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Krause-Schmidt, Heike
"... ihr Brodt mit kleiner Silber-Arbeit erwerben": die Geschichte des Gmünder Goldschmiedegewerbes von den Anfängen bis zum Beginn der Industrialisierung, unter besonderer Berücksichtigung der Filigranproduktion — Schwäbisch Gmünd: Einhorn-Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52957#0156
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2. Die (Fiiigran-)Ware

2.1. Die Klassifizierung und Systematisierung von Edelmetallwaren
Edelmetallwaren, also Gerät und Schmuck aus Platin, Gold und Silber, werden im allgemei-
nen als „Luxuswaren“ bezeichnet, wobei „Luxus“ definiert wird als jeder Aufwand, der
über das Notwendige hinausgeht. Doch einen absoluten Begriff für Notwendigkeit gibt es
nicht, er ist stets relativ, verschieden je nach den durch kulturelle Entwicklung, Stand, Ein-
kommen, Vermögen, Lebens- und Weltanschauung bedingten Verhältnissen des Einzelnen
wie der Gesamtheit, formulierte Erich Hintrager in seiner 1926 erschienenen Dissertation
„Vertriebsorganisation und Vertriebspolitik in der deutschen Edelmetallwarenindustrie“.773
Da alle Erzeugnisse aus Edelmetallen Bedürfnisse befriedigten, die nicht notwendig seien,
so Hintragers Argumentation, und sämtliche Gebrauchsgegenstände wie Bestecke, Schüs-
seln, Schalen etc., auch aus Unedelmetallen beziehungsweise Surrogaten gefertigt werden
könnten, müsse man die Edelmetallwaren grundsätzlich als Luxuswaren bezeichnen.774 Der
volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise folgend, systematisierte Hintrager die Edelmetall-
waren nach Gesichtspunkten der Fabrikation, nämlich nach dem Wert des Materials, nach
den verwendeten Hilfsstoffen und nach der in ihnen enthaltenen Arbeitskraft, in „feine“,
„mittelfeine“ und „kurante“ Waren.775 Als „feine“ Waren bezeichnete Hintrager Schmuck
und Gerät aus Platin, hochkarätigem Gold und hochwertigen Edelsteinen, die in Handarbeit
gefertigt werden. „Mittelfeine“ Ware besitze im Bereich der Bijouterie größere Goldflä-
chen, wobei Edelsteine kaum oder gar keine Verwendung fänden würden, und im Bereich
der Orfevrerie werde mittelfeine Ware zwar maschinell hergestellt, jedoch mit größter Sorg-
samkeit auf die Schönheit des Modells und die Präzision der Arbeit.,,Kurante“ Waren seien
Produkte der Bijouterie und Orfevrerie, bei denen das Hauptaugenmerk auf Billigkeit und
Massenabsatz gerichtet sei. Dazu gehörten Doubleware, plattierte Ware, versilberte Alpaka-
ware und Modeschmuck.776
Ein ähnlicher Ansatz zur Klassifizierung nach der Produktion verfolgte Gislind Ritz 1976 in

773 Erich HINTRAGER: Vertriebsorganisation und Vertriebspolitik in der deutschen Edelmetallindustrie. Grün-
berg 1926, S. 25.
Dieser Definition folgte auch Erich SCHLENKER: Die Massenproduktion in der deutschen Silberwarenindu-
strie. Heilbronn 1929, S. 14.
774 HINTRAGER 1926, S. 24.
775 HINTRAGER 1926, S. 11.
Zuvor (S. 10) gliederte Hintrager die Edelmetallindustrie nach ihren Erzeugnissen:
Als „Joaillerie“ bezeichne man hochwertigen Schmuck aus Platin und Gold unter Verwendung von Diaman-
ten, Perlen und anderen hochwertigen Edelsteinen. „Bijouterie“ meine Schmuck aus Gold und Silber; er sei
jedoch kein Schmuck im wertvollsten Sinne, im Gegensatz zur Joaillerie nur Schmuck zweiten Ranges (S.
10). Zur „Orfevrerier“ gehörten Groß- und Kleingeräte aus Gold und Silber. Als Sonderformen der Edelme-
tallindustrie seien die Edelmetall verarbeitende optische Industrie und die Uhrenindustrie zu rechnen.
776 HINTRAGER 1926, S. 11.
SCHLENKER 1929, S. 16. Im Gegensatz zu Hintrager gliederte Schlenker die Edelmetallwaren, und speziell
die Silberwaren, nach ihrer Größe in Großsilberwaren, Kleinwaren und Bestecke und in Bijouteriewaren, wo-
bei den Großsilberwaren ein absoluter Luxuscharakter innewohne, Kleinwaren und Bestecke Luxuswaren
mittleren Grades und Bijouteriewaren Luxuswaren geringsten Grades, billiger Massenluxus seien. Jedoch
gab Schlenker auch zu bedenken, daß der Luxuscharakter einer Sache auch vom Gebrauch abhängen könne,
und somit seien Großsilberwaren, Bestecke etc. Gebrauchsobjekte, während Bijouteriewaren, die allein zur
Dekoration verwendet würden, reinste Luxusware seien.

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