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Krause-Schmidt, Heike
"... ihr Brodt mit kleiner Silber-Arbeit erwerben": die Geschichte des Gmünder Goldschmiedegewerbes von den Anfängen bis zum Beginn der Industrialisierung, unter besonderer Berücksichtigung der Filigranproduktion — Schwäbisch Gmünd: Einhorn-Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.52957#0143
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statt mit seinem Gesellen und Lehrjungen, nur sich selbst und seinem Kunden verantwort-
lich zeichnend, am Brett arbeitete, oder wie Debler an anderer Stelle idealisierend meinte:
Jedes Haus eines Goldschmieds ist eine Fabrikstätte im kleinen,^1 stimmte schon lange
nicht mehr.
Die allgemeine Fortschrittsfeindlichkeit läßt sich auch an dem Streit der Gebrüder Debler
mit den Gmünder Glasschleifern ablesen. 1803 wollte das Gebrüder Debler’sehe Handels-
haus Schleifmaschinen anschaffen. In dieser Zeit stand in Gmünd das Perlenstricken in ho-
her Blüte, und die Frauen fertigten in dieser Technik Taschen. Beutel etc. Aus diesem Grun-
de stieg der Bedarf an Glasperlen stark an; größere Glasperlen wurden zudem auch zu Ro-
senkränzen verarbeitet. Die in der Stadt ansässigen Glasschleifer konnten diese Nachfrage
nicht mehr befriedigen; sie befürchteten aber, daß die Maschinen ihnen plötzlich die Arbeit
wegnehmen könnten und klagten deshalb beim Oberamt; mit Erfolg. Die Maschinen durften
nicht eingeführt werden.092 Auf dieses Ereignis bezog sich Debler vermutlich in seiner Aus-
sage über die Maschinen und den durch sie scheinbar verursachten Arbeitsverlust.
Einer der wenigen Gmünder, der die Mängel innerhalb der heimischen Wirtschaft erkannte,
war der Kaufmann Johann Chrysostomus Mayer.691 692 693 Im Jahre 1818 gab er eine Denkschrift
mit dem Titel „Ideen über den Verfall des Handels und der Fabrikation von Gmünd, und die
mögliche Verbesserung derselben“694 heraus, die auch dem württembergischen König und
der königlichen Regierung übergeben wurde695. Aus der Sicht des Kaufmanns beschrieb
Mayer die gegenwärtige katastrophale Wirtschaftslage, nicht nur im Goldschmiedehand-
werk, sondern auch in der Herstellung und dem Vertrieb von Baumwollwaren und Pfeifen-
köpfen,696 er analysierte die Ursachen und unterbreitete „Vorschläge“, wie die bestehenden
Mißstände zu beseitigen seien, und somit der Wirtschaft neuer Auftrieb gegeben werden
könne. Bedingt durch den Beruf des Autors nimmt die Schicht der Kaufleute und deren Ver-
änderung breiten Raum ein. Mayer beurteilte dabei die spezifische Gmünder Produktion
sehr viel realistischer als einige seiner Zeitgenossen, die sich den in dieser Zeit einsetzenden
verherrlichenden Tendenzen über die Vergangenheit des Goldschmiedehandwerk anschlos-
sen. Zum Beispiel meinte er, daß die (Silber)-Waren aus Gmünd ihre weite Verbreitung im
18. Jahrhundert keineswegs durch die Vorzüge unserer Fabrikate (. . .) erfahren hätten, son-
dern daß nur begünstigende äußere Zufälle, als der allgemeine Wohlstand der Völker, der

691 (Sta Gd) D. DEBLER: Chronica. Bd. 1/1, S. 121.
692 Wolfgang BRAUN: Geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Bedeutung des Schmuckwarengewerbes
in Schwäbisch Gmünd bis zum Beginn der Industrialisierung. Unveröffentlichte masch. Diplomarbeit, Nürn-
berg 1970, S. 99.
693 Johann Chrysostomus Mayer wurde am 25. Oktober 1784 als Sohn eines Gmünder Kaufmanns geboren. 1824
wanderte er nach Bregenz aus und wollte dort das alte Eisenschmelzwerk „am Bäumle“ durch die Gründung
einer Aktiengesellschaft zu neuer Blüte erwecken. Außer seiner Denkschrift „Ideen über den Verfall des Han-
dels und der Fabrikation von Gmünd“ von 1818 erschienen 1826 eine Ausarbeitung über ein neues Rech-
nungssystem für Verwaltungen und 1839 eine Abhandlung über die Rentabilität einer Pferdeeisenbahn von
Langenargen durchs Argental nach Leutkirch und Ulm. 1850 kehrte er mittellos nach Schwäbisch Gmünd zu-
rück, wo er 1854 starb.
Vgl. BRAUN 1970, S. 101.
694 Johann Chrysostomus MAYER: Ideen über den Verfall des Handels und der Fabrikation von Gmünd, und die
mögliche Verbesserung derselben. O. O. (wohl Schwäbisch Gmünd) 1818.
695 MAYER 1818, S. VI.
696 MAYER 1818, S. 4. Pfeifenköpfe wurden vor allem in Waldstetten und Rechberg in Heimarbeit hergestellt
und überwiegend in den nordischen Länder Europa’s vertrieben. In der Verarbeitung von Baumwolle waren
zur Zeit Mayers ca. 5000 Menschen aus den bedürftigen Volksklassen in Stadt und Land tätig. Diese Punkt
fanden auf den Messen von Frankfurt am Mayn bedeutenden Absatz nach dem Ueberrhein und Holland.

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