittelschiffwände, die ganz von den schmalen
steilen Blenden durchzogen werden, erreicht ist. Wir
erinnern uns, daß sich das Motiv der Blenden und der

triforienartigen öffnungen von Freiburg nur in der
Rufacher Franziskanerkirche fand; es kann nicht zu- 22
fällig sein, daß es uns in der gesamten oberrheinischen
Bettelordensarchitektur nur in den drei Franziskaner-
kirchen von Rufadi, Freiburg und Kolmar begegnet,
die zudem auf engem Raum zusammenliegen. Bleibt es
auch merkwürdig, daß die Kolmarer Franziskaner-
kirche als einziger elsässischer Bettelordensbau Achteck-
pfeiler als Stützen zeigt — die Abweichung von dem
üblichen Typus der Aditeckpfeilerbasilika erklärt sich
eindeutig aus der Bindung, die die Ordensgemeinschaft
mit den benachbarten Konventen von Rufach und Frei-
burg auch im Architektonischen schafft79.

Noch eine Einzelform weist auf den Zusammenhang
mit der Freiburger Franziskanerkirche: Das »Sporen«- 33
motiv an den Eckkehlen der Sockel, das sich ähnlich am
Triumphbogen und am kleinenNordportal in Freiburg
findet (vgl. Anm. 3). — Die Kolmarer Sockel übertreffen
mit etwa 1,20 m Höhe alle andern der oberrheinischen
Bettelordensarchitektur an Wudit und Massigkeit. Ur-
sprünglich standen sie wie die der Franziskanerkirche
in Rufach und Basel auf quadratischen Platten, die
jedoch bei vielen durch Bodenerhöhung nicht mehr
siditbar ist, wie überhaupt die Gliederung bei vielen
durch Abmeißelung zerstört ist80. — Dieser Charakter
von Starre und Massigkeit, wie er sich in den Sockeln
zeigt, ist der gleiche, der den Gesamtaufbau in den zwei
übereinandergestellten straffen Bogengeschossen be-
stimmt. Besonders tritt er in den Achteckpfeilern zu-
tage, die alle bisherigen bedeutend an Höhe übertreffen
und so in der Arkadenzone eine hallenartige Weite des
Raumes schaffen, wie sie weit mehr in denRundpfeiler-
als in den Achtedkpfeilerbauten zu finden war. Audi
die Profilierung der Arkadenbogen durdi enge scharfe
Hohlkehlen, die merkwürdig hart aus dem Pfeiler her-
ausschneiden, ist in den oberrheinischen Achteckpfeiler-
basiliken unbekannt; eher ist das Kolmarer Arkaden- 22
profil mit dem der Rufacher Franziskanerkirche zu
vergleichen, nur daß in Kolmar dem harten, starren
Charakter aller Formen entsprechend nun auch die Ab-
fasungen durch scharfe rinnenartige Kehlen ersetzt
sind. — Merkwürdig bleibt das kleine lisenenartige
Glied, das ursprünglich als Fortführung der Vorder-
seite des Pfeilers, der imDurchschnitt stärker ist als die
Obergadenwand, ein Stück in den Arkadenzwickeln
emporlief81. Ein zweites südliches Seitenschiff, um das
man die Kirche im späteren 14. oder im ij. Jahrhun-
dert erweiterte, wurde wahrscheinlich schon bei der
Profanierung im 16. Jahrhundert wieder abgerissen82.

Gegenüber den Formen des Langhauses wirken die 38
Formen des schönen siebenjochigen Lettners an der Ost-
wand zart und elegant. Er scheint als letzter Bauteil
des Langhauses errichtet worden zu sein, kurz vor Be-
ginn oder schon gleichzeitig mit dem Chorbau, wie das
Maßwerk des kleinen Lettnerfensters auf der Nord-
seite beweist, das mit dem desChores auf gleicher Stufe
steht. Der Lettner folgt der Teilung der Schiffe: Auf
das Mittelschiff entfallen drei Joche, von denen das
mittelste schmaler gebildet ist als Durchgang zum Chor
(heute vermauert); auf die Seitensdiiffe kommen je

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