mann, die Überbelegung des Berufes, Betrügereien bei den Silberlegierungen, die durch
neue Techniken und Verfahrensweisen möglich geworden waren, und die Ausweitung des
Marktes durch neue Vertriebsformen. Alle Verordnungen, die das Leben und Arbeiten der
Goldschmiede regelten, hatten eines gemeinsam: Sie waren keine Beschlüsse des Hand-
werks, das selbstherrlich und selbtändig innerhalb seines Terrains schalten und walten konn-
te, sondern sie wurden alle von einer Obrigkeit - Magistrat oder Kaiser - erlassen oder rati-
fiziert. Jedes Detail, das das Handwerk betraf, ob Gliederung des Mittels, Überprüfung der
Produkte oder der Arbeitsweisen beziehungsweise Einführung neuer Techniken, lag in der
Entscheidungbefugnis der Obrigkeit, und ohne diese konnte das Handwerk nichts erwirken:
Das Handwerk war somit eingebunden in die städtische Hierarchie, ohne eigene Befugnisse.
2.1.4. Bestimmungen zum Silbergehalt
Die frühesten erhaltenen, das Goldschmiedehandwerk betreffenden Verordnungen aus dem
16. Jahrhundert waren Bestimmungen zum Feingehalt des zu verarbeitenden Silbers. Kaiser
Karl V. legte 1548 auf dem Reichstag zu Augsburg in seiner „Policey-Ordnung“ erstmals ei-
nen einheitlichen Silbergehalt fest, der für das ganze Reichsgebiet bindend war: Jede
Marckh Silbers alles werckhs mußte 14.löthig sein, und der Goldschmied hatte die Pflicht,
jedes gefertigte Stück, auf dem sein aigen Zaichen sich befinden muß, auf die Prob oder
Schaw zu bringen, wo dann nach Überprüfung der rechtmäßigen Lotigkeit die Stadtbeschau-
marke aufgeschlagen wurde (vgl. Kapitel B. 2.1.5. Die „Schau“ und B. 2.1.6. Die Stadtbe-
schau- und Meistermarken).273 Diese Verordnung bestätigte Kaiser Rudolph II. 1577.274 275 276
Die ersten von Eustachius Jeger erwähnten Gmünder Goldschmiedeartikel von 1593 weich-
ten die strengen Bestimmungen auf, indem man festgelegt hat, daß ein Meister die kleine
Silber Arbaith, waß ander ainderthalb Loth (. . .) seines Gefallens machen dürfe, gleich
wohl solle Er schuldig seyn, deme, so es verkaufft, anzuzaigen, wie vihl Loth an solcher Ar-
baith das Marckh ungefährlich halten möchte.2'15 Nachdem in den folgenden Jahrzehnten
dieses Gebot wohl sehr großzügig gehandhabt beziehungsweise ausgelegt wurde, sah sich
der Gmünder Rat am 26. August 1643 gezwungen, ein Dekret zu erlassen, das die Lotigkeit
neu regelte. So hat man statuirt, daß das Silber, waß ander 2 Loth, wenigst 12löthig: waß
darüber aber Ulöthig seyn solle.216 Diese Verordnung schien jedoch wenig bewirkt zu ha-
ben, denn in der württembergischen Goldschmiedeordnung vom 29. Mai 1657 hieß es, daß
die Goldschmiede aus Schwäbisch Gmünd mit ihren billigen Waren den württembergischen
Markt überschwemmen würden, und man warnte sie eindringlich, den vorgeschriebenen
131ötigen Feingehalt einzuhalten, ansonsten werde die Ware konfisziert.277
In den folgenden fast zweihundert Jahren wurde der Streit um den Feingehalt des Silbers
273 (Sta Gd) JEGER: Periphrasia 1707, S. 1103.
Die „Lotigkeit“ bzw. „lötig“ (in den Archivalien auch häufig nur „Lot“ genannt; um jedoch Verwechslungen
zu vermeiden, wird in vorliegender Arbeit der Silbergehalt mit Lotigkeit bezeichnet, während mit „Lot“ das
Gewicht eines Stückes gemeint ist) bezeichnet den Silbergehalt eines Stückes, lölötig bedeutet einen Silber-
gehalt von 100 Prozent. 141ötiges Silber enthält 14 Teile Silber und 2 Teile sonstiges, zumeist Kupfer.
274 (Sta Gd) JEGER: Periphrasia 1707, S. 1103.
275 (Sta Gd) JEGER: Periphrasia 1707, S. 1104.
276 (Sta Gd) JEGER: Periphrasia 1707, S. 1104.
277 Paul MARTELL: Aus dem Leben der Goldschmiede in Württemberg in alter Zeit.
In: Deutsche Goldschmiede-Zeitung 1909, S. 226 bis 229 und 262 bis 266.
Ähnlich argumentierten 1696 die Mainzer Goldschmiede. Vgl. ROSENBERG 1885, S. 65 bis 68.
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neue Techniken und Verfahrensweisen möglich geworden waren, und die Ausweitung des
Marktes durch neue Vertriebsformen. Alle Verordnungen, die das Leben und Arbeiten der
Goldschmiede regelten, hatten eines gemeinsam: Sie waren keine Beschlüsse des Hand-
werks, das selbstherrlich und selbtändig innerhalb seines Terrains schalten und walten konn-
te, sondern sie wurden alle von einer Obrigkeit - Magistrat oder Kaiser - erlassen oder rati-
fiziert. Jedes Detail, das das Handwerk betraf, ob Gliederung des Mittels, Überprüfung der
Produkte oder der Arbeitsweisen beziehungsweise Einführung neuer Techniken, lag in der
Entscheidungbefugnis der Obrigkeit, und ohne diese konnte das Handwerk nichts erwirken:
Das Handwerk war somit eingebunden in die städtische Hierarchie, ohne eigene Befugnisse.
2.1.4. Bestimmungen zum Silbergehalt
Die frühesten erhaltenen, das Goldschmiedehandwerk betreffenden Verordnungen aus dem
16. Jahrhundert waren Bestimmungen zum Feingehalt des zu verarbeitenden Silbers. Kaiser
Karl V. legte 1548 auf dem Reichstag zu Augsburg in seiner „Policey-Ordnung“ erstmals ei-
nen einheitlichen Silbergehalt fest, der für das ganze Reichsgebiet bindend war: Jede
Marckh Silbers alles werckhs mußte 14.löthig sein, und der Goldschmied hatte die Pflicht,
jedes gefertigte Stück, auf dem sein aigen Zaichen sich befinden muß, auf die Prob oder
Schaw zu bringen, wo dann nach Überprüfung der rechtmäßigen Lotigkeit die Stadtbeschau-
marke aufgeschlagen wurde (vgl. Kapitel B. 2.1.5. Die „Schau“ und B. 2.1.6. Die Stadtbe-
schau- und Meistermarken).273 Diese Verordnung bestätigte Kaiser Rudolph II. 1577.274 275 276
Die ersten von Eustachius Jeger erwähnten Gmünder Goldschmiedeartikel von 1593 weich-
ten die strengen Bestimmungen auf, indem man festgelegt hat, daß ein Meister die kleine
Silber Arbaith, waß ander ainderthalb Loth (. . .) seines Gefallens machen dürfe, gleich
wohl solle Er schuldig seyn, deme, so es verkaufft, anzuzaigen, wie vihl Loth an solcher Ar-
baith das Marckh ungefährlich halten möchte.2'15 Nachdem in den folgenden Jahrzehnten
dieses Gebot wohl sehr großzügig gehandhabt beziehungsweise ausgelegt wurde, sah sich
der Gmünder Rat am 26. August 1643 gezwungen, ein Dekret zu erlassen, das die Lotigkeit
neu regelte. So hat man statuirt, daß das Silber, waß ander 2 Loth, wenigst 12löthig: waß
darüber aber Ulöthig seyn solle.216 Diese Verordnung schien jedoch wenig bewirkt zu ha-
ben, denn in der württembergischen Goldschmiedeordnung vom 29. Mai 1657 hieß es, daß
die Goldschmiede aus Schwäbisch Gmünd mit ihren billigen Waren den württembergischen
Markt überschwemmen würden, und man warnte sie eindringlich, den vorgeschriebenen
131ötigen Feingehalt einzuhalten, ansonsten werde die Ware konfisziert.277
In den folgenden fast zweihundert Jahren wurde der Streit um den Feingehalt des Silbers
273 (Sta Gd) JEGER: Periphrasia 1707, S. 1103.
Die „Lotigkeit“ bzw. „lötig“ (in den Archivalien auch häufig nur „Lot“ genannt; um jedoch Verwechslungen
zu vermeiden, wird in vorliegender Arbeit der Silbergehalt mit Lotigkeit bezeichnet, während mit „Lot“ das
Gewicht eines Stückes gemeint ist) bezeichnet den Silbergehalt eines Stückes, lölötig bedeutet einen Silber-
gehalt von 100 Prozent. 141ötiges Silber enthält 14 Teile Silber und 2 Teile sonstiges, zumeist Kupfer.
274 (Sta Gd) JEGER: Periphrasia 1707, S. 1103.
275 (Sta Gd) JEGER: Periphrasia 1707, S. 1104.
276 (Sta Gd) JEGER: Periphrasia 1707, S. 1104.
277 Paul MARTELL: Aus dem Leben der Goldschmiede in Württemberg in alter Zeit.
In: Deutsche Goldschmiede-Zeitung 1909, S. 226 bis 229 und 262 bis 266.
Ähnlich argumentierten 1696 die Mainzer Goldschmiede. Vgl. ROSENBERG 1885, S. 65 bis 68.
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